Wie ein Vergewaltigungsvorwurf den Oscar-Kandidaten „The Birth of a Nation“ überschattet


In den USA löst ein Film über Sklaverei gerade Demonstrationen aus. Aber nicht gegen Intoleranz, sondern gegen den Regisseur. Vor 17 Jahren wurde Nate Parker nämlich der Vergewaltigung beschuldigt.

Als Regisseur Nate Parker sein Filmprojekt „The Birth of a Nation“ (startet am 17. Januar 2017 in Deutschland) anging, war er sich natürlich bewusst, dass der Film hitzige Debatten auslösen wird. Immerhin geht es um Sklaverei, die größte Schande in der Geschichte der USA. Parker übernimmt in „The Birth of a Nation“ auch die Hauptrolle, spielt Nat Turner, der 1831 einen Sklavenaufstand anführte. Doch obwohl der Film seit seiner Festivalpremiere im Januar als Oscar-Kandidat gilt, wich die Aufarbeitung der eigentlichen Geschichte um die Geschichte des Sklavenaufstands der Aufarbeitung der Vergangenheit des Regisseurs selbst.

Parkers Film gewann zwar den Publikumspreis in Sundance-Festival, dazu den Award der Jury. Der Film wurde für eine Rekordsumme an einen Verleih verkauft. Das Cannes-Festival ließ „The Birth of a Nation“ aus, der große Oscar-Hype sollte beim Filmfestival in Toronto im September starten. Doch dort gab es bereits fast nur noch ein Gesprächsthema: Hat Regisseur Nate Parker 1999 eine Frau vergewaltigt?

Freispruch, aber nicht unschuldig

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Dass der Regisseur und sein damaliger College-Zimmergenosse (und mittlerweile Co-Autor von „The Birth of a Nation“) Jean Celestine der Vergewaltigung beschuldigt wurden, kann man schon seit Jahren im Internet nachlesen. Doch in den vergangenen Wochen wurde das Thema in den US-Medien wieder aufgegriffen und sorgte im Fahrwasser der Film-Promo für Schlagzeilen und Debatten. Die Klägerin hatte damals behauptet, sie sei betäubt und dann missbraucht worden. Nate Parker, heute 36, wurde zwar von einem Richter von den Vorwürfen freigesprochen, aber nicht explizit als unschuldig bezeichnet. Jetzt, 17 Jahre später, sorgt seine Vergangenheit dafür, dass sein eigentlich wichtiger Film immer mehr in den Hintergrund gerät.

Nate Parker auf dem Poster zu „The Birth of a Nation“.
Nate Parker auf dem Poster zu „The Birth of a Nation“.

Auf dem Toronto Filmfestival sagt Nate Parker alle Interviews ab, eine Pressekonferenz musste reichen. Der vielleicht größte Regie-Newcomer des Jahres scheint bereits jetzt, zum offiziellen Start seines Films in den USA, komplett demontiert. Mehr noch: Aktivistinnen, die sich gegen Rape Culture engagieren, nutzen „The Birth of a Nation“ als Projektionsfläche. Parker selbst hatte sich für lange Zeit nur spärlich zu den Vorwürfen geäußert. Was die Kontroverse um den eigentlich abgeschlossenen Fall weiter anheizt: Die Frau, die den Regisseur damals der Vergewaltigung beschuldigte, nahm sich 2012 das Leben.

Parker habe laut eigenen Aussagen erst 2016 vom Tod seine damaligen Anklägerin erfahren, die Schwester der Verstorbenen sagte der „New York Times“, wie sehr sie sich darüber freue, dass Nate Parker nun doch noch mit Konsequenzen für seine Tat leben muss. Wenn auch nicht juristisch. Dass Parker selbst das Thema totschweigen möchte, wie Aktivistinnen behaupten, stimmt allerdings nicht. Auf der Pressekonferenz in Toronto sprachen mehrere Darsteller die Vergangenheit des Regisseurs an, forderten allerdings auch, dass das Thema des Films dadurch nicht überschattet werden solle.

Ein Filmposter als Vorwurf

Gabrielle Union, eine der Darstellerinnen in „The Birth of a Nation“, veröffentlichte einen Artikel in der „Los Angeles Times“, in der sie betonte, dass sie nicht leicht mit den Anschuldigungen gegen den Regisseurs umgehen kann. Die Schauspielerin wurde selbst Opfer einer Sexualstraftat. Doch auch Union möchte, dass der wichtige Film nicht im Schatten der Anschuldigungen gegen Parker steht.

„Vergewaltiger?“: Ein Künstler hat Fake-Plakate mit dem Bild des Regisseurs in Los Angeles verteilt.
„Vergewaltiger?“: Ein Künstler hat Fake-Plakate mit dem Bild des Regisseurs in Los Angeles verteilt.

Als Plakate zur Ankündigung des Kinostarts aufgehängt wurden, fühlte sich der Künstler Sobo dermaßen davon beleidigt, dass Parker die US-Flagge für die Werbung nutzte, dass er selbst ein eigenes Plakat entwarf. Er wandelte das Poster, das Parker mit der als Strick genutzten Flagge ab und schrieb „Rapist?“ („Vergewaltiger?“) statt dem Filmtitel darunter. Mehrere der so abgewandelten Poster hingen dann in Los Angeles.

Am gestrigen Donnerstag ist „The Birth of a Nation“ flächendeckend in den US-Kinos gestartet. Wenige Tage zuvor hat Nate Parker in der Fernsehsendung „60 Minutes“ zu den Vorwürfen und den vergangenen Monaten gesprochen: „Ich fühle mich nicht schuldig. Ich stand vor Gericht und wurde freigesprochen.“ Sein damaliger Zimmergenosse, der wegen der vermeintlichen Tat zwischenzeitlich im Gefängnis saß, dessen Urteil allerdings später revidiert wurde, verteidigte Parker ebenfalls: „Jean saß im Gefängnis für etwas, das er nicht getan hat“.

Keine Entschuldigung für Opferfamilie

Für die Familie der 2012 verstorbenen Klägerin hat Parker keine Entschuldigung übrig. Immer wieder forderten Aktivistinnen und Journalisten in den USA dies von dem Regisseur. „Ich finde es furchtbar, dass diese Frau nicht mehr da ist. Ich finde es furchtbar, dass ihre Familie mit so etwas klarkommen muss. Aber so wie ich hier sitze, eine Entschuldigung … nein.“ In dem Interview teilte er heftig gegen die US-Medien aus, die den Fall noch einmal öffentlich ausgeschlachtet haben. Parker ist sichtlich frustriert, den eventuellen Oscar für seine Arbeit – und der wurde nach der Premiere des Films schon als Möglichkeit gehandelt – scheint mittlerweile ein Ding der Unmöglichkeit. Parker hat zwar einen hervorragenden und wichtigen Film gedreht, steht aber trotzdem vor einem Scherbenhaufen.

Vor einem Kino in Los Angeles saßen am Donnerstag zum Kinostart Aktivisten. Während die erste Vorführung von „The Birth of a Nation“ lief, gedachten sie mit Kerzen vor dem Gebäude den Opfern von Vergewaltigungen. Das Sklaverei-Drama sollte ursprünglich in 1500 Kinos in Nordamerika anlaufen, zwischenzeitlich drohten Kinobetreiber, den Film nicht aufzuführen. Zu kontrovers sei der Regisseur, zu undurchschaubar die Debatte. Jetzt ist die Zahl der Kinos auf 2100 angestiegen.

Demonstranten vor einem Kino in Los Angeles.
Demonstranten vor einem Kino in Los Angeles.
Fox Searchlight Fox Searchlight
Sobo Sobo
Rebecca Ford Rebecca Ford