Zwei Alben in Tateinheit mit einem Buch, dazu die Verfilmung von „Herr Lehmann“: In der sonst so ruhigen Welt von Element Of Crime tut sich einiges.


Draußen hinterm Fenster quält sich Berlin durch einen nasskalten Herbstvormittag. Um die fünf, sechs Grad mag es vielleicht haben, die gefühlte Temperatur liegt deutlich darunter. Sven Regener und Jakob llja sitzen in einem Hauptstadt-Cafe, bestellen sich einen Tee und stellen gleich mal was klar: Die beiden Best-Ofs von Element OfCrime sind gar keine. „Wirsehen das als Retrospektive“, erklären sie unisono. „Plattenfirmen wollen natürlich gerne Best-Ofs machen. Ich halte Best-Ofs aber für einen ganz komischen Ansatz, außer man ist schon tot. Als Musiker kann ich das nicht gutheißen, wieso soll der eine Song besser sein als der andere? Man hat alle gern gemacht und findet sie alle gut.“ Sven Regener hat sich warm geredet. Er zündet sich eine Zigarette an, nimmt noch einen Schluck Tee und legt dann richtig los: „Die Auswahl, die wir getroffen haben, soll die Songs, die wir nicht genommen haben, ja nicht denunzieren. Deswegen sind es keine Best-Ofs.“ Leuchtet irgendwie ein. Am 25. November erscheinen zwei Elements- Alben, das eine, schlicht mit „1985-1990“ betitelt, hält – chronologisch geordnet – 13 Songs von den ersten vier Platten der Band parat, das andere, „1991-1996“, hat 13 Stücke aus den Alben „Damals hinterm Mond“ „Weißes Papier“, „An einem Sonntag im April“ und „Die schönen Rosen“ auf Lager.

„Wir wollen Leuten, die die Band vielleicht erst mit den beiden letzten Alben entdeckt haben, die Möglichkeit geben, in die Welt der Elements einzutauchen“, sagt Jakob llja. Die Songs von „Psycho“ und „Romantik“ seien noch zu „nah da“. Außerdem, so ergänzt Regener, sei „1985-1990“ und „1991-1996“, „ganz charmant“. Das erinnere ihn an „1962-1966“ und „1967-1970“. „Die eine war rot, die andere blau umrandet.“ Und wer einen Blick auf die Cover der beiden Elements-Retrospektiven wirft, wird als weitere Anspielung auf die zwei Beatles-Alben einen blauen Stuhl und einen roten Tisch entdecken.

Alten Resten geben Element Of Crime auf den beiden CDs keine Chance – bislang unveröffentlichte Songs sucht man vergebens. Das wäre ein billiges Verkaufsargument“, meint Jakob Ilja, „unfair, unredlich“, legt Sven Regener nach. Immer wieder betonen beide, dass man den Ball flach halten wolle. Man spürt, dass die Entscheidung für diese beiden Platten der Band nicht ganz leicht gefallen ist. Aber jetzt, wo das Ergebnis auf dem Tisch liegt, ist man doch ganz zufrieden. Und ein bisschen erleichtert. Jch hab mir auch immer gedacht, wenn es erst mal so weit ist, kann man sich ja gleich bei Madame Tussaudins Wachsfigurenkabinett stellen. „Parallel zu den beiden Platten erscheint ja auch noch ein Buch über Element Of Crime in der vom Hannibal Verlag herausgegebenen Reihe „Musik Makers“. „Was nicht unsere Idee war“, wie Regener betont. .Aber man muss sich damit anfreunden, dass man so eine Band ist, über die man schon einen historischen Abriss schreiben kann. Und damit, dass man schon so alt ist.“

Bei aller Koketterie mit dem eigenen Alter klingt aber auch ein wenig Stolz mit, wenn Sven Regener und Jakob Ilja, die nun schon seit fast zwanzig Jahren zusammen Musik machen, über die Entwicklung von Element Of Crime sprechen. „Im Nachhinein zu erkennen, dass da von Anfang an ein bestimmter Stil zu erkennen ist, das war ein sehr schöner Moment“, so Ilja. Und Regener stimmt ihm bei: „Man kann nachhören, wie sich das langsam entwickelt hat, wie man bestimmte Sachen nie aufgegeben hat, wie sich ein roter Faden durch das Ganze zieht. Im Nachhinein ergibt vieles einen seltsamen Sinn. In jedem der alten Stücke erkennt man einen Keim von dem, was wir später gemacht haben.“

Auch auf „III Warm You Up“, „Moonlight“ und „A Hundred Floors Higher“, jenen drei Songs vom Debütalbum „Basically Sad“, die ziemlich atonal dahertorkeln. Auch der Sound ist nicht wirklich optimal. „Da kannst du so viel mastern wie du willst“, lacht Jakob Ilja, „das hilft nichts. „Und Sven Regener meint: „Als später dieser LoFi-Kult entstanden ist, hab ich mich echt geärgert. Warum kam der nicht fünf Jahre früher, wir waren LoFi-Männer der ersten Stunde. „So aber wundert er sich heute, „was für ein wilder Vogel“ er damals war, „was für eine wilde seltsame Musik“ sie damals gemacht haben. Er schmunzelt über die Zeit, als sie „einen beschissenen Vertrag hatten“, von dem ihr Anwalt meinte, dass er gerade nicht sittenwidrig“ sei. Und er denkt ohne Wehmut zurück an die Zeit, als sie für die Aufnahmen zu einem Album gerade mal fünf Tage eingeräumt bekamen. Heute weiß er dafür: „Rock’n Roll muss nicht teuer sein. Man kann auch in ein paar Tagen eine gute Platte aufnehmen.“

Die alten Zeiten ver klaren will er nicht „Es ging uns ja nie richtig schlecht, man soll da auch nicht so ein Kitschbild malen. Wir haben recht früh recht viele Fans gefunden, wir waren immer privilegiert. “ Nur eines hätten sie vielleicht ein bisschen zu spät bemerkt: Das mit den Videos. „Es wurde immer gesagt: Video muss sein. Aber irgendwann muss man das durchbrechen und sagen: Nee, dass muss überhaupt nicht sein. Das Musikvideo ist ein Irrtum. Es gibt keinen Grund, ein Kurzfilmchen zu einem Lied zu drehen. Entweder die Musik genügt sich selbst, oder man hat versagt Die Musikindustrie hat sich damit ihr eigenes Grab geschaufelt. Sie hat den Leuten suggeriert, dass I Musik allein nicht genug ist. Das ist der letzte Schwachsinn. Das wäre genauso, als würde man sagen, einen Roman kann man nicht rausbringen, wenn keine Bilder drin sind. Songs müssen sich selbst genügen, müssen ihr eigener Film sein. Das Musikvideo war ein folgenschwerer Irrtum, der viel Geld gekostet und der Musik viel von ihrer Bedeutung genommen hat.“ Sven Regener hat sich in Rage geredet. Soweit das einer, der die Lakonik für sich gepachtet hat, das überhaupt kann. Und wenn man ihm so zuhört, wie er da sitzt, sich mit seiner vom Rock’n’Roll gezeichneten Stimme darüber auslässt, dass Musikvideos ein totaler „Schmarm“ seien und diesen urbayerischen Ausdruck völlig ohne rollendes „R“ ausspricht, so dass es wie „Schmahn “ klingt, dann kommt ein bisschen der Herr Lehmann durch, dem er auf der Lesereise zu seinem überaus erfolgreichen und viel gelobten Roman seine Stimme geliehen hat. Während dieses Heft im Druck war, hat Sven Regener für „Herr Lehmann“ übrigens die „Corine“ den internationalen Buchpreis des Verbands der bayerischen Verlage und Buchhandlungen, bekommen. Das aber nur am Rande.

Zur Zeit wird „Herr Lehmann verfilmt, das Drehbuch lieferte Regener selbst. Was jetzt jedoch damit passiert, scheint ihn irgendwie nicht so recht zu berühren. „Wenn man die Verfilmungsrechte verkauft, muss man sich auch davon verabschieden. Das wird ein Film von Leander Haußmann, nicht von mir. Und der wird den Kopf dafür hinhalten. Ich halt‘ mich da raus. „Dass ausgerechnet der hyperaktive MTV-Spaßvogel Christian Ulmen die Rolle des ambitionslosen Herrn Lehmann spielen soll, lässt Regener ahnlieh kalt. „Ich habe mit dem Casting nichts zu tun gehabt, vielleicht ist er ja ein super Schauspieler. „Der Gedanke, die Rolle selbst zu übernehmen, kam ihm nie: Jch bin kein Schauspieler. Außerdem bin ich zu alt, ich kann keinen Dreißigjährigen spielen.“

Und wie geht es jetzt weiter? „Wir haben einen neuen Bassisten (Langzeit-Produzent und Tour-Gitarrist David Young ersetzt Christian Hartje, der die Elements verlassen hat), die Band funktioniert sehr gut, da ist einiges möglich. Aber man muss sich die Zeit geben zu überlegen: Wo komm ich her, wo geh ich hin, wo stehen wir, was soll das alles? Und wo sind die Ideen für neue Lieder? Das Schönste an dem Status, den die Band inzwischen hat, ist, dass man sich nichts mehr beweisen muss.“

Aber eine neue Platte wird es schon wieder geben, oder? Sven Regener will sich – zumindest auf den Zeitpunkt – nicht festnageln lassen: „Wenn man ein neues Album macht, sollte man einen sehr guten Grund haben. Sehr schöne Lieder zum Beispiel. Wir haben uns keinen Zeitplan gesetzt. Von Druck kommt nichts Gutes. Das wird oft idealisiert, so von wegen der Künstler in der Not. Aber das hilft der Musik nicht weiter. Musik wird nicht aus der Not geboren, sondern aus dem Bedürfnis nach Musik.“Und ein Bedürfnis nach der Musik von Element Of Crime besteht immer.

www.element-of-crime.de