25 Jahre Deep Purple in Rock


Allen Hochs und Tiefs zum Trotz — die Hardrock- Legende feiert runden Geburtstag. Mit „Smoke On The Water" schrieben sie Rockgeschichte, mit neu- em Album kehren sie 1993 zurück: ME/Sounds läßt Deep Purples bewegten Werdegang Revue passieren.

Am Anfang war die Frau: London swingte sich 1967 dem Höhepunkt entgegen, da beschloß ein Fotomodell namens Ayshea Hague. die expandierende Musikwelt künftig als Sängerin zu beglücken. Als Karrieresprungbrett in die bunte Welt des Pop erkor sie ihren damaligen Boß Tony Edwards. An letzterem haftete jedoch ein Makel — er war gelernter Textilkaufmann und hatte vom Musikbusiness nicht den blassesten Schimmer. Aber vom Geldverdienen. Edwards ließ also seine weitreichenden Beziehungen spielen und traf auf Chris Curtis, vormals Schlagzeuger bei den „Searchers“, die einige Jahre zuvor mit „Needles And Pins“ einen mittelprächtigen Singlehit plazieren konnten. Als den beiden wenig später der Werbefachmann John Coletta über den Weg läuft, ist das Trio Infernale komplett: Man sucht nach Begleitmusikern für Madam Hague, und Curtis wird fündig.

Sein Wohnungsnachbar Jon Lord (geb. 9.6.41 in Leicester) kann anno ’67 bereits auf eine bescheidene Musikerkarriere zurückblicken: Ab 1963 verstärkte er die R&B-Combo „The Artwoods“, die von Ron Woods älterem Bruder Art Wood geleitet wurde. Seit kurzem gehörte er zum Tour-Line-Up der „Flowerpot Men“. die mit der Hippie-Hymne „Let’s Go To San Francisco“ (ohne Lord eingespielt) einen blumigen Saison-Hit landen konnten. Ebenfalls dabei: Bassist Nick Simper (geb. 3. 11. 45 in Norwood Green), der vormals bei .Johnny Kidd And The Pirates“ spielte und 1966 den Autounfall überlebte, 4er Kidd das Leben kostete. Auf der Hamburger Reeperbahn lernt Simper Richard Harold Blackmore (geb. 14.4.45 in Weslon-Super-Mare) kennen, der dank diverser Engagements bereits 22jährig über profunde Erfahrungen als Gitarrist verfügt.

Lord. Simper und Blackmore — frustriert vom schnöden Sideman-Dasein — sind von Curtis‘ Plänen begeistert. Blackmore empfiehlt Anfang 1968 den Schlagzeuger Bobby Woodman, einen Sänger will man per Anzeige im „Melody Maker“ finden. Über 60 Shouter in spe antworten, die Auditions geraten für alle Beteiligten zur Tortur. ¿

Schließlich fällt die Wahl auf Rod Evans (geb. 19.1.47 in Slough), der zusammen mit Schlagzeuger Ian Paice (geb. 19. 6. 48 in Nottingham) bei der wenig erfolgreichen Beat-Band „The Maze“ spielt. Das Leben ist grausam: Da Paice — extrem kurzsichtig, aber noch unbebrillt — eindeutig besser trommelt als Bobby Woodman, ist letzterer draußen, und ersterer komplettiertdie Band,die ihren ursprünglichen Namen „Roundabout“ gegen „Deep Purple“ eintauscht. Als klangvolle Alternativen standen noch „Orpheus“, „Fire“ und „Concrete God“ zur Debatte. Tony Edwards und John Coletta übernehmen das gewinnträchtige Management, nach Ayshea Hague — immerhin geistige Mutter des gesamten Projektes — kräht kein Hahn mehr.

Deep Purple Mark I (1968-69)

Unter dem Vorsatz, „die britische Antwort auf die US-Pomp-Rocker Vanilla Fudge“ zu sein (Blackmore), beginnen die Proben in Decves Hall, einem Landhaus in Hertfordshire. Das Repertoire besteht vornehmlich aus Cover-Versionen populären Materials wie „Help“. „We Can Work It Out“, „Hey Joe“ oder „I’m So Glad“.

Edwards und Coletta können indessen ihr Glück kaum fassen: Das amerikanische Plattenlabel „Tetragrammaton“ des farbigen Entertainers Bill Cosby signalisiert Interesse. 2000 Dollar Vorauszahlung und eine neunprozentige Einnahmenbeteiligung lassen die Manager frohlocken, flugs wird für Jon Lord eine sündteure Hammond B3 angeschafft — und Ian Paice darf fortan ein nagelneues Ludwig-Set traktieren.

Am 20. April ’68 geht im dänischen Tastrup der erste Deep Purple-Gig über die Bühne, eine kurze, mäßig erfolgreiche Skandinavien-Tour folgt. „Ein paarmal“, erinnert sich Jon Lord Jahre später, “ wurden wir vom Publikum nicht geradefreundlich behandelt. „

Doch die Maschine rollt, im Mai wird in der Rekordzeit von 18 Stunden das Debütalbum „Shades Of Deep Purple“ eingespielt. In England gnadenlos ignoriert, klettert die Single-Auskopplung „Hush“ — eine alte Joe South-Nummer — in den US-Charts auf Rang 4. Das Schicksal der Propheten im eigenen Lande ereilt die Mark I-Besetzung jedoch auch weiterhin: Sowohl das folgende Album „The Book Of Taliesyn“ (Februar ’69), als auch „Deep Purple“ (Juli ’69) erweist sich in den britischen Plattengeschäften als klassischer Ladenhüter.

Dabei ist gerade letztere LP ein Synonym für den stilistischen Werdegang der Band. Ritchies Hardrock-Prototyp „This Bird Has Flown“ steht im krassen Gegensatz zu Jon Lords klassisch arrangiertem „April“ — verzerrte Wah Wah-Gitarren kontrastieren mit Bach-Chören, barocken Streichern und Holzbläsern.

Bescheidene Verkaufszahlen und der Konkurs von „Tetragrammaton“ zerstören die Illusionen von Ruhm und Reichtum. Vor allem Blackmore drängt auf Veränderungen: Evans und Simper passen seiner Meinung nach nicht mehr ins Konzept. „Rod Evans war ein Balladensänger mit limitierten Fähigkeiten, Nick Simper war allzu sehr altmodischem Rock V Roll verhaftet“, rechtfertigt sich Blackmore im nachhinein.

Deep Purple Mark II (1969-73

Die erste Verschwörung in der Geschichte Deep Purples nimmt während einer US-Tour ’69 im Juli Gestalt an. Das Management tobt, doch nach Simper und Evans kräht schon wenig später kein Hahn mehr.

Ein mehr als vollwertiger Ersatz naht in Gestalt des hochtalentierten Sängers Ian Gillan (geb. 19. 8. 45 in Hounslow), der ebenso wie Bassist Roger Glover (geb. 3(M1. 45 in Brecon) von der chronisch erfolglosen Popband Episode Six die Nase gestrichen voll hat. “ Ich hatte nicht einmal genug Geld, um mir ein Mittagessen zu kaufen“, dramatisiert Glover. „wir sahen damals aus wie Penner und fühlten uns auch genauso. „

Ritchie und Jon haben folglich leichtes Spiel, die beiden von den Vorzügen Deep Purples zu überzeugen. Tatort London: Am 10. August ’69 gibt die langlebigste und erfolgreichste aller Deep Purple-Inkarnationen im „Speakeasy“-Club ihren Einstand.

Trotz neuem Line-Up ist die Rangelei um stilistische Dominanz nicht beendet. Lord und Blackmore treffen

ein Abkommen: Der klassisch ausgebildete Keyboarder bastelt an einem Konzert für Rockband und großes Orchester. Ritchie komponiert mit Roger Glover kompromißlose Hardrock-Nummern wie „Into The Fire“ und „Speed King“. Das kommerziell erfolgreichere Konzept soll den künftigen Weg weisen. Ritchie ist zumindest von seinen instrumentalen Qualitäten mehr als überzeugt: „Ich kann jedem Gitarristen voll den Arsch abspielen. Ich weiß, daß ich es kann. „

Barock-Rock ist in den ausgehenden Sechzigern en vogue, Procul Harum bedienen sich gewinnbringend bei Bach. The Nice mit Organist Keith Emerson adaptieren die „Brandenburaischen Konzerte“ ebenso wie ..Amenca“ aus Leonard Bernsteins „Westside Story“. Lord beschreitet popmusikalisches Neuland, indem er keine Werke interpretiert, sondern eifrig selbst Partituren zimmert.

Im September ’69 kollidieren Deep Purple mit dem ehrwürdigen London Philharmonie Orchestra in der nicht minder ehrwürdigen Royal Albert Hall: Das „Concerto For Group And Orchestra“ wird live mitgeschnitten und sorgt vier Monate später für Deep Purples ersten Heimsieg — Platz 26 der britischen Charts.

Ritchie Rocker — kein Freund europäischer Hochkultur — kann Pauken und Trompeten allerdings herzlich wenig abgewinnen. Mit Grausen erinnert er sich an indignierte Musiker mittleren Alters, die um ihr Gehör bangen: „Das Publikum saß mit verschränkten Armen vor einem, der Geiger neben mir hielt sich jedesmal die Ohren zu, wenn ich in ein Solo einstieg. Das war alles andere als inspirierend. „

Ritchies Rache manifestiert sich in Album Nr. 5: „Wenn das Ding nicht einschlägt“, so Blackmore, „spiele ich für den Rest meines Lebens mit klassischen Orchestern.“

Ganz nach Rockers Gusto kultiviert erauf „Deep Purple In Rock“erstmals durchgängig jene Dampframmen- ‚ Riffs, für die Deep Purple in den fol- ‚ genden Jahren vom Publikum heiß geliebt — und der Kritik oft herbe ver- i

schmäht werden. Gillan schreit sich für „Child In Time“ die Seele aus dem Leib, Lord darf zumindest im Intro zu „Speed King“ auf die Klassik-Taste drücken. „In Rock“ — ein Meilenstein der harten Zunft — hält sich 68 Wochen in den britischen Bestenlisten. Der Rubel rollt. Ritchies Konzept geht auf. Lord verzieht sich in den Schmollwinkel zeitgenössischer E-Musik und produziert das Soloalbum „Gemini Suite“.

Auf den Spuren des Heiland wandelt indessen Ian Gillan: Für Tim Rices und Andrew Lloyd Webbers verrocktes Passionsspektakel Jesus Christ Superstar“ läßt sich der langmähnige Frauenliebling auf New Yorks Bühnen ans Kreuz schlagen. „Es war lediglich Spaß“, erklärt Gillan 23 Jahre später: „Mich reizten die Gesangsparts, mit persönlicher Religiosität* oder den damals modischen Jesus People‘ hatte das nichts zu tun. „

Der von „In Rock“ und der Single „Black Night“ initierte Erfolg schickt Deep Purple auf die lange Reise. Ausgiebige Tourneen durch Europa, Australien und die USA sprengen die Terminkalender, neues Material zu erarbeiten ist so gut wie unmöglich. Eine der treuesten Fan-Gemeinden formiert sich übrigens in Deutschland — im Bremer TV-..Beat Club“ und den Hallen der Republik sind Deep Purple willkommene Gäste, ihre LPs liegen mit James Last hitparadenmäßig stets im Dauerclinch.

Das exzessive Touren hinterläßt seine Spuren, die Stimmung der Band ist zunehmend gereizt, das neue AJbum entsteht abgehetzt zwischen Flughafen, Hotel und Bühne. Zwar schafft „Fireball“ 1971 den Sprung an die Spitze, doch innerhalb der Gruppe sorgt Purples Sechste für Kontroversen. Während Blackmore und Paice das Werk für „unausgegoren und lieblos produziert“halten, ist es Gillans absoluter Favorit: „eine originelle und abwechslungsreiche Produktion.“

Das endlose Touren dauert an, obwohl Roger Glover ernste Probleme mit seinem Magen hat und Ian Gillan während eines Kanada-Besuches infolge völliger Erschöpfung zusammenbricht: Die Ärzte diagnostizieren Hepatitis, der Sänger muß einige Wochen pausieren.

Erst in Montreux trifft man sich wieder: Aus Steuergründen soll die neue LP in der Schweiz aufgenommen werden. einzig das „Montreux Casino“ kommt als geeignete Lokalität in Frage. Doch folgende Vorkommnisse am Ufer des Genfer Sees machen Purples Plänen einen Strich durch die Rechnung — und schreiben ein Kapitel Rockgeschichte: Während eines Konzertes von Frank Zappa und den Mothers Of Invention — Deep Purple lauschen komplett versammelt — schießt ein durchgeknallter Fan den Dachstuhl mit einer Signalpistole in Brand, die Halle löst sich bis auf die Grundmauern in Rauch auf.

Glück im Unglück für Deep Purple: Zwar liegt die Produktionsstätte in Schutt und Asche, doch die dichten Rauchschwaden auf dem See inspirieren Roger Glover zu einer klassischen Textzeile: „Smoke On The Water“. Ritchie steuert ein simple^. . j>.hial-Riff bei. und schon ist die Rockmusik um einen Standard reicher. Was „Satisfaction“ für die Sechziger und „Money For Nothing“ für die Achtziger ist, verkörpert ..Smoke“ für die Siebziger — ein Riff, ein Jahrzehnt. Die neue, „Machine Head“ betitelte LP wird schließlich für das neugegründete Label „Purple Records“ im leerstehenden Grand Hotel produziert: Sieben Hardrock-Klassiker, die nach der Veröffentlichung im April 1972 Deep Purple endgültig an der Spitze der Rock-Großverdiener etablieren. Eine triumphale Asien-Tournee folgt, in Japan werden zwei grandiose Shows live mitgeschnitten, zudem kürt das Guinness Buch der Rekorde Deep Purple zur „lautesten Rockband der Weif.

Das Anfang 73 erscheinende Doppelalbum „Made In Japan“ enthält mit „Space Truckin'“, „Highway Star“, „Lazy“ und „Smoke On The Water‘ einige Tracks der vorangegangenen Studio-LP und zeigt Deep Purple auf dem Höhepunkt ihrer Karriere: Kraftvolle und virtuose Instrumentaltechnik, hochenergetische Songs und ein Sänger, den offensichtlich keine physischen Grenzen limitieren.

Hinter den Kulissen regieren allerdings wieder einmal Uneinigkeit und Streit. Die Enge und Monotonie des Tour-Lebens — 44 Wochen im Jahr 1972 – fordern ihren Tribut, Blackmore und Gillan sind sich mittlerweile derart zuwider, daß sie nur noch selten miteinander reden.

Im selbstbewußten Sänger reift der Entschluß, die Band nach Erfüllung der laufenden Verträge zu verlassen, doch sein freiwilliger Abgang ist dem immer exzentrischer werdenden Gitarristen nicht genug: Blackmore stellt den Rest der Gang vor die Wahl — entweder wird auch Roger Glover gefeuert, oder er geht.

Für den ansonsten humorvollen Bassisten ein Schlag aus heiterem Himmel, den er mit wachsendem Erfolg als Produzent (u.a. Nazareth. Judas Priest, Status Quo) jedoch halbwegs kompensieren kann. Die Würfel sind allerdings gefallen: Nach Fertigstellung der _ durchwachsenen LP „Who Do We Think We Are“ verlassen Gillan und Glover im Juni 1973 die Band.

Deep Purple Mark III (1973-75)

Der Hardrock, einst als derbes Amüsement der britischen Arbeiterkids verschrien, ist gegen Mitte der siebziger Jahre endgültig gesellschaftsfähig geworden: Bands wie Black Sabbath, Uriah Heep oder Grand Funk Railroad sorgen für

weltweite Millionenumsätze, Deep Purple — trotz unsteter Besetzungen — sind die ungekrönten Könige. Aber selbst Könige haben ihre Probleme: Im Gefolge anderer britischer Bands kehrt man der Insel aus Steuergründen den Rücken. Mit Glenn Hughes (geb. 21. 8. 52 in Cannock), David Coverdale (geb. 22. 9. 51 in Sartburn-By-The-Sea) und neuer Wahlheimat Los Angeles gehen die Hardrock-Matadoren 1973 in die dritte Runde. Während Hughes die Aufmerksamkeit der Band durch sein virzuoses Baß-Spiel bei der Club-Kombo „Trapeze“ gewinnt, wird Sänger David Coverdale aus den semiprofessionellen Tiefen der nordenglischen Provinz rekrutiert.

„Sänger gesucht“ lautet Deep Purples lapidare Anzeige im ..Melody Maker“. doch man ist sich den Schwierigkeiten, einen adäquaten Ersatz für Mikrofon-Artist Gillan zu finden, durchaus bewußt. Über 40 Cassetten erreichen das Purple-Management, einige davon erheitern mit unfreiwilliger Komik. „Irgendein Witzbold sang X’hild In Time‘ zu geschmackvoller Pianobegleitung“, rekapituliert Jon Lord, „außerdem schickte er uns ein Foto mit dem Kommentar, seine Mutter halte ihn fiir ungleich schöner als lau Gillan. „

Ein Tape aus Redcar, Yorkshire, ist jedoch von ganz anderem Kaliber: Absender Coverdale — ein schüchterner Verkäufer in einer Boutique — wird daraufhin zu Proben eingeladen und überzeugt durch kraftvollen, bluesigen Gesang. Blackmore. kritisch wie immer, findet dennoch ein Haar in der Suppe. Coverdale, übergewichtig, „unhip“ gekleidet und mit unschöner Akne geschlagen, paßt dem stilbewußten Gitarrero anfangs nicht ins Konzept, erst nach ermüdenden Diskussionen empfängt der unbedarfte Provinz-Shouter auch Ritchies Segen.

Mit dem gelungenen Longplayer „Burn“ im Gepäck, beginnt nun auch für Deep Purple Mark III der enervierende Tour-Alltag. Während eines Freiluft-Konzertes im kanadischen Ontario benimmt sich Ritchie wieder einmal daneben. Aufgebracht von einem aufdringlichen Kameramann — das Konzert wurde gefilmt und kam später unter dem Titel ..California Jam“ in die Videotheken — zweckentfremdet er seine Gitarre als Axt. Mit wenigen, wohlplazierten Schlägen setzt er die Kamera außer Gefecht, das Deep Purple-Management entschuldigt sich späler mit warmen Worten. Newcomer Coverdale erfüllt seinen Job trotz anfänglicher Nervosität zwar immer besser, doch hohe Gesangspassagen — Markenzeichen seit „Child In Time“ — übernimmt Glenn Hughes.

In München entsteht 1974 das unerwartet ruhige Album „Stormbringer“. das ebenso wie „Burn“ den Sprung in höchste Chartregionen schafft. Doch die zündende Magie von einst scheint immer öfter kompositorischer Konfektionsware zu weichen, zudem spuken in Ritchies eigenwilligem Kopf Ideen einer perfekteren Ego-Maschine. Während der Aufnahmen zu „Stormbringer“ schlägt seine Kritik an Deep Purple — zuviel Blues, zuwenig Hardrock — vollends in Desinteresse um.

Als er im April 1975 seinen Ausstieg zugunsten der eigenen Band „Rainbow“ bekanntgibt, gilt das Ende Deep Purples als besiegelt: „Riichies Kreativität war die treibende Kraft“, bestätigt selbst sein langjähriger Widersacher Jon Lord, .seine Ideen waren der Motor, den die restliche Band letztendlich zum laufen brachte. Mit dem Splil der Mark 11-Besetzung hatten wir etwas wesentliches verloren: die Fähigkeit, zu kommunizieren. Außerdem litten wir unter Davids und Glenns ständigen Machtkämpfen, endlos wurde darüber gestritten, wer was wann singen darf. „

Deep Purple Mark IV (1975-76)

Wäre es nach Ian Paice und Jon Lord — den einzig übriggebliebenen Gründungsmitgliedern — gegangen, hätte sich Deep Purple tatsächlich aufgelöst.

„Wir hätten damals kurzerhand das Handtuch werfen sollen“, resümmiert Ian Paice, „für Jon und mich war Ritchies Fortgang ein herber Schlag.“

Doch David Coverdale und Glenn Hughes denken anders: „Beide waren hochmotiviert“, sinniert Jon Lord, „und wollten um jeden Preis weitermachen. Für Ian und mich war es überhaupt kein Problem, ohne Band in die Zukunft zu blicken, doch David und Glenn waren immer noch hungrig. „

Für Sättigung soll Clem Clempson, Gitarrist bei „Colosseum“, „Humble Pie“ und „Greenslade“ sorgen, doch trotz erfolgsversprechender Sessions springt der Funke nicht über. Anders bei Tommy Bolin (geb 1. August ’51 in Sioux City), einem jungen amerikanischen Gitarristen, der dem Jazzrock nahesteht und von David Coverdale wärmstens empfohlen wird. Jon Lord:

„Tommy schlenderte ins Studio mit grün, gelb und blau gefärbten Haaren und einer leichtbekleideten Hawaiianerin im Schlepptau. Er stöpselte sich in vier Marshall-Türme ein und — ich schwöre bei Gott — war ebenso gut wie Ritchie in seinen besten Momenten.“

Das einzige Album dieser Besetzung — „Come Taste The Band“ — ist dennoch ein Flop. Die Songs und anschließenden Live-Shows erreichen nicht das gewohnte Niveau, der hochtalentierte Freigeist Tommy Bolin paßt sich nur schwer in den Hardrock-Kontext seiner Mitstreiter ein: „Ein brillanter Musiker“, erinnert sich Glenn Hughes, „der bei uns leider völlig fehl am Platz war. „Deep Purple wirken trotz vermeintlicher Frischzellenkur müde und ausgebrannt.

Letztere Attribute treffen vor allem auf Bolin zu. der dank Heroinabhängigkeit zusehends zum Problemfall absteigt. Konzerte verkommen zur Farce. Bolin und der ebenfalls drogengeschädigte Hughes spielen keinen Hardrock mehr, sie parodieren ihn.

Die letzte Ostasien-Tour gerät vollends zur Katastrophe. Das Ergebnis: ein toter Roadie in einem Liftschacht und satte Schulden. Lord, Paice und Coverdale haben schließlich genug — am 15. März 76 geht im Liverpooler Empire Theatre der vorerst letzte Deep Purple-Gig über die Bühne.

Ein ungleich tragischeres Ende findet wenige Monate später Tommy Bolin: Infolge einer Überdosis stirbt er 25jährig in einem Hotelzimmer in Miami.

Deep Purple Mark II (1984-89)

Jeder geht fortan seine eigenen Wege: David Coverdale bastelt an einer Solokarnere, die später in der Gruppe Whitesnake mündet. Lord und Paice gründen mit Tony Ashton das kurzlebige Trio Paice. Ashton & Lord, Glenn Hughes kehrt zu seiner ehemaligen Gruppe Trapeze zurück. Ian Gillan erntet mit interessanten Soloalben sogar Charterfolge, sein Engagement bei Black Sabbath ist hingegen nur von kurzer Dauer: Die ’83er LP „Born Again“ erweist sich als Totgeburt. „Ian blieb keine zehn Minuten bei Black Sabbath, weil er nun mal eben kein Heay Metal-, sondern ein klassischer Rock’n’Roll-Sänger ist“, erläutert Jon Lord. „Die Kiste mit Leder, Blut, Drachen und dem ganzen Monsterkram war noch nie unser Bier.“

Selbst Rod Evans taucht aus der Versenkung auf: Mit musikalischen Nobodies geht er I y80 auf US-Tour als Deep Purple! Blackmore und Glover kontern mit gerichtlichen Schritten, der geschäftstüchtige Ex-Sänger hat schließlich das Nachsehen.

Die Idee einer standesgemäßen Reunion geistert nicht nur durch die Presse, auch einzelne Mitglieder der Deep Purple-Familie sind der großen Versöhnung insgeheim nicht abgeneigt. „Es gab eine Zeit“, gesteht Ian Gillan. ..da war ich absolut pleite. Ich mußte mir von meinem Manager Geld leihen, damit ich überhaupt essen und wohnen konnte. Ich kann einfach nicht mit Geld umgehen, mir fehlt die Geduld. “ Ob letztlich der schnöde Mammon ausschlaggebend ist. sei einmal dahingestellt. Ian Paice gibt sich jedenfalls idealistisch: „Keiner von uns war mit dem, was er nach der Trennung machte, wirklich zufrieden. Deshalb ist es nur logisch, es noch einmal gemeinsam zu versuchen. „

Gillan bestätigt die Ausführung seines Trommlers:.. Deep Purple ist die beste Band, in der jeder von uns je gespielt hat, diese Magie war einzigartig. Nach Deep Purple hat es keiner von uns geschafft, wieder so erfolgreich zu werden. Ritchie war mit Rainbow noch am nächsten dran.“

Die Initiative ergreift 1983 Ian Gillan. nach zaghafter Kontaktaufnahme und klärenden Gesprächen wird es ein Jahr später amtlich: Deep Purple reformieren sich in der „klassischen“ Mark Il-Besetzung. Nach erfolgreicher Welttournee — angeblich erhält jedes Band-Mitglied im voraus zwei Millionen Dollar — erscheint Ende 1984 „Perfect Strangers“, das meistverkaufte Purple-Album bislang. Das Erfolgsrezept ist einfach: zeitgemäßer, klischeearmer Hardrock, der sich wohltuend vom glatten Gros der Heavy-Produktionen abhebt. Drei Jahre später bauen die alten Herren des Hardrock „The House Of Blue Light“, Diva Blackmore sorgt während der anschließenden Europa-Tour für Unruhe unter Fans und Bandkolleaen, da er sich beharrhch weigert, die allzeit beliebte Zugabe „Smoke On The Water“ zu spielen.

Nachdem 1988 die Live-Scheibe „Nobody’s Perfect“ in den Läden steht, hat Ian Gillan erneut genug:

„Ritchie“, formuliert er später augenzwinkernd, „ist ein äußerst komplizierter Mensch.“ Doch Gillan hat an Schlammschlachten kein Interesse, aufgrund »musikalischer Differenzen“ verWl er die Band, um mit Brian May, Bruce Dickinson und Robert Plant das ..Rock Aid Armenia“-Wohliätigkeitsprojekt zu starten. Ein Remake von „Smoke On The Water“‚ spielt Geld für armenische Erdbebenopfer ein.

Deep Purple Mark V (1990-1991)

Statt endgültig den Löffel abzugeben, begeben sich Deep Purple auf Sängerschau. Angeheuert wird Ritchies ehemaliger Rainbow-Kollege Joe Lynn Turner — kein gleichwertiger Ersatz für Ian Gillan. Turners Poser-Peinlichkeiten fallen letztendlich auch bei dem gestrengen Blackmore in Ungnade: „Joe läßt keinen Gag aus, und sei er noch so kindisch, nur um aufzufallen. „

Das 1990 eingespielte, alles in allem rufschädigende Album ..Slaves And Masters“ zehrt am Legenden-Bonus der hehren Rocker. Journaille und Publikumsreaktionen sprechen eine deutliche Sprache: Wenn Deep Purple ins Flachwasser des poppigen Metal abdriften. ist ihre Existenzberechtigung dahin. Wieder ist es Blackmore. der seine ..hire and fire“-Mentalität ungeniert und zum Wohl der Band auslebt. Er erkennt die Zeichen der Zeit — Turner hat endgültig auseeturnt.

Deep Purple Mark II (seit 1992)

Der verlorene Sohn kehrt zurück: „Roger rief mich an“.

berichtet Ian Gillan. „und sagte, ei fühle sich fantastisch, da Joe L’im Turner gestern gefeuert wurde. Als er mich dann fragte, ob ich wieder einsteigen möchte, hielt ich mich vorerst bedeckt. Immerhin war ich mit Deep Purple zeitweise sehr unglücklich gewesen, seit meinem Ausstieg hingegen lief für mich alles bestens. Wenn ich zum 25jährii gen Jubiläum 1993 wieder mit von det^ Partie sein sollte, dann wäre Deep Purple für mich lediglich ein Projekt^ Ich könnte nie mehr mit ganzem Her-, zen dabeisein, aber ich kann mein Herz der Musik widmen. „

Ende letzten Jahres nimmt Ian Giilans Herzensangelegenheit in Peter Maffays Tutzinger Red Rooster-Studio erste Züge an. im kommenden Frühsommer soll Deep Purples Juhiläumsalbum in den Regalen stehen. Von Freundschaft kann dennoch keine Rede sein: Alle Studiotermine werden absichtlich so angesetzt, daß sich die streitsamen Herren möglichst selten über den Weg laufen. Die klassische Zweckgemeinschaft? Ian Gillan und Roger Glover verbindet immerhin eine enge, seit Jahren bestehende Freundschaft, alle anderen sind jedoch notorische Einzelkämpfer, die sich offensichtlich wenig zu sagen haben. „Natürlich sind wir Einzelgänger“, bestätigt Ritchie Blackmore, „doch eine Persönlichkeit wie Jon Lord ist eben nicht leicht zu durchschauen. Obwohl ich ihn seil übet 20 Jahren kenne, habe ich überhaupi keine Ahnung, was in ihm vorgeht. Ich glaube, nicht einmal seine i’ruu weiß das. „

Trotz persönlicher Ungereimtheiten wollen Deep Purple den Geist des Hardrock mit ihrem gemeinsamen Jubilaumswerk beschwören. Ob damit jedoch an die Triumphe von einst angeschlossen werden kann, ist gleichermaßen fraglich wie unerheblich. Deep Purple haben bereits Maßstäbe gesetzt, waren an der Entwicklung des Genres Hardrock substanziell beteiligt. Daß dazu viei Sänger, drei Bassisten und zwei Gitarristen vonnöten waren, ist ebenso verzeihlich, wie die stets schwankende Qualität ihrer Alben. Unvergleichliche Monster-Songs vom Schlage „Burn“, „Space Tnickin‘ oder „Fireball“ entschädigen füt alles.