Pauls Jets
MORGEN SIND WIR FANTASY
Staatsakt/Bertus (VÖ: 10.10.)
Mit viel Glitzer auf ins All: Die Wiener und ihr Fantasy Pop sehnen sich nach einer alten Idee von Zukunft zurück.
Vielleicht ist es die überschaubare Größe Wiens, die die österreichische Hauptstadt zu so einem fruchtbaren Boden für eigenständigen und immer wieder auch widerständigen Pop macht: die physische Nähe zueinander, die Künstler:innen dazu antreibt, sich gegenseitig zu überbieten; die gemütliche Atmosphäre Österreichs; und Räume wie der Radiosender FM4, die Platz für Experimente lassen. Oder wahrscheinlich eine Mischung aus allem. Pauls Jets sind jedenfalls eine dieser Indie-Pop/Neue-Neue-Deutsche-Welle/Austropop-Bands, die sich immer wieder in ihrer eigenen verschrobenen Welt neu erfinden.
Auf ihrem vierten Album geht es ab ins All, aber so, wie man es sich im 20. Jahrhundert vorgestellt hat. Sehnsucht nach einer alten Idee von Zukunft könnte man das vielleicht nennen. Es piepst und quietscht, und das Raumschiff, mit dem wir abheben, klingt eher nach schimmernder Techno stalgie als High-Tech. Passt auch irgendwie, denn thematisch werden hier Krisen verarbeitet, persönliche, gesellschaftliche und globale. „Alles stürzt ein, alles stürzt ein!“, singt Paul Buschnegg etwa auf dem Opener „Pompeji“. Passt ja irgendwie zum Cold-Wave-, Neo-NDW-Sound der Band. Mit dem eröffnen sie gleich danach auch „Kiss Me In The Morning“, das gleich mit seinem Refrain einsteigt, einem Refrain, den man mit seinen Industrial-Anleihen meint schon in mehreren 80ies-Klassikern gehört zu haben.
Zwischen völlig ernst gemeintem Kitsch und Zuckerguss, Cleverness, distanzierter Ironie und Verzweiflung
Aber Erwartungen zu brechen scheint das Hobby dieser Band zu sein, denn sie schieben direkt eine Art Dudelsack hinterher und einen Text, der in ein herrlich nölendes „cry cry cry cry cry cry“ kulminiert. Doch das sollte nicht darüber hinwegtäuschen, dass Pauls Jets den ganzen Haufen ironischen Spaß und wilde, quietschende Soundideen, die sie in ihre Songs hineinpacken, vor allem dazu nutzen, ganz schön doppelbödige Texte darin einzuwickeln, die zwischen völlig ernst gemeintem Kitsch und Zuckerguss, Cleverness, distanzierter Ironie und Verzweiflung changieren. Zum Beispiel die Punk-Lovestory „Smash“, die auch durchaus von Dean Blunt produziert sein könnte. Oder das ähnlich postpunkige „If I Was A Human“ und die Suff-Hymne „Blau“, das perfekte Outro, um zurück auf die Erde zu kommen.
Auch wenn kein Song länger als dreieinhalb Minuten ist, viele sogar unter der drei-Minuten-Marke bleiben, wirken sie kaum wie Skizzen. Sondern sind eher unglaublich detailverliebte Miniaturen, in denen sich über jeden Pinselstrich (oder in diesem Fall: jeden Sound aus dem Synthesizer und jedes Füllwörtchen in den Lyrics) ausführlich der Kopf zerbrochen wurde. Aber keine Sorge: Angestrengt klingt das alles nicht, sondern wunderbar lässig, amüsant und in manchen Momenten auch dadaistisch. Als wenn Joachim Ringelnatz mit einer leichten TikTok-Sucht über Liebe, Triebe und die deprimierende Gegenwart reimen würde.
„Ich falle in ein Loch hinein, und irgendwie finde ich das Fallen fein“, heißt es ein wenig später bei „Erdmaus“. Die Welt geht unter, aber statt sich dagegen zu erwehren, finden wir eine Art melancholischen Trost darin, uns dem Zerfall einfach zu ergeben. Oder zumindest tun das Paul Buschnegg und die anderen Jets. Und ist das nicht letztendlich irgendwie dann doch auch das Allerbeste, was wir aus der Apokalypse, die uns bevorzustehen scheint, machen können?
Diese Review erschien zuerst im Musikexpress 11/2025.



