What’s Up. Doc


Was ist nur los mit Dr. Sheryl Crow? Warum scheint sie jenseits der Bühne bloß so wenig selbstsicher?

Auch für ihr neues Album wirkten wieder extreme Gefühlsschwankungen als Katalysator. Die Frau hat eigentlich alles, was man sieh wünschen kann: Sie gilt als eine der besten Sängerinnen und Songwriterinnen der USA. Ihr 94er-Album „Tuesday Night Music Club“ verkaufte sich acht Millionen Mal, und auch die Nachfolger, das96ei-„Sheryl Crow“-Album und die 98er „Globe Sessions“, liefen gut und wurden mit Grammies gesegnet. Sie hat gerade einen Ehrendoktortitel von der Universität South East Missouri erhalten. Und sie sieht trotz ihrer 40 Jahre sehr gut aus in ihrem Retro-Country-Jeans-Outfit, der dazu passenden Türkis-Kette und mit ihrer durch einen Kneipenunfall (oder Hundebiss, da gibt’s unterschiedliche Aussagen) gekennzeichneten Oberlippe, die einst nicht ohne Grund als „sexiest upper lip in Pop“ bezeichnet wurde.

Am 9. April erscheint ihr neues Album

„C’mon, C’mon“, bei dem all ihre Promi-Kumpels, von Don Henley über Lenny Kravitz bis hin zu Busenfreundin Stevie Nicks, mitgewirkt haben, das sich deswegen auch wieder ganz toll verkaufen wird, und sie ist immer noch so… so… verhuscht? Doch erst einmal zurück zu ihrem Aussehen: das darf man so lobend gar nicht feststellen und sollte man so eigentlich auch gar nicht schreiben. Denn ansonsten gilt man bei Dr. Crow schnell als Sexist, der die Musikszene immer noch strikt in harte Männer und zarte Pflänzchen unterteilt, wobei er bei ersteren natürlich rein ihr musikalisches Talent, bei letzteren ausschließlich die Äußerlichkeiten be- und aburteilt. Verkneifen wir uns also die Komplimente und konzentrieren uns auf den Menschen und Musiker Sheryl Crow. Und wie wir sehen, sehen wir…wenig Klares. Sheryl Crow ist ein äußerst privates Exemplar, geübt im Ausweichen lästiger Fragen und Werfen von Nebelbomben. „Stimmt“, gibt sie unverblümt zu, „ich hasse Interviews. Sie sind der Teil der Arbeit, den ich am wenigsten genieße. Kein Vergleich zum Songschreiben, Aufnehmen, Produzieren oder Auf-der-Biihne-Abrocken.“

Also losparliert, erst einmal die Biografie durchharken: Sheryl Suzanne Crow wurde als drittes Kind von Wendeil, einem Anwaltund Amateurtrompeter, und der Klavierlehrerin Bernice in der 10. ooo-Seelen-Gemeinde Kennet im US-Bundesstaat Missouri geboren. Ihre älteren Schwestern Kathy und Karen sind inzwischen Hausfrauen mit Familie, Bruder Steve ist Architekt. In der Highschool war sie Cheerleader, Alt-Saxophonistin, Leichtathletin, eine erfolgreiche, beliebte Schülerin. Sie studierte Klavier und Komposition an der Uni von Missouri, unterrichtete eine Zeit lang behinderte Kinder und packte dann ihre Siebensachen, um im fernen Los Angeles ein Star zu werden.

Das mit dem „Star werden klappte.zwar

nicht sofort, aber es klappte. Erst einmal musste Sheryl allerdings als Werbe-Girl für McDonald’s und als Backing-Sängerin für Michael Jackson während dessen „Bad“-Tour herhalten. Was genau die Ursache des folgenden Absturzes war – die angeblichen sexuellen Belästigungen, die sie dabei von Michaels Manager ertragen musste und später im „Na-Na Song (What Can I Do For You)“ verarbeitete, oder die abstruse blonde Perücke, die sie beim Duett „I Just Can’t Stop Lo ving You“ zu tragen hatte -, ist unklar.

Fest steht nur, dass Sheryl im Anschluss in eine riefe Depression fiel. Sechs Monate, in denen sie Nacht für Nacht betete, am nächsten Morgen nicht mehr aufzuwachen. Dank Therapie und Medizin genas Sheryl, auch wenn sie immer noch Rückfälle hat: „Es ist genetisch. Mein Vater ist sehr, sehr launisch, meine Mutter hat panische Angst davor, im Schlaf zu vergessen, Luft zu holen und zu sterben. Ich habe diese Launen und Ängste geerbt.“ Nach dem „Down“ folgte das „Up“: Das Album „Tuesday Night Music Club“ kletterte an die Spitze der Charts, nicht zuletzt wegen der Hit-Single „All I Wanna Do (Is Have Some Fun)“, ein Song, in dem es um so universell glücklich machende Dinge wie Spaß haben, Bier saufen und wieder Spaß haben geht.

Dann wieder ein „Down :Diejun g svom

„Tuesday Night Music Club“, darunter Sheryls damaliger Freund und Keyboarder Kevin Gilbert sowie der Autor John O’Brian (schrieb den autobiografischen Roman „Leaving Las Vegas“, die Buch vorläge für den gleichnamigen Film und die Vorlage für den Sheryl-Crow-Song), fühlten sich betrogen. Sie bekamen zwar SongwTiter-Credits und verdienten durch den Erfolg des Albums gut. Aber der eigentliche Star wurde-verdientermaßen-Sheryl. lohn O’Brian eTschoss sich kurz darauf, Kevin Gilbert erhängte sich zwei Jahre nach seiner Trennung von Sheryl bei einem autoerotischen Sexunfall. So was passiert schon mal, siehe Michael Hutchence, und Sheryl muss sich wirklich nichts vorwerfen lassen. „Mein Karma ist rein „, bestätigt sie heute und guckt dabei nur ein ganz klein wenig seltsam.

Die nächsten Jahre sind schnell erzählt. Zwei weitere Studio-Alben und Welttourneen, ein Live-Album, jede Menge Songs, in denen es meist um kaputte Beziehungen geht („Ich schreibe keine Liebeslieder. Ich schreibe Verlassen-werden-Lieder…“) und ein Haufen Gerüchte, die Mrs. Crow nie bestätigte, ab und zu dementierte, aber meistens einfach ignorierte. Sie soll eine Todessehnsucht haben, nach jedem Konzert kotzen, ihre Band wie ein Sklaventreiber kommandieren und viele Affären gehabt haben: mit Bob Dylans Sohn Jacob, mit Gitarren-Legende Eric Clapton (ihrem 98er-Hit zufolge „My Favourite Mistake“), mit Country-Sänger Dwight Yoakam und zuletzt mit dem Schauspieler Owen Wilson, den Sheryl bei den Dreharbeiten zu „Minus Man“kennen lernte, einem Film, in dem sie eine asthmatische Junkiebraut spielt. Weitere Kandidaten: Lenny Kravitz, Kid Rock, und zwischendurch soll sie auch noch das Promi-Lesbenpaar Ellen DeGeneres und Anne Heche auseinander gebracht haben.

Alles, was sie an „Privatem“ rauslässt, ist unverfänglich, manchmal auch ein bisschen öd und könnte aus der – natürlich rein fiktiven – Crow-Biografie „All I Wanted Is Some Fun – But I Didn’t Have Any“ stammen. Zu hart? Vielleicht. AbeT wer soll denn glauben, dass eine erfolgreiche, attraktive Frau, die bereits vor acht Jahren als erklärtes Lebensziel „viele Kinder und eine Farm im Mittleren Westen „angab, damit zufrieden ist, in ihrer Freizeit Yoga zu praktizieren? Oder Nick-Hornby-Bücherzu lesen. Oder sich Nicole Kidman in „The Others“ anzuschauen. Und dann jeden Abend in Restaurants zu essen, denn „kochen für nur eine ->

Person macht keinen Spaß“. Vielleicht stürzt sie sich ja gerade deswegen in den wenigen freien Momenten, die ihr zwischen ihrem Haus in L.A. und der Wohnung in New York, zwischen einer gescheiterten Beziehung und der nächsten, zwischen Album und Tour bleiben, in einen Wust aus sozialen Aufgaben, deren Bewältigung selbst Mutter Theresa vor echte Probleme gestellt hätte. Sie kümmert sich um Sklerodermie-Patienten, Opfer einer unheilbaren Kollagenkrankheit. Sie sammelt – so wie vor ihr Prinzessin Diana – Geld für die „Land Mine Free World“-Organisation, die zurückgebliebene Landminen in ehemaligen Kriegsgebieten entschärft. Sie singt und spielt für die Brustkrebs-Hilfe. Sie finanziert Musikunterrichtan verschiedenen Schulen in den USA. Und bestätigt selbst den Eindruck, dass es hier um mehr als bloßen Altruismus geht: „All die Unterstützung dieser verschiedenen Hilfsorganisationen hilft in erster Linie natürlich mir selbst, sorgt dafür, dass ich mein Leben als besser empfinde.“ Ihr aktuellstes Projekt, ihr neuster Traum: eine Ranch. Im Mittleren Westen. Nein, nicht mehr unbedingt mit Kindern. Stattdessen mit Rennpferden, die sie vorm Schlachthof retten und denen sie auf der Ranch das Gnadenbrot geben will. Pferde anstelle von Kindern das alles erinnert an Brigitte Bardot, an dieses bedrückende Phänomen von Frauen, die das Vakuum aus vergangenem Ruhm, verwelkender Schönheit und fehlendem Familienhalt mit der Sorge um bemitleidenswerte Kreaturen, Straßenköter, räudige Katzen oder lahmende Rennpferde eben, füllen wollen.

Verdrangen wir die gruselige ZukunftsAssoziation für einen Moment und konzentrieren uns auf die Musik. Das neue Album wirkt beim ersten Durchhören wie ein klassisches Crow-Album. Dieser Mix aus strenger, durch das Kompositionsstudium geprägter Formalität und dem spielerischen Einflechten von Sixties- und Seventies-Vorbildern, britischer Gitarrenmusik ä la Clapton, Faces und Exile-On-Mainstreet-Stones – eine Musik, die in bester Südstaatentradition von den Allman Brothers bis hin zu Alex Chikon und den Black Crowes steht. Natürlich sind auch moderne Elemente mit drin: ein bisschen Scratching, ein paar Loops, ein bisschen Vocoder – nicht genug, um alte Fans zu verschrecken, aber auch nicht genug, um neue Fans vom anderen Ufer des Mainstream zu generieren. Es gibt viele düstere Momente, etwa die Akustik-Ballade „Weather Channel“ (mit Emmylou Harris) und das unheimliche, von einem Uhrwerk-Ticken und Analog-Geknister unterzogene „Safe and Sound“, dass bereits auf der September-n-Compilation „America: A Tribute To Heroes“ erschienen ist. Aber es hat auch helle Momente, wie den typisch amerikanischen „Kissmy-ass“-Schrammler „Steve McQueen“und das fast schon hysterisch gut gelaunte „Soak Up The Sun“, die erste Singleauskopplung, eine pink-poppige Mixtur aus „All I Wanna Do“ und dem Lala-Soundtrack der 8oer-Jahre-Langnese Werbung. „Das Album hat definitiv etwas Manisches , bestätigt Sheryl. „Ich wusste lange Zeit nicht, wohin es sich entwickeln würde. Ein paar geplante Zusammenarbeiten klappten nicht. Mit Keith Richards war ich zweimal im Studio, aber Keith ist im Studio schwer zu kontrollieren. Er ist ein großer Geschichtenerzähler und Party macher, und wir wurden einfach nicht rechtzeitig fertig. Und dann war das letzte Jahr für mich auch sehr durchwachsen. Ich hatte gesundheitliche Probleme, meine Beziehung fiel auseinander, meine Depressionen setzten wieder ein, dann kamen die Terroranschläge vom u. September, die uns natürlich alle durcheinander gebracht haben – das Album reflektiert all diese Gefühlsschwankungen.“

Wahrscheinlich ist das der Grund für diese seltsame Wirkung, die Sheryl Crow offstage bei Beobachtern hervorruft: extreme Gefühlsschwankungen. In ihr scheint ein ständiger Kampf zu toben. Sie möchte von allen geliebt werden, möchte ein Rockstar sein.

Gleichzeitig aber ist sie sauer, wenn sie alle anstarren und die Presse sie wegen einer neuen Frisur kritisiert. Sie möchte vornehmlich wegen ihrer Musik geachtet werden und mokiert sich öffentlich – auch im neuen Song „You’re An Original“, einem Duett mit Lenny Kravitz – über Popstars wie Britney Spears und Christina Aguilera, die „bloß tanzen und die Lippen bewegenkönnen und aussehen wie Porno-Darstellerinnen“.

Sie selbst allerdings geizt auf Fotos und in Videos auch nicht gerade mit Reizen, wackelt in Hotpants die Straße entlang oder posiert als Lippen leckende Lolita. Und kündigt bei den MTV-Video Music Awards die Nominierten für das beste Pop-Video an, u.a. Britney, Christina… In „Steve McQueen“ prangert sie den Einzug von „Popstars in the White House“ an, dann tritt sie in eben diesem Weißen Haus mit Jon Bon Jovi für „A Very Special Christmas“ auf. Sie will Glück, aber umgibt sich mit Unglück. Sie will nicht reden, aber gibt Interviews. Sie will Spaß, aber sie hat keinen. „Naja, es stimmt schon „, gibt sie zu. „Ich fühle mich ofwie ein Fisch ohne Wasser. Das fing schon zu Uni-Zeiten an und setzt sich bis heute fort. Ich bin mir selten ganz sicher, ob das, was ich gerade mache, das Richtige ist oder ob ich wirklich da hingehöre, wo ich gerade bin.“

Bei ihrer Dankesrede vor den Studenten der Universität von South East Missouri zitierte Sheryl Crow Nelson Mandela: „Wir sind Kinder Gottes. Aber es nutzt der Welt wenig, wenn wir uns kleingeben. Es liegt nichts Erleuchtendes darin, selbst zu schrumpfen, nur damit sich andere Menschen nicht von einem gestört fühlen. Wir wurden dazugehören, den Glanz Gottes darzustellen…wenn wir unser Licht scheinen lassen, dann geben wir unbewusst auch anderen Menschen die Erlaubnis, ihr Licht scheinen zu lassen. Wenn wir uns von unseren Ängsten befreien, befreit unsere Präsenz automatisch andere Menschen von ihren Ängsten.“ „Ich trage diese Worte ständig mit mir herum, auf einem Zettel in meinem Notizbuch „, sagt sie. “ Und täglich lese ich sie, um diese Philosophie zu verinnerlichen.“Um dann hoffentlich irgendwann so zu leben, wie sie es besingt und sich wünscht: ohne Selbstzweifel, ohne Ängste, stattdessen wie „Steve Mc-Queen in his fast machine“, „soaking up the sun“ mit ganz viel „fun“. — wwrw.sherylcrow.com