TikTok-Streik in Deutschland: Beschäftigte wehren sich gegen KI-Ersetzung
Sie filtern Hass aus dem Netz – und sollen durch KI ersetzt werden. Berliner Beschäftigte gehen auf die Straße
Am 23. September treten Beschäftigte bei TikTok in Deutschland in einen viertägigen Streik. Das hat die Gewerkschaft ver.di angekündigt. Damit reagieren die Angestellten nach eigenen Angaben auf die Verweigerung der Firma, sich auf Tarifverhandlungen einzulassen.
Laut ver.di plant TikTok zudem die Auflösung der Trust-and-Safety-Abteilung, welche Content-Moderator:innen beschäftigt. Deren Arbeit soll von Künstlicher Intelligenz ersetzt und an eine externe Dienstleistungsfirma weitergegeben werden. Das betrifft laut ver.di etwa 150 Beschäftigte am Berliner Standort. Auch in der nicht-deutschsprachigen Live-Abteilung drohten Kündigungen, so ver.di.
Forderungen nach Sozialtarifvertrag und Erhaltung von Arbeitsplätzen
Mit dem Streik wollen die Mitarbeitenden und ihre Gewerkschaft ihren Forderungen Ausdruck verleihen, denen TikTok seit Juli 2025 nicht nachgibt. ver.di fordert nach eigenen Angaben einen Sozialtarifvertrag mit Abfindungen in Höhe von drei Jahresgehältern sowie eine Verlängerung der Kündigungsfristen auf zwölf Monate. Die Gewerkschaft warnt zudem, dass die Verlagerung an kostengünstigere Dienstleister:innen nicht nur Arbeitsplätze koste, sondern auch die Qualität und Sicherheit der Plattform gefährde.
„In dieser Auseinandersetzung geht es um Grundsätzliches: Wir wollen, dass die Tech-Riesen Verantwortung übernehmen für die sozialen Folgen von Künstlicher Intelligenz“, erklärt Lucas Krentel, stellvertretender Landesfachbereichsleiter Medien bei ver.di Berlin-Brandenburg, in einer Mitteilung von ver.di.
ver.di wirft TikTok Einschüchterung vor
ver.di hatte bereits in den vergangenen Monaten zu Streiks aufgerufen, darunter im Juli und Anfang September 2025. Empörung löste unlängst die Kündigung einer Angestellten aus, die zwar nicht selbst in der von Auflösung betroffenen Abteilung angestellt ist, sich aber mit ihren Kolleg:innen solidarisiert und mitgestreikt hatte. Das bezeichnete ver.di in seiner Mitteilung nun als „klaren Einschüchterungsversuch und einen klaren Fall von Union Busting“. „Aus einem Team mit über 30 Beschäftigten soll ausgerechnet die Kollegin gefeuert werden, die sich am Streik beteiligt hat. Die Sache stinkt zum Himmel, und die vermeintlichen betriebswirtschaftlichen Begründungen halten wir allesamt für wenig glaubwürdig“, so Kathlen Eggerling dazu, zuständige Gewerkschaftssekretärin für den Bereich Medien in ver.di Berlin-Brandenburg.
Unterstützung von Abgeordneten
Rückenwind für die Streiks kommt auch von Abgeordneten. Damiano Valgolio von der Linken und Sprecher für Arbeit und Wirtschaft hat laut ver.di erklärt: „Ihr habt die Arbeit gemacht, und wenn sie meinen, euch nicht mehr zu brauchen, werfen sie euch raus, um die Profite zu steigern. Ihr zahlt den Preis für diese Politik und diese Geschäftsstrategie. Das passiert an vielen Standorten und in vielen Betrieben in Deutschland und weltweit. Genau deshalb ist euer Kampf so wichtig, und viele schauen sehr genau hin, was ihr macht.“
Sven Meyer von der SPD hat zudem angekündigt, das Thema ins Abgeordnetenhaus zu tragen. „Wir sehen das Muster überall in der Plattformwirtschaft – bei Uber und anderen. Diese internationalen Tech-Firmen übernehmen keine Verantwortung, weder für ihre Leute noch für die Gesellschaft. Sie kommen, nutzen aus und ziehen weiter. Genau das zeigt sich hier wieder: Verlagerung hierhin, Verlagerung dorthin. Das können wir nicht hinnehmen. Deshalb ist es so wichtig, was ihr tut – und euch gebührt der Dank von sehr, sehr vielen“, so Meyer bei einer Streikkundgebung am 3. September.
Von der KI ersetzt: Content-Moderator:innen stellen sich dem Hass
Die von der Abteilungsauflösung Betroffenen sind sogenannte Content-Moderator:innen. Diese sind dafür zuständig, TikTok-Content zu filtern und Unangemessenes zu löschen. Daher sind sie täglich belastenden Inhalten wie sexualisierte Gewalt, Suizid und auch Terrorpropaganda ausgesetzt. Ihre Arbeit sei entscheidend dafür, dass Plattformen rechtlich überhaupt betrieben werden dürfen, so ver.di.
Die Auslagerung ihrer Aufgaben an Künstliche Intelligenz sei, laut ver.di, ein doppelter Schlag – weil sie die KI selbst trainiert haben. „Jetzt sollen sie ersetzt werden. Dabei leisten sie eine systemrelevante Arbeit, ohne die TikTok seine Dienste in Europa kaum rechtskonform anbieten könnte. Es geht also nicht nur um individuelle Schicksale.“
Viele der Betroffenen hätten zudem keinen deutschen Pass. Eine Kündigung würde für sie somit auch den Verlust ihres Aufenthaltsstatus in Deutschland bedeuten.
Ethische Entscheidungen der KI überlassen?
Zudem sei die Einsetzung von Künstlicher Intelligenz für derartige Aufgaben schlichtweg fahrlässig, meinen Betroffene laut ver.di. Inhaltliche und ethische Entscheidungen, die stark kontextabhängig seien, könnten nicht automatisiert werden. Hass müsse von Menschen als solcher erkannt und entfernt werden, sagen sie.
Der Konflikt zwischen TikTok-Firmenleitung und seinen Beschäftigten wird dabei nicht nur auf der Straße, sondern auch vor Gericht ausgetragen. Laut ver.di bewirkte TikTok ein gerichtliches Verfahren zur Einsetzung einer Einigungsstelle. Der erste Gerichtstermin fand am 28. Juli statt. Der Betriebsrat habe dieses Vorgehen bereits erwartet, lehne jedoch die bislang vorgelegten Angebote als unzureichend ab, so ver.di. Ein Folgetermin ist für Ende August angesetzt.



