Wet Leg entfesseln in München einen Indierock-Sturm
In ebenso schnörkel- wie zugabenlosen 70 Minuten fegen Wet Leg im Stil einer Indierock-Naturgewalt über ihr Münchner Publikum hinweg.
Es ist nichts weniger als eine Demonstration der Stärke, mit der Wet Leg in ihr ausverkauftes Konzert starten. Keine fünf Sekunden auf der Bühne steht Frontfrau Rhian Teasdale wie eine Statue im Kunstnebel und fährt zu den ersten Tönen von „Catch These Fists“ zwei Bizepse aus, deren enormer Umfang auch in den hinteren Reihen noch gut zu erkennen ist.
Vom Hype zur Metamorphose
Rhian Teasdale in muskelbepackter Bodybuilder-Positur im ärmellosen Minikleid – das ist hier auch die verdichtete Dokumentation einer Verwandlung. Gerade mal dreieinhalb Jahre ist es her, dass Teasdale und die aufgrund einer Sozialphobie auch live stets im Hintergrund agierende Hester Chambers mit ihrem Debüt und reichlich schlüpfrigem Schalk im Nacken einen postpandemischen Indierock-Hype auslösten, den so kein Mensch kommen sah.
Zwischen Grammy-Glanz und Empowerment
Seither ist zwischen einem warmen Grammy- und Brit-Award-Regen, Teasdales Outing, der Veröffentlichung des famosen zweiten Albums MOISTURIZER und einer Erweiterung vom Duo zum Quintett derart viel passiert bei der Band von der britischen Isle of Wight, dass man ihre Metamorphose eigentlich nur mit der Verwandlung von Teasdales Bühnenpersona so richtig greifen kann.
Körperpositivität statt Zurückhaltung
Stand diese einst in wallenden Kleidern auf der Bühne, um sich vor der Übergriffigkeit männlicher Blicke zu schützen, so ist ihre einführende Muckidemonstration hier der Startschuss einer maximal körperpositiven Empowerment-Show, bei der jeder laszive Hüftschwung zum Statement gerät. Kein Wunder eigentlich, wenn man bedenkt, dass Wet Leg auf MOISTURIZER eine Angriffslust zelebrieren, die ebenso in Teasdales irrem Aphex-Twin-Grinsen auf dem Cover wie speziell in jenen Songs liegt, mit denen sie diesen 19-Nummern-Gig einrahmen.
Energie, Haltung und Humor
Und so entspinnt sich unter den Kronleuchtern der Vorstadt-Konzerthalle ein Konzert, auf dem Wet Leg zur Begrüßung und zum Abschied mit dem hyperenergetischen Dance-Rock von „Catch These Fists“ und dem herrlich hookigen „Mangetout“ genussvoll gepfefferte Abfuhr-Arschtritte in toxische Männerärsche verteilen – und dazwischen alle Anwesenden im Raum mit einem Indierock-Schmiss beglücken, den man in dieser tanzbaren Vollendung seit den goldenen Nullerjahren nicht mehr gehört hat.
Songs, die für sich sprechen
Wer braucht schon langatmige Ermutigungsansagen, wenn man auch die Songs für sich sprechen lassen kann, scheinen sich die fünf da oben zu denken – und das durchaus zurecht. Die explizit formulierte Geilheit der sinister verdröhnten Wuchtbrumme „Pillow Talk“, der bis in die Mini-Dialogzeilen mit kollektivem Herzblut mitgeschmetterte Couch-Potato-Hit „Chaise Longue“ oder die zuckersüße Miniatur „Being In Love“ als passgenaue Liebesreflexion – all das und noch viel mehr lässt einen nach gerade mal 70 Minuten ohne Zugabe erstaunlich wunschlos glücklich zurück.
War ja alles gesagt.



