Was hat die bemannte Raumfahrt mit House Music zu tun? Mark Finkelstein hinterließ in beiden Feldern Spuren.


Mark Finkelstein schmunzelt gerne. Mit seinem Schnauzbart und der biederen Brille wirkt der 60-Jährige wie ein jüngerer und irgendwie auch netterer Bruder von Wolf Biermann. Man kann sich diesen gesetzten Herrn beim besten Willen nicht auf der Tanzfläche vorstellen – der ganze gute Wille geht nämlich schon vorher dafür drauf, die Tatsache zu akzeptieren, dass uns hier ein legendärer Akteur hinter den Kulissen des zeitgenössischen House gegenüber sitzt.

Nun sollte man es mit Beispielen nicht übertreiben, gerade in diesem besonders schnelllebigen und gesichtslosen Genre. Trotzdem: Tracks wie „Free“ von Ultra Nate, „Witchdokta“ von Armand Van Helden, „I Like to Move It“, der große Hit von Real 2 Reel, River Ocean feat. India mit „Love and Happiness“ oder Dance-Produzenten wie Josh Wink, Erick Morillo, Roger Sanchez, die Vengaboys, Planet Soul, George Morel, DJ Pierre, Todd Terry, Masters At Work und Kenny Dope – sie alle würde es ohne das Label wohl nicht geben, das der alternde Geschäftsmann Finkel stein zusammen mit der jungen A&R-Expertin Gladys Pizarro im Sommer 1989 in New York gegründet hat: Strictly Rhythm. Erst der kommerzielle Erfolg des Labels hatte dem New Yorker Garage-House-Stil Tür und Tor geöffnet und, auf lange Sicht, dem weltweiten Siegeszug des Techno den Weg geebnet.

Wofür Finkelstein keine kulturelle oder ästhetische Verantwortung übernehmen will: „Ich bin nicht der Musikmann“, sagt er, „nie gewesen“, und putzt sich mit einem Zipfel seines Hemdes die Brille: „Ich war schon immer der Geschäftsmann. „Was zwar stimmt, aber auch nicht so ganz richtig ist. Denn vor seiner Zeit als Label-Strippenzieher war Mark Finkelstein, Sohn deutscher Juden, die den Holocaust überlebten und in die USA emigrierten, der Raketenmann. Zumindest sagt das die Legende: Dass der spätere Techno-Papst in jüngeren Jahren für die NASA an der Konstruktion der Triebwerke für die Mondlandefähre des Apollo-Programms beteiligt war. Stimmt das?

Finkelstein Schüttelt leicht genervt den Kopf: „Unsinn. Ich war nie beider NASA. Das habe ich auch dem Typen gesagt, der für das ‚Billboard Magazine‘ dieses Gerücht in die Welt gesetzthatte. Ich rief ihn an und fragte: „Harry, warum erzählst du, ich wäre bei der NASA gewesen, wo ich doch für Grumman gearbeitet habe?‘ Und er sagte: ‚NASA klingt einfach besser.'“ Er springt auf, verschwindet kurz im Schlafzimmer seiner Suite und kommt mit einem kleinen Kästchen voller Fotos zurück. Von Jagdbombern, Raketen, von der Mondfähre. Und einer kleinen Steinplatte, auf der auch sein Name eingraviert und die von Neil Armstrong auf dem Mond hinterlassen worden ist, als ewiges Fanal amerikanischer Ingenieurskunst.

Es sind Dokumente seiner Arbeit als Raketeningenieur bei der Rüstungsfirma Grumman Aerospace Corporation: „Ich arbeitete jahrelang mit Tausenden Kollegen in einer riesigen unterirdischen Halle unter totaler Beobachtung an diesen Projekten. Ich hasste es. Die Eintönigkeit war kaum auszuhalten. Als Grumman dann nicht den Auftrag für das damals neuartige Space-Shuttle-Programm bekam, habe ich gekündigt.“

Er nahm aber nicht seinen Hut und sein Geld, um damit nach Silicon Valley zu ziehen – sondern studierte etwas BWL und trieb sich in allerlei Branchen herum, bevor er gegen Ende der Achtziger bei einem Plattenlabel landete, wo er ein eigenes Büro samt Sekretärin bekam: Gladys Pizarro, die dem Raketenmann von einem neuen Musikstil erzählte, bei dem es „nur um Rhythmus“ ging, Strictly Rhythm eben.

Die Musik interessierte Finkelstein herzlich wenig. „Die Platten höre ich mir nur dann an“, sagte Finkelstein schon damals, „wenn sie in den Charts sind.“ Persönlich steht er eher auf Bruce Springsteen. Doch der Laden brummte, in Hochzeiten trugen bis zu fünf Veröffentlichungen pro Woche das Label Strictly Rhythm. Was dann auch der Grund dafür war, warum Finkelstein die Firma 2002 an den Multi Warner verkaufte: „Ich hatte gehofft, dass das Geschäft wie gewohnt weiterläuft – mit dem Unterschied, dass die Platten jetzt auch in Istanbul gekauft werden können.“

Allerdings währte die Partnerschaft nur ein Jahr, da hatte Warner den Karren in den Dreck gefahren. Die folgenden vier Jahre verbrachte Finkelstein damit, vor Gericht um Strictly Rhythm zu kämpfen. „Ich darf nicht darüber sprechen“, meint er schmunzelnd und sagt dann doch: „Wir haben uns geeinigt. Ich habe alles zurückgewonnen, was ich verkauft hatte.“

Deswegen ist er heute hier, in Berlin, um die Wiedergeburt von Strictly Rhythm zu verkünden. Auch wenn er meint, die Bezeichnung „Plattenfirma “ treffe heute nicht mehr zu: „Wer kauft denn noch Platten? Nein, ich rechne fest damit, dass es in Zukunft vor allem um Streams geht, um Marketing, Indoor-Promotion und den direkten Verkauf der Musik über digitale Plattformen.“ Es ist nicht zu erwarten, dass ersieh verrechnet. Hätte sich Mark Finkelstein je verkalkuliert, nie hätte ein Mensch seinen Fuß auf den Mond gesetzt. Vielleicht nicht einmal auf einen Dancefloor.