Yellowman


Wie kommt's, daß ein Albino zum schwarzen Schaf wird? Warum ist der gelbe Mann in Jamaica bekannter als der bunte Hund? Ulli Güldner hat's schwarz auf weiß.

Er ist – nach Marley – der größte Exportschlager, den Jamaica in 22 Jahren Unabhängigkeit herangezogen hat. Niemand setzt momentan in der Reggae-Welt mehr Platten ab; wenige haben seine Produktionsquoten erreicht – mehr als 30 LPs in weniger als drei Jahren, mehrere hundert 7 und 12-lnch Singles im selben Zeitraum – und wenn er heute behauptet, einen Erdrutschsieg davonzutragen, würde man ihn für die nächsten Wahlen aufstellen, dann sollte man ihm lieber nicht widersprechen.

Winston Foster, King Yellowman, der Cassius Clay unter den Rappern, der E.T. des Reggae, ist der „Toast von Jamaica“ Und es gibt keine Anzeichen dafür, daß irgend jemand in absehbarer Zeit in der Lage ist, seine Position ernstlich zu gefährden.

„Im Juli war ich das Thema einer Parlaments-Debatte. Ein Minister schlug vor, mich zukünftig nicht mehr zu kritisieren Verständlich, schließlich sind Regierung wie Opposition auf mich angewiesen. Wenn sie ihre Shows promoten – wer außer mir soll ihnen denn die Stadien füllen ? Für Jamaica bin ich das, was Michael Jackson und Boy George für den Rest der Welt sind …“

Man muß Yellowman in seiner eigenen Manege gesehen haben, um ihm zu glauben. Mir war es im Sommer ’83 zum „Reggae Sunsplash“ in Montego Bay erstmals vergönnt. Das yellow fever, wie es eine der beiden jamaicanischen Radio-Stationen nannte, grassierte zu diesem Zeitpunkt seit mehr als 18 Monaten: an jeder Ecke pumpten die schweren amerikanischen Tapedecks die Sounds der letzten late nite sessions auf die Straße: „Im Getting Married In The Morning“, „Im Getting Divorced In The Evening“, „Jack Spratt“, „Soldierman Tajse Over“, „Sensimilla“ … Yetfowman hatte in diesem Sommer mehr Hits als andere Headliner des Festivals Songs. Wenn ein Toast auf Jamaica wirklich populär ist, kann er im 20-Minuten-Takt laufen, und zwar überall! Sein bis heute nicht totzukriegendes „Mad Over Me“ drang gar bis zur Interconti-Poolbar herüber diese dumpfe, drohende Stimme, die sich von anderen DJ’s unterscheidet wie die Toten von den Lebenden: ….. fish & chips and chicken & chips and almost everything nice with chips, maccaroni, rice and beans, you lick yourlips … PASS THE KETCH-UP, PLEASEH!“ Ein kurzes, heiseres Lachen, bis das Ganze dann in den Singalong-Refrain eines Werbespots umkippt: „grace jamaican ketchup …“

Kein Jingle sitzt schneller – einmal gehört, nie mehr vergessen.

Auf dem Weg zum Festivalgelände war die Stimme dann wieder da, diesmal eine Version von Derrick Harriots Rocksteady-Klassiker „Solomon Is The Wisest Man“ (Zu „Yellowman Is The Wisest Man“ abgeändert) aus dem Autoradio quäkend. Aber was sind all diese kleinen schwarzen 45er gegen 45 Minuten Yellowman live? Was ist eine Rundfunkreportage gegen einen Logenplatz am Ring.

Yellowman hatte weiß Gott leichtes Spiel. Er brauchte nicht mehr zu tun, als sich vorm Mikrophon aufzubauen, die Fäuste in die Luft zu recken, weise zu lächeln und sich die ganze Welt in gelb zu wünschen.

Gelb ist seine Farbe. Er sieht als Albino ohnehin aus, als hätte er die Gelbsucht; dazu erscheint er regelmäßig mit geib getönten Brillengläsern, gelbem Polohemd und gelben Jogging-Hosen. 30000 Zuschauer im vollbesetzten „Bob Marley Performing Centre“ waren jedenfalls verrückt nach ihm.

Seine junge Sagittarius Band ließ Michigan & Smileys erprobten „Diseases“-Track in einen brachialen Dub rattern, Yellowman begann mit einem Zungenbrecher von einem Rap, „Zungguzungguguzungguzeng“ und die 30000 führten sich auf, als ob sie Jesus am Kanaa-See mit Brot und Fisch vorm Verhungern bewahrt hätte. War Jesus auch Albino? Mir wurde gelb vor Augen …

Sonnenklar, daß er nach einem solchen Einstieg ein sicheres Heimspiel hatte. Vor der Bühne balancierte jeder, der etwas auf sich hielt, seinen Radiorecorder auf dem Kopf. Das Echo hallte in Montego Bay noch tagelang nach. „Yellow Magic“ verkündeten die Tageszeitungen am nächsten Morgen. Wie gesagt, man mußte das Schauspiel miterlebt haben, um es zu glauben.

Weitere 18 Monate später hält die Nachfrage nach Yellowman unverändert an. Er hat sich mittlerweile in Forest Hills eingenistet, einem Prominentenvorort von Kingston, wo er in unmittelbarer Nachbarschaft zu Reggae-V.I.P.’s wie Michael Rose, Dennis Brown, John Holt, Charly Chaplin und Sly Dunbar residiert; er tritt an manchen Abenden bis zu viermal auf und wenn er sich in seinem brandneuen BMW durch die Gegend chauffieren läßt, stellt die Regierung nicht selten eine

Polizei-Eskorte zur Verfügung, um ihn unbeschadet aus den Menschenmassen herauszulotsen.

Es ist tatsächlich so, wie Peter Metro, Jamaicas Eddie Murphy, bei „Calypso, Calypso“ behauptet: “ The höhest DJ they call him Yellow/the car that him drive is a BMW/him never drive fast/him always drive slow/ around every corner him hörn have fiblow …“

Yellwomans Anfänge liegen weitgehend im Dunkeln. Als Albino zur Welt zu kommen, ist in Jamaica gleichbedeutend mit aussätzig zu sein – wohl deswegen hat er seine Eltern als Kind nie zu Gesicht bekommen. Daß bei dem Einkommen, das er heute einstreicht, zumindest seine Mutter und eine in London lebende Tante wieder von ihm wissen wollen, ist nur zu verständlich.

Yellowmans früheste Erinnerungen reichen zurück bis zu der Zeit, die er als Adoptivkind im „Maxfield Park Children Home“ verbrachte. Mit sieben Jahren schickt man ihn auf die beruchtigte „Alpha Boys School.“ die mehr Drop-Outs zu Reggae-Musikern gemacht hat als jede andere Schule in Jamaica.

Danach ist er immerhin in der Lage, eine Stellung zu ergattern als Wärter im Zoo von Kingston. Ein Job, an dem er so hängt, daß er ihn erst niederlegt, als er Gagen fordern kann, von denen seit Bob Marleys Tod kein Reggae-Act mehr zu träumen wagte. Seinen ersten Break schafft er bei der „Tastee Talent Show“, danach gewinnt er diverse DJ-Contests, Ende ’81 öffnen sich ihm alle Studiopforten.

Letzteres war nicht unbedingt eine Selbstverständlichkeit:

„Als Albino ausgelacht und aufgezogen zu werden, vor allem von den Mädchen, damit hab‘ ich schnell fertig zu werden gelernt“, sagt er. „Aber das war ja längst nicht alles! Produzenten haben mir immer wieder versucht klar zu machen, daß niemand einen Albino-Rapper sehen will, niemand! Ich durfte mich nicht einmal in den Studio-Yards blicken lassen. Sogar mein Name, das war eher ein Schimpfwort als ein Spitzname … ich hab‘ ihn gehaßt. Es hat lange gedatiert, ehe ich begriff, daß ich daraus Kapital schlagen konnte. „

Ausgebeutet hat Yellowman seinen Albino-Status bis an die Grenze des Erträglichen – er ist das aberwitzigste Sex-Symbol, das Jamaica je gesehen hat.

Was ist eigentlich an der Story mit seinen 110 Freundinnen dran? „110 … das ist doch schon gar nicht mehr aktuell. Ich kann beim besten Willen nicht sagen wieviele es heute sind Nun, Grund sich zu beklagen, hat Yellowman weiß Gott nicht; und wenn auch nur ein Bruchteil seiner Albino-Power und Potenz, die er an die große Glocke hängt ( ….. she look under me and say: God Almightyl/I say: shut your mouth, it’s only 10 feet!) der Wahrheit entspricht, dann ist er wirklich ein beneidenswerter Zeitgenosse. Daß dabei vieles, was er auf der Straße aufschnappt und in seine Toasts einbringt, an den Haaren herbeigezogen ist. gesteht er freimütig ein. Bei „Sensimilla“ schwadroniert er z.B.: „… the Queen says; Yellow. the ganja have fi share/ so mi light up the chalice inna Downtownsquare/ Seaga (Jamaicas Premierminister), the judge, the Queen were there … butmino care – Yellowman smoke the ganja everywhere …“

Würde er natürlich nicht! Jawohl, keine Drogen, kein Nikotin, kein Alkohol, keine Kopfschmerztabletten – in dieser Beziehung ist Yellowman päpstlicher als der Papst oder Michael Jackson. Aber an dem Thema vorbei kann er nicht, meint er.

„Eine meiner Stärken ist, daß ich genau weiß, was meine Popularität ausmacht. Ich kümmere mich nach wie vor um lokale Affären. Wenn andere Reggae-Acts groß genug sind, konzentrieren sie sich aufs internationale Geschäft. Aber in Jamaica vergessen dich die Leute schnell. Die Sounds ändern sich dauernd, du mußt wissen, was der letzte Schrei ist, die letzten Schlagwörter, der letzte Slang, die letzten Tänze … vorgestern der ‚Cool & Deadley‘, gestern ‚Water Pumping‘. heute Shoulder Move‘, morgen ‚Rockin Belly‘ (den er mit einer seiner jüngeren Singles eingeführt hat) …

Deswegen gehe ich nach wie vor zu Aces‘ (das Sound System, das ihn an die Macht gebracht hat) und check aus, was gerade läuft. Du kannst dir nicht leisten, lange wegzubleiben, sonst bist du bald passe …“

Yellowman den rang abzulaufen, hat von der ganzen Flut an Dancehall-Sängem, Singjays und Speed-Rappern noch keiner vermocht. Neue DJs nennt er oft mitleidig“.meine Azubis“und daß sich manche davon Namen zulegen wie Peter Yellow, Mellow Yellow oder Purple Man, scheint ihn nicht weiter zu kümmern, genausowenig wie die Flak, die er sich für Sentenzen wie „… man made God/ God made money/ Satan made woman to steal man ’s money …“ einfing.

„Jamaica steht zu 95 Prozent hinter mir. 5 Prozent geißeln mich für solche Worte, vor allem die Presse. Die machen den Fehler, so etwas ernst zu nehmen. Aber mir ist das völlig gleich, außerdem: Ihre Angriffe helfen mir ja letztendlich, noch populärer zu werden!“

Die Gefahr, sein Pulver zu schnell zu verschießen, kann er nicht erkennen. Im Gegenteil:

„Für ’85 rechne ich mit vier, fünf neuen LPs. Dann ist da noch ein Projekt mit Run DMC und eines mit Charly Chaplin (gegenwärtig Jamaicas Nr.2). Außerdem rennen mir alle DJs die Tür mit der Bitte um ein Duett ein …Ich glaube, es wäre allmählich an der Zeit, meinen Ausstoß mit einem Eintrag im Guiness Buch der Rekorde zu würdigen!“