Róisín Murphy

Take Her Up To Monto

PIAS/Rough Trade

Ist das immer noch Tanzmusik? Dann aber wohl Ausdruckstanzmusik.

„Von den Aufnahmen zu unserer letzten Platte ist so viel übrig geblieben, deshalb haben wir uns entschieden, einfach noch ein Album draus zu machen.“ Zucken Sie bei so einer Aussage nicht auch zusammen? Besser beraten sind doch meist jene Künstler, die lieber die B‑Seiten ihrer Singles dick mit besten Resten bestreichen. Wir leben jedoch im „Papi, was ist eine B‑Seite?“-Zeitalter, die Halbwertszeiten neuer Alben sind auf zwei bis drei Wochen zusammengeschrumpft, und wenn eines nur noch die Hälfte von dem verkauft, was es vor 15 Jahren abgesetzt hätte, bringt man eben besser zwei davon heraus.

Für die Veröffentlichung von TAKE HER UP TO MONTO, dem Geschwisteralbum zu HAIRLESS TOYS vom Frühjahr 2015, spricht allerdings weit vor allen (aufmerksamkeits-)ökonomischen Argumenten die Musik. Die ist fast noch besser als auf HAIRLESS TOYS, das sich bereits mit großer Selbstverständlichkeit allen Raum nahm, den es brauchte, um aus Pop, Jazz und experimentell arrangierter Club­musik ein komplexes, atmosphärisch dichtes, verführerisches Ding zu drehen. Soll sie doch aufgeregt sein, die Welt, Miss Murphy macht sich einfach ihre eigene auf.

Für TAKE HER UP … gilt das erst recht. Gemeinsam mit ihrem musi­kalischen Direktor, Eddie Stevens, erschuf Róisín ein Album, das zwar immer noch bei ihren Wurzeln, der Tanzmusik der 90er zwischen House, Disco(revival), verspielter Elektronica, (Acid) Jazz und TripHop, bleibt, aber von dieser Basis aus wahrlich abenteuerliche Ausflüge unternimmt. Selbst ein Stück wie der Opener, „Mastermind“, im Presseinfo zu Recht „breathless disco epic“ genannt, der irgendwo bei Grace Jones’ Outing als „Blade Runner“-Replikant beginnt, im Mittelteil zu ungeahnter Leichtigkeit findet und sich fast wie Pantha Du Prince in disharmonischen, hell klingenden Tönen verflüchtigt, besitzt einen Spannungsbogen zum DJs-Davonjagen. Und das ist noch gar nichts gegen den Dreiakter „Thoughts Wasted“, der zeigt, wie man elektro­nisches und klassisches Instrumentarium so zusammenbringt, dass es nach echtem gegenseitigen Verlangen klingt und nicht nur nach Abwechslung im Stadttheaterprogramm.

Auf TAKE HER UP … wird Musik gespielt und mit Musik gespielt, ein an der Bassmembran reißender Synthesizer ist gerade Fundament genug für zarte Doo-Wop-Gesänge, es gibt immer genügend Platz zwischen den Tönen, und manche von ihnen sind von derart erlesener Seltsamkeit, dass sie einem über den ganzen Körper spazieren. In dieser wogenden Musik oszilliert Róisín Murphy zwischen dieser über die Jahre immer feiner geschliffenen Exzentrik und einer in ihrem Genre beispiellosen Intimität, dass es eine Art hat, die einen in die Kissen drückt.