„Wir lieben Hannover!“


Hinter jedem dieser Bilder steckt eine Geschichte. Conrad Keely von …And You Will Know Us by the Trail of Dead erzählt sie uns.

1 Scorpions

Ihr achtes Album haben die Texaner Trail Of Dead in Niedersachsens Landeshauptstadt aufgenommen.

Warum nehmen die Deutschen Hannover nicht ernst? Eine Stadt, deren Wahrzeichen immerhin eine alte Hardrockband ist? Wir waren auf vieles vorbereitet, auf eine Stadt ohne Eigenschaften. Was wir vorfanden, waren: nette Menschen, Kneipen mit schmackhaften Speisen und anregenden Getränken, eine lebendige Musiklandschaft, lauschige Parks und Häuser wie überall sonst, manche hübscher, andere hässlicher. Eigent-lich ging es uns bloß um ein preisgünstiges aber funktionstüchtiges Aufnahmestudio. Das fanden wir bei Horus Sound in der Osterstraße. Dass sich angeblich aufregende Städte allein durch den Aufenthalt atmosphärisch in der Musik niederschlagen, halte ich ohnehin für einen Mythos. Wir lieben Hannover!

2 Kambodscha

Seinen Hauptwohnsitz unterhält der Sänger und Autor Conrad Keely mittlerweile in Phnom Penh.

Ich lebe in Südostasien, in der Hauptstadt Kambodschas. Das Bild zeigt allerdings nicht meine Nachbarschaft, sondern einen Ort, den jeder Westler kennt, auch wenn er noch nie da war: die Tempelanlage von Angkor Wat. Leider kann man das iPhone nicht sehen, das der Mönch garantiert unter seinem malerischen Gewand verbirgt. Nicht im Bild sind auch die Killing Fields der Roten Khmer. Die liegen direkt vor meiner Haustür, wie auch das Völkermord-Museum. Kambodscha hat eine ganze Generation verloren, die heute zwischen 30 und 60 wäre. Es ist das Land der Jugend, die sich nun ihr eigenes Reich aufbaut. Man fühlt sich großartig dort, und jeder hofft, dass Kambodscha nie so werden wird wie Thailand nebenan. Einen Teil meiner Kindheit habe ich in Thailand verbracht und gesehen, wie ein Volk sein Land verkaufen kann. Übrigens gehört Angkor Wat bereits den Chinesen. Auch davon erzählt das Bild leider nichts.

3 Tao

Das siebte Album von Trail Of Dead trug den Titel Tao Of The Dead. Keely gilt als überzeugter Taoist.

Religionen waren mir immer fremd. Taoismus ist eine buddhistische Philosophie. Sie hat nichts zu tun mit Metaphysik, dem Leben nach dem Tod und solchem Quatsch. Christentum und Islam sind vom Sterben besessen, das macht sie so destruktiv, so lebensfern und weltfremd. Was schert mich der Himmel? Die Weltreligionen werden letztlich dafür sorgen, dass die Menschheit sich entzweit, in Ost und West, bis zum allerletzten Krieg. Wir Taoisten kümmern uns um das Leben und die Welt. Im Taoismus geht es ums Hier und Jetzt, um Toleranz. Das „Tao Te King“ ist eine exzellente Schrift, ein Lehrbuch für den alltäglichen Pragmatismus. Jeder sollte das gelesen haben. Alles wäre besser.

4 Baptisten

Modernen Mythen zufolge entsprangen Trail Of Dead einem baptistischen Kirchenchor in Austin.

Ach. Früher haben wir so viele unsinnige Legenden über Trail Of Dead verbreitet, dass wir sie wohl nie wieder loswerden. Ich schwöre bei Gott: Wir sind keine Baptisten, wir waren nie in Kirchenchören. Nicht mal Christen sind wir. Das war alles nur ein Witz auf Kosten bibelhöriger Texaner, die daran glauben, die Welt wäre 9 000 Jahre alt. Mit denen möchte ich nichts zu schaffen haben. Liebe Leute: Bitte hört auf, alles zu glauben! Ja, ich bin Texaner. Aber ich bin um Himmels willen nicht auf einer Farm unter Rindern aufgewachsen, wie es von dämlichen Biografen unbeirrt verbreitet wird. Sondern in Austin. Dallas und Houston würde ich sofort bombardieren. Obwohl: Houston nicht, da habe ich Freunde. Aber Dallas könnte weg.

5 Strawberry Fields

In seinen musiktheoretischen und kulturhistorischen Schriften kam Conrad Keely immer wieder auf das Spätwerk der Beatles zurück.

Ich habe stets betont: Die Beatles haben mit „Strawberry Fields Forever“ den Prog Rock erfunden. Wenn es um Begriffe geht, bin ich ausgesprochen pragmatisch. Musiker tun sich häufig schwer mit pauschalen Zuschreibungen. Warum eigentlich? Prog Rock bedeutet nun mal: progressiver Rock. Also Rockmusik, die den Rock vorantreibt und nicht immer wieder regressiv auf sich selbst zurückwirft. Für mich gibt es da nur Schwarz und Weiß. Also entweder Musik, die das Neue wagt – dann soll sie Prog Rock heißen. Oder Musik, die es vor 30, 20 oder zehn Jahren schon gab – dann nenne ich sie „Retrock“. So einfach ist das. Wie jede großartige Band konnten die Beatles locker beides. Ich könnte auch sagen: „Tomorrow Never Knows“ ist die Matrix des Prog Rock. „Tomorrow Never Knows“ könnte allerdings genauso gut als erstes HipHop-Stück gewürdigt werden, wegen seines Drum-Loops. Die Beatles genossen noch den Luxus, bei vielem die Ersten zu sein. Dafür liebe und hasse ich sie von ganzem Herzen.

6 Comic Art

Auch als Zeichner elaborierter Graphic Novels hat sich Keely weltweit einen Namen gemacht.

Dieser Kunstdruck basiert auf einer Kugelschreiberzeichnung zu mei-nem Comic „Strange News From Another Planet – The Adventures Of The Festival Thyme“. Das Bild zeigt ein paar meiner Figuren und Helden. Das blinde Orakel zum Beispiel. Ich will jetzt nicht meine Kunst erörtern, das würde der grafischen Literatur das Magische nehmen. Musik kann man besser erklären. Ich bin geprägt von J.R.R. Tolkien, Leo Tolstoi, Jane Austen. Ebenso von Zeichnern wie Maxfield Parrish oder von Andy Warhols Ideen, weniger von seinen Bildern. Gott, sind wir nicht von allem beeinflusst, was wir lieben und hassen? Nehmen wir Jackson Pollocks scheußliche Gemälde. Ich habe aber immer verstanden, dass er die Welt gar nicht anderes sehen konnte damals. Als traurigen Überrest des letzten Atomschlags. Auch das ist Taoismus: Es gibt das Gute nie ohne das Böse, kein Yin ohne Yang. Schaut euch das Bild zum Tao an!

7 Hildegard

Als wesentlichen musikalischen Einfluss nennt Keely momentan die Benediktinerin Hildegard von Bingen, gestorben 1179.

Ich fand Hildegards Musik immer schon außergewöhnlich. Mein iPod ist voll mit all den Songs aus ihrer Symphonia Armonie Celestium Revelationum, in allen möglichen Interpretationen. Eine Gruppe heißt The Anonymous Five, eine super Vokalband aus New York. Am nachhaltigsten hat Hildegards Musik allerdings unseren Instrumentalstil geprägt. Ich weiß, man hört das nicht so. Aber mir reicht es, wenn ich es höre. Das Universelle in der Musik. Keine Sorge: Mir ist schon klar, dass Hildegard heute vor allem von Spinnern angehimmelt wird, als Kräutertante. Dabei könnte ich einen ihrer Zaubertränke gerade gut vertragen, gegen meine Erkältung. Ich habe sogar Fieber. Ich leide.

8 Pussy Riot

Eines ihrer Stücke, „Up To Infinity“, haben Trail Of Dead ausdrücklich dem russischen Punk-Kunst-Kollektiv Pussy Riot gewidmet.

Drei Mädchen, die fürs Singen ins Gefängnis wandern: Das macht mich rasend. Tyrannei ist nicht allein die Angelegenheit der Menschen, die unter ihr leiden. Sie geht uns alle an, bekämpfen wir sie! Gerade weil Tyrannei ein Teil der menschlichen Natur ist. Mir ist schleierhaft, wie Musik zu einem so unpolitischen Medium werden konnte. Wir sind politische Wesen, wir alle. Trail Of Dead haben sich immer als politische Band verstanden. Hört auf unsere Texte! Kürzlich haben wir in Hamburg gespielt, im Molotow, der Club soll abgerissen werden. Das Gleiche passiert überall. In Austin wird gerade die ganze Innenstadt verscherbelt. Die Kultur macht Platz für den Konsum, für Handelsketten und Markenläden. Das wird uns als Fortschritt verkauft. Aber es ist die absolute Tyrannei: die Macht des Geldes. Spielen wir dagegen an wie Pussy Riot in Russland. Alles ist politisch.