Zeitreise auf Tastendruck


Hauptsache analog: Keyboards aus grauer Vorzeit sind wieder populär. ME/Sounds nimmt den Kult aufs Korn und betastet Minimoog und Co.

Er starb im Alter von elf Jahren. Sein Vater, Robert Arthur Moog, war damals schon längst über alle Berge, arbeitete in einer anderen Stadt bei einer anderen Firma. Doch Sohnemann Minimoog ging beileibe nicht einsam von uns. Er konnte sich über 13.251 Brüder freuen, die alle zwischen 1970 und 1981 das Licht der Welt erblickt hatten. Und über viele Freunde: ]an Hammer, Keith Emerson und Rick Wakeman kitzelten bereits in seinen Kindertagen alles aus ihm heraus, Erasures Vince Clarke, Jamiroqais Toby Smith und zahllose andere Keyboarder schwören noch heute auf die Qualitäten des wohl berühmtesten Synthesizers der Welt.

Dabei sind aktuelle Geräte weniger störanfällig, voll programmierbar, stimmstabil und liefern ihre Sounds in glasklarer CD-Qualität. Ist die plötzliche Popularität analoger Steinzeit-Synthies also lediglich ein Spleen snobistischer Tastendrücker, die allenfalls gegen den digitalen Strom japanischer Klangerzeuger schwimmen wollen? Ingenieur Robert A. Moog weiß, was Musiker an seinem Kind finden: „Der Minimoog klingt einzigartig, was an seinen dezent verzerrenden elektronischen Filtern, seinem schnellen Anschlag und an den Nebengeräuschen der Oszillatoren liegt.“ Aha. Musiker drücken das etwas volkstümlicher aus: Der Minimoog, so ist in einschlägigen Kreisen zu hören, klinge einfach so fett wie kein anderer Synthie.

Dazu kommt natürlich ein gerüttelt Maß an Kultstatus, immerhin waren Moogs Geräte die ersten Synthesizer überhaupt. 1965 stand der Prototyp, zwei Jahre später ließ sich George Harrison einen der damals noch äußerst unhandlichen Klangerzeuger in seiner Wohnung installieren – angeblich das erste Exemplar im Vereinigten Königreich. Harrison produzierte mit dem Moog eine reichlich abgedrehte „Electronic Music“, die mit letzterer allerdings ziemlich wenig gemein hatte. Die Scheibe klang eher wie eine Ansammlung atmosphärischer Störungen aus dem Kurzwellenradio. Doch daß man mit dem anfangs belächelten Gerät auch das etablierte Kulturgut des Abendlandes gekonnt vertonen kann, bewies Wendy – damals noch Walter – Carlos. Ihr ‚Switched On Bach‘ ließ 1969 die Kassen klingeln und bescherte Bob Moog volle Auftragsbücher. Synthesizer waren plötzlich gesellschaftsfähig, und der Minimoog war die tragbare, und damit bühnentaugliche Konsequenz dieses Booms.

Die Konkurrenz erwachte. „Nichts ist unmöglich“ dachten sich Nippons Söhne wohl schon in den Siebzigern und machten Mr. Moog fortan das Leben schwer: Ihre Geräte waren zuverlässiger, klangen gut und waren weitaus billiger als die amerikanischen Kontrahenten. Das aktuelle Interesse an Tasten-Oldies beschränkt sich folglich nicht nur auf die Geräte des Synthie-Papas Moog: Die Modelle SH101 und TB303 des japanischen Herstellers Roland erfreuen sich gerade in Tekkno-Kreisen höchster Wertschätzung. Und Rolands betagte Drum-Maschine TR909 sorgt zudem für den gleichermaßen angesagten wie berüchtigten Klapper-Rhythmus.

Die Rock-, Pop- und Acid-Jazz-Fraktion läßt das natürlich völlig kalt, doch auch im Reich der handgemachten Klänge schielt man technologisch betrachtet gerne in den Rückspiegel. Fenders ‚Rhodes‘-Piano und Hohners ‚Clavinet‘ gemahnen beispielsweise an den Funk-Rock der Siebziger und bescheren trendigen Rare Groove-Muckern authentische Klangerlebnisse. Seit Deep Purple selig sind erstmals auch röhrenbetriebene Hammond-B3-Orgeln im furnierten Wohnzimmer-Design samt rotierender Leslie-Lautsprecher wieder en vogue. Worüber alle, die eine tragende Rolle spielen, gar nicht lachen können. Roadies stöhnen, denn ein Anstieg berufsbedingter Bandscheibenvorfälle ist dank Hammond-Boom wohl unvermeidlich.

Und noch ein Schwergewicht macht wieder von sich reden: Das Mellotron, ein musealer Sampler, der seine Geigen-, Flöten- und sonstigen Töne auf Tonbändern abspeichert, sorgt in Studios für wimmernde Retro-Romantik. Was einst den Beatles, Pink Floyd und King Crimson recht war, ist den Red Hot Chili Peppers, Lenny Kravitz oder Frank Black billig. Offenbar allen Intonationsproblemen zum Trotz, denn das motorgetriebene Mellotron hat die unangenehme Eigenschaft, sich aufgrund von Gleichlaufschwankungen ständig zu verstimmen. Aber wer hip klingen will, muß offenbar leiden.

Letzeres darf auch, wer Bob Moogs Neuauflage des antiken Theremins sinnvolle Klänge entlocken will. Das Theremin ist der erste künstliche Klangerzeuger überhaupt, 1919 erdacht und konstruiert von dem russischen Physiker Lev Sergeyevich Termen. Die Besonderheit: man spielt das Theremin, ohne es zu berühren. Um Frequenz oder Lautstärke zu verändern, führt man seine Hände lediglich um zwei Antennen. Das macht sich optisch zwar gut, erfordert aber eine strikte Körperbeherrschung. Fortgeschrittenen Anwendern wie dem britischen Dance-Duo Portishead gelingen damit süße Klänge von schauriger Schönheit. Anfänger sollten sich jedoch erst einmal als Sirene bei der amerikanischen Polizei bewerben. (Herzlichen Dank an R. Weißflog, Keys, Roland und das Synthesizerstudio Bonn)