Wie es ihm gebührt


Morrissey war - verunglimpft undohne Plattenvertrag - für Jahre verschwunden. Doch jetzt feiert ihn Großbritannien wieder.

Der New Musical Express taufte sich für das Ereignis sogar um: „New Mozza Express“ hieß das Londoner Hofmusikblatt für eine Woche, als auf dem Cover endlich mal wieder Morrisseys Konterfei prangte. Nicht nur das. Zu Ehren des Titelhelden fehlten auf diesem Cover jegliche Schlagzeilen. Farbexplosionen und schweißglänzenden Torsi. Zu sehen war nur „Mozzer“ – angegraute Schläfen, schiefes Stockzahnlächeln, weißes Hemd. Krawatte. Elegante Klasse eben. Und dies von einem Blatt, das den Meister zwölf Jahre lang nur noch in die Pfanne gehauen hatte. Was war geschehen? Geschehen war zum Beispiel, dass die rund 10.000 Tickets für Morrisseys Geburtstagskonzert zu seinem 45. in der Evening News Arena von Manchester innerhalb von eineinhalb Stunden weg waren. Nicht schlecht für einen, dessen letzte CD vor sieben Jahren erschien. Geschehen war weiter, dass sich mit The Strokes. The Libertines und Franz Ferdinand gleich drei dergroßen Bands des Moments als praktizierende Morrissey-Fans geoutet hatten. Die Überflieger Franz Ferdinand ließen sich fürs besagte Konzert am 22. Mai sogar als Vorband engagieren. Allerdings steht auch endlich eine neue CD ins Haus – you are the quarry gehört zu den besten Alben in Morrisseys Karriere.

Und dann das nOCh: Dank eines Morrisseyhaft subtilen Meisterstreichs hat sich die Wahrnehmung von ihm in Großbritannien verändert. Schuld ist unoer the influence morrissey, die Compilation aus dem vergangenen Jahr, auf der der passionierte Popfan Lieder präsentierte, die ihn nachhaltig beeinflusst hätten. Die Stilspanne reichte von Sparks über Klaus Nomi bis zum Skiffle. Vor allem aber fiel eine Ska-Version von „Swan Lake“ auf. Bald darauf ließ Morrissey verlauten, er werde das Reggae-Label Attack neu beleben. Dabei hatte der Anfang seines Untergangsauf der Insel mit seinem Ausspruch begonnen. Reggae sei „widerlich“. Im politisch hochparanoiden Indie-Klima der 80er Jahre war das ein rotes Tuch. Sein Ruf stürzte weiter ab, als er sich anfangs der 90er Jahre bei einem Festival in London die britische Flagge umwickelte. Morrissey sei ein Rassist, hieß es. Songs wie „National Front Disco“ wurden herbeigezogen, um die These zu untermauern. Dabei lag Morrisseys Starruhm als Stimme von The Smiths auch darin begründet, dass seine Texte den Fan nicht für dumm verkauften. Sie bauten ihre Aussage mittels subtiler Anspielungen und ironiegetränkter verbaler Schattenspiele auf. Man musste sich mit ihnen auseinandersetzen. Eigentlich hätte man sehen müssen, dass eine Flagge um den Leib von Morrissey nicht das gleiche war wie ein darin eingewickelter Hooligan. Dass das Wort „Disco’den Worten „National Front“ (damals die lauteste Rassistenpartei auf der Insel] doch wohl einen anderen Drall gab. „Swan Lake“ und Allack haben diese Botschaft endlich klar gemacht. The SmithS. Vom NME Ende des letzten Millenniums zur „wichtigsten Band je gekürt. Der Schock ihres ersten Auftrittes bei „Top Of The Pops“ für die Single „This Charming Man“ (sie erreichte Rang 25] wird denen, die ihn erlebten, ewig in den Knochen bleiben. Damals es war im November 1983 – galten Synthis und Michael Jackson als die Zukunft. Hier aber war ein linkischer junger Filmstar aus den 50er Jahren, aus dessen Hosen Gladiolen hingen, und der mit der Stimme eines jungen Hundes den Charme eines jungen Mannes besang. Fünf großartige Alben lang waren The Smiths die interessanteste, provokativste, umstrittenste und bewegendste Band Grossbritanniens. Und eine der erfolgreichsten noch dazu. Heute wohnt Morrissey in Los Angeles. Er sei glücklicher denn je, sagt er. Fleißiger war er auch nur selten. Auf Attack erscheinen nächstens Nancy Sinatra’s Version vom Morrissey-Song „Let Me Kiss You“ sowie eine Single von James Maker, einst Sänger bei einer Lieblingsband von Morrissey, Raymonde. Dazu ist er für die Programmauswahl des im Juni in London stattfindenden Meltdown Festivals verantwortlich [in früheren Jahren war die Ehre Laurie Anderson. Robert Wyatt und Scott Walker zugekommen). Versprochen sind Auftritte der drei noch lebenden Ex-Mitglieder der New York Dolls, dazu Nancy Sinatra, Jane Birkin, die Sparks [mit dem Set von 1974], der Schriftstellerin Maya Angelou sowie der Libertines. Eines ist sicher: Morrisseys Comeback ist die Antwort auf das Stoßgebet, dass endlich wieder eine Band wie die Smiths daherkäme, die den Retorten-Stars von MTV und Viva zeigt, was ein wahrer Popsong ist. Einer, der mit dem Refrain weder anfängt noch aufhört.