Kurz & Klein


Das geht schon mal gut los. „God Bless This Mess“, heißt das Lied, nur die Frau und ihre Akustikgitarre, blechern und lofi aufgenommen, wie eine Field Recording aus einem nicht zu bestimmenden Jahrzehnt. Haha, da hat sich Sheryl Crow aber einen Witz erlaubt. Lied Nummer 2, „Song Over Babylon“, ist dann die – Achtung! Wortspiel – Umleitung in die Richtung, in der detoues (Universal) zuhause ist. Bummtschackiger, leicht schleimiger, auf der Höhe der Zeit produzierter Folk-Pop, so dermaßen uninspiriert komponiert und „eingespielt“, dass es eine rechte Unverschämtheit ist.

Jetzt könnte man fragen, was erwartet der Depp eigentlich? Wenn dem der konsumfreundliche Mainstram-Pop von Sheryl Crow zu konsumfreundlich und mainstreampoppig ist, dann müsste Rummelsnuff genau das Richtige für ihn sein. Der ist voll indiemäßig drauf, voll authentisch, total abgedreht und so. Rummelsnuff ist der Künstlername von Roger Baptist, dem Keyboarder der Dresdner Band Freunde der Italienischen Oper und bodygebuildeter Türsteher. Ein Mensch, den man lieber als Freund denn als Feind haben will, wegen der unangenehmen Vorstellung, eine aufs Maul bekommen zu können, wenn man ihm nicht freundschaftlich verbunden ist.

halt durch (Zickzack/ What’s So Funny About/Indigo) heißt das Album mit 14 manchmal ins Sixties-mäßige abdriftenden „Electro-Punk-Gassenhauern“ mit rammsteinigem Sprechgesang. Der Witz ist schnell erzählt. Obacht: Hier gibt es auch ein Cover von Devos „Mongoloid“, Danke Sheryl Crow und Rummelsnuff. Jetzt habt ihr es geschafft, mein Indie-Mainstream-Unterscheidungszentrum komplett aus dem Gleichgewicht zu bringen. Wo wir uns doch nun um A Fine Frenzy kümmern müssen. So nennt sich das Projekt der 22-jährigen Sängerin und Pianistin Alison Sudol aus L.A. Vielleicht ist one cell in the sea (Virgin/EMI) ja der helle ich-bin-ein-empfindsamer-und-introvertierter-Songwriter-Wahnsinn. Oder einfach nur ein weiterer Amy-MacDonaldmäßiger Langweiler-Blödsinn.

Wer an „die Vorsehung“ glaubt, weil als nächstes invitation songs (Matador/Beggars/Indigo) von The Cave Singers aus dem Stapel gezogen wird, hat unter Umständen Recht. Es soll ja schon ganz schön spirituell und esomäßig zugehen in Freakfolkland. The Cave Singers kommen aus Seattle und zeigen auf ihrem Debüt, dass es Folk und -verwandtes auch in richtig gut geben kann, in britisch-wundersam und in hypnotisch-versponnen und mit einer gesunden Portion Purismus. Dazu quäksingt Pete Quirk wie eine Mischung aus Marc Bolan und Devendra Banhart. Wunderbar.

Anlässlich seines ersten Soloalbums nie mehr (Micropal Records/ Broken Silence) nennt sich Hubertus Mohr nur noch Hubertus. Wir hingegen nannten ihn früher „Hubi“, als er noch Mitglied der großartigen Indie-Pop-Band The B’shops gewesen ist – aber wir schweifen ab. nie mehr ist ein feines Indie-oder-was-auch-immer-Songwriteralbum, bei dem sich Divine-Comedy-hafte Arrangements und LoFi-Schrammeleien die Waage halten.

Jetzt kommt monstre cosmic (Too Pure/Beggars/Indigo) gerade recht. Die dritte Platte von Monade, der anderen Band von Stereolab-Sängerin Laetitia Sadier. Die ist ein ambitioniertes, sophisticated Popalbum geworden, zwischen Stereolab-igkeit (60s Pop mit 70s Synthsounds plus Sadiers charakteristischer Stimme) und stark progigen Songstrukturen. Eine Platte für die Zeit kurz bevor der Frühlingshimmel aufreißt – ein Monster Of Prog-Pop.

Irgendeine unheimliche Macht drängt darauf, Dänemark zu einem unweißen Fleck auf der Landkarte des Rock und Rolls zu machen. Der nächste Versuch in diese Richtung wird mit Tina Oico (of-Zero-7-Gesangsbeihilfe-fame) und count to ten (Island/Universal) unternommen. „Selbstbewusstes“ Singer/Songwriter-Zeug mit gefühlten Melissa-Etheridge-Emotions-Eruptionen. Das ist ja gar nicht schlecht, aber wieviel so Sachen soll man sich denn noch ins Regal stellen müssen?

Illbient war in den 90-ern eine der eher untergründigen Untergrundmusiken. Geboren in New York als urbane Ängste schürende Mischung aus Instrumental HipHop, Dub, Weltmusik und Musique concrete, feiert diese Musik ihre teilweise Wiederauferstehung als „Dubstep“ in London. So wundert es nicht unbedingt, dass auf unit of Resistance (ROIR/Cargo), dem neuen Album von Raz Mesinai’s Badawi -Raz Mesinai oder Raz Badawi oder einfach Badawi war eine der wichtigeren Figuren des Genres – der Dubstep-Held Kode9 einen Track mit Badawi eingespielt hat. unit of Resistance ist eine Mischung aus Artist- und Remixalbum. Manche Tracks wurden 2004 in New York als Reaktion auf die Kampagne der Republikaner zur Wiederwahl von George W. Bush eingespielt, bei anderen handelt es sich um zwei Jahre später angefertigte Remixes von u.a. DJ Spooky, DJ Rupture und Marina Rosenfeld.

Wo wir gerade in den 90-em gelandet sind, wollen wir es nicht versäumen, darauf hinzuweisen, dass jedes Jahrzehnt über seinen guten, will heißen jenseits von Cat Stevens und Simon & Garfunkel beheimateten, Folk verfügt. Anfang der 90-er war das der „New Folk From San Francisco“, der von ehemaligen Punks im Geist desselben gespielt wurde. A Subtle Plague, die Brüder Benjii und Christopher Simmersbach, Einwanderer aus dem schönen Bayern, gehörten zu den wichtigsten Bands, des guten 90-er Folk. Jetzt haben die Simmersbach-Buam als The Durgas das Album back to the start (Cannery Row/Pool Music) veröffentlicht, dass in dieser Tradition steht: Folk mit Blues’n’Soul’n‘ Rock’n’Roll-Einschlag, durch den manchmal die sanfte Brise der amerikanischen Westküste weht.

Wir hassen die nächste Band, weil sie sich wahrscheinlich nach einer sehr beliebten Rubrik in diesem Magazin benannt hat: The Singles. Wir lassen gerade von der Rechtsabteilung die weitere Vorgehensweise prüfen. Ist natürlich gelogen, start again (Fading Ways/Alive) ist das zweite Album der Band aus Detroit, deren Mitglieder ziemlich britisch (weil modmäßig) aussehen und ziemlich britischen Power-Pop spielen. Aber keinen Kaiser-Cheese-Powerpop, sondern eher einen, der in den 60-em verwurzelt ist. Manchmal klingt das wie The Kinks mit Marc Bolan (second coming in dieser Rubrik) als Sänger. Das macht ziemlichen Spaß, wenn auch dieser Musik eine gewisse akademische Konstruiertheit nicht ganz abzusprechen ist.

Über Niels Frevert kann man nur Gutes schreiben. Nicht, dass wir das nicht wollten, aber es muss einmal gesagt, pardon, geschrieben werden. DU KANNST MICH AN DER ECKE RAUSLASSEN (Tapete/Indigo), das dritte Soloalbum (inkl. Hildegard-Knef-Cover „Ich möchte mich gern von mir trennen“) des Hamburgers, ist textlich eine eher ins Positive tendierende Analyse der Verzweiflung und des Zweifeins, die Frevert mit der Kraft der Poesie in Szene setzt. Die Musik: mehrheitlich akustisch plus wunderbare Streicherarrangements des legendären Anthony Ventura. Bitte googeln, oder wikipediaen, liebe Kinder.

Es ist ja eine unbestrittene Tatsache, dass die bayerische Mundart mit Abstand der schönste aller deutschen Dialekte ist. Aber das nur am Rande, vietnam (Trikont/Indigo) von Hans Söltner + Bayaman’Sissdem trägt vielleicht wie kein anderes Album die Weltsicht des „wilden Hunds von Reichenhall“ nach außen. Auch weil das Album Neues und Altes (in Neuaufnahmen) vereinigt und dadurch essenziellen Charakter gewinnt. Es wird deutlich, dass Söllners Protest gegen „die da oben“ kein postpubertäres Gepose ist, sondern einem großen inneren Freiheitsdrang geschuldet ist. Das Bayaman’Sissdem rumpelt sich virtuos durch Söllners Lieder und kann einiges vorweisen: (natürlich) Reggae, Folk, aber auch einen seltsamen Swing („Am Freitag gibt’s Fisch“). In Zeiten, in denen „der Staat“ eine seiner dringlichsten Aufgaben darin sieht, Tabakraucher zu kriminalisieren, sind Typen wie Söllner gar nicht hoch genug einzuschätzen. In diesem Sinne enden wir mit einem Zitat von ihm: „Ich scheiß auf eure Demokratie“.