Auch Schöne Männer Können Rocken


Wer Bon Jovi bislang als pomadige Poseure abgetan hat, wird seine Meinung wohl ändern müssen. Auf Ihrem neuen Album haben sich die schönen Männer aus New Jersey hart auf Springsteens Spuren geheftet, über den Kurswechsel sprach Jon Bongiovi mit Sylvie Slmmons.

Irgendetwas scheint aus den Schornsteinen von New Jersey zu qualmen, das Rockmusiker bodenständig, ein bißchen schmuddelig, ernsthaft und berühmt macht. Bon Jovis neues (viertes) Album NEW JERSEY klingt, als hätten sie es auf dem Rücksitz von Springsteens Auto ausgeheckt; mit Cowboyhut, einer Flasche Bourbon und ein paar Beatles– und Aerosmith-Cassetten im Gepäck. s NEW JERSEY ist eine der besseren Rock-LPs dieses Jahres, dabei hätte es leicht eine der schlimmsten werden können! Nachdem ihr letztes Album SLIPPERY WHEN WET den Bogen vom Metal-Markt zum Mainstream-Popgeschlagen und sich weltweit über 13 Millionen Mal verkauft hat, hätte es jeder verstanden. wenn sie sich noch ein Dutzend „Living On A Prayers“ oder „You Give Love A Bad Name“ aus dem Kreuz geleiert hätten. Stattdessen trieb sie aber irgendein Instinkt zurück nach Hause.

Schon auf ihrem letzten Album fand sich der eine oder andere Anklang an New Jersey: Jon, der früher in einem kleinen Apartment an genau dem Strand wohnte, wo Jack Nichölson früher als Rettungsschwimmer tätig war, klang zeitweise schon wie Springsteens ReibeisenOrgan, und auch die Songs hatten denselben fäusteschwingenden, hemdsärmeligen Überschwang.

Jede Band aus New Jersey muß sich daran gewöhnen, mit Springsleen verglichen zu werden“, nickt Jon. „Bei unserem ersten Album betonte ich noch demonstrativ:,Wir sind eine amerikanische Band“, weil wir sonst sofort in die ,0h mein Gott — noch ein Springsteen!‘-Kiste gesteckt worden wären, und weil sich dann kein-Schwein die Platte angehört hätte.

Aber wenn ich eins aus unseren Reisen um den Erdball gelernt habe, dann das, daß ich dazu stehe, aus Jersey zu kommen. Und daß es mir heute scheißegal ist, wer alles davon weiß.“

Nach der Veröffentlichung von SLIPPERY waren sie 18 Monate auf Achse (Jon lebt heute in einer Villa nicht weit von Springsteens), aber nach einer Erholungspause von weiteren sechs Wochen „ging es uns wieder gut genug, um schreiben zu können. Richie (Sambora, der Gitarrist) kam jeden Tag rüber, und wir haben oben in meinem Schlafzimmer Songs geschrieben. Ging sehr schnell. Weihnachten hatten wir 17 Nummern, studierten sie mit der Band ein und schrieben dann noch einen Schwung von 12 oder 14.“ (An drei Songs wirkte auch Desmond Child, ¿

Co-Auför der letzten beiden Bon Wi-Hits, mit.) Ursprünglich hatten sie ein Doppel-Album geplant, aber ihre Plattenflrma spielte nicht mit. Bon Jovi gaben schließlich idein bei und sortierten samtliche Songs aus, die zu sehr an das letzte.AJbum erinnerten. Zwei dieser Titel bekam Alice Cooper (der davon bereits Demos für sein nächstes Album gemacht hat), einen weiteren wird Cher spielen (deren letzte Platte Jon und Richie produziert haben).

Den Rest nahmen sie in den Little Mountain Studiosim kanadischen Vancouver auf, spielten sie einem Haufen Teenagern vor und ließen sie anschließend ihre Lieblings-Nummern aussuchen. Bon Jovi gehen zu Recht davon aus, daß Teenager embißchen mehr von Rockmusik verstehen als die gesetzten und graumelierten Herren von den Angestellten von Plattenfirmen.

„Angefangen haben wir mit (Produzent) Bruce Fäirbairns Babysittern: Der hat mehrere davon, und die durften so viele Freunde mitbringen wie sie wollten. Außerdem holten wir ein paar Kids von der Straße rein und ein Pärchen’üus Japan, das zußllig gerade vorbeikam. Ein paar standen auf uns, mpaarhaßt&rhts, einigen waren wir völlig wurscht — wir haben ihnen einfach die Songs vorgespielt und sie aussuchen lassen. Ä Im Grunde ging uns nach SUPPE?* RY die Muffe — wir standen ganz schön unter Druck. Und wir hatten uns vorgenommen, diesmal ein .Erlebnis‘ zu vermitteln, nicht bloß zehn Sßtgt* aufzunehmen. Wir finden, daß die Entwicklung -unierer Band dahin gehen »Ute, sowas wie SfflGEANT PEP-PER zu schreiben. Das ist das ganz große Ziel, das wir vor Augen haben, und vielleicht sind wir mit dem nächsten Album soweit.^Drum geht’s diesmal z. B. gleich mit afrikanischen Bommeln und den Sängerinnen hs, und dann kommt sowas wie ,Ride Cowboy Ride‘ oder das große Epos .Blood On Wood, wo wir ein bißchen über uns hinauswachsen. Wir wollten atim ein bißchen mehr bieten. Ich glaube nicht, daß irgendwer dieses Album SLIPPERY PART II nennen wird, und genau das wollten wir erreichen.“

Ursprünglich sollte die Platte SONS OF BEACHES heißen, und Jon sah schon das Cover plastisch vor sich: eine SERGEANT PEP-PER-mäßige Angelegenheit, seltsame Typen am Strand und mjttWidrin Bon Jovi. Die zweite Idee jvar NEW JERSEY, auch wenn damit die Springsteen-Vergleiche unweigerlich herausgefordert werden.

«Inzwischen ist mir das scheißegat, lacht Jon. „Frank Sinatra kommt aus Jersey, Eddie Murphy kommt aus Jersey, Kool And The Gang, Whitney Houston und Bruce. Ich finde seine Musik toll aber er hat schließlich nicht den ganzen Staat gepachtet. „

Ich dachte, er hätte.

“ Vielleicht hat er auch“, grinst Jon, „aber soweit’ich weiß, ist er noch nicht Gouverneur! Vnä der Name gehört ihm auch nicht.

Ich habe früher schon gesagt: New Jersey ist kein Ort, New Jersey ist eine Einstellung. Und die kannst du in jeder Stadt finden, egal wo du herkommst: die Einstellung, daß es nickt darauf ankommt, wasdumachst. sondern daß du dazu stehst und es gut machst.“

‚ Zuhause benimmt sich Jon wie „der amerikanische Durchschnitts-Spießer“, erzählt er mir: Er liest Illustrierte, guckt MTV, mäht samstags den Rasen und geht morgens Joggen. In Jersey läßt man ihn weitgehend in Ruhe, er lebt relativ normal. „Wenn ich laufe, winkt mir der Tankwart zu und der Müllmann — das sind die einzigen, die ich jeden Tag sehe. Ich brauche kein Makv-up, muß mich nicht frisieren, brauche mich nicht um Fotos und den ganzen Promotion-Scffeiß zu kümmern und kann gani ich selber sein.“

Jon haßt den Superstar-Status, “ weil er einen Haufen Zwänge mit sich bringt. Vorbild-Funktion ßr irgendwen zu haben, kann ganz schön heavy sein, wenn man seiner Sache selbst noch gar nicht sicher ist. Ich hin schließlich kein Engel, ich bin bloß zufällig Sänger in einer Rock-Band, Es freut mich zwar, wenn den Leuten unsere Musik gefällt, aber das ist auch alles. Was ich auf der Bühne mache, mache ich nur auf der Bühne. Ich will kein Politiker sein.

Sring?Ich kenne Sting nicht persönlich. ICH gebe sicher keine Konzert Amnesty. Das steht mir gar nicht an.“

Was er allerdings gemacht hat, ist einen Song für einen Sampler zugun-“ sten verschiedener amerikanischer Drogen-Hillsorganisationen autzunehmen. Das bisher noch namenlose Album wird u.a. Beiträge von Bon Jovi,3efl Seorpions und Mötley Crüe enthalten — vertreten sind so gut wie alle Bands aus dem Management-Stall von Doc McGhee.

Der Bon Jovi-Manager stand kürzlich in den Staaten vor Gericht, weil er in früheren Jahren 20 Tonnen Marihuana eingeschmuggelt hatte. Irgendwie schaffte es sein Anwalt, den Richter davon zu überzeugen, das Dope sei lediglich für McGhees persönlichea Gebrauch (!) bestimmt gewesen, und statt eines ausgedehnten Knastbesuches wurde ihm nur eine saftige Geldstrafe aufgebrummt und das Versprechen abgenommen, berühmte Musiker für eine Anti-Drogen-LP zu gewinnen.

Jede Gruppe wird einen Song einer Band spielen, die ein Mitglied durch Alkohol- oder Drogen-Mißbrauch verloren hat, wie etwa die Who oder die Stones. Bon Jovi haben „The ^ Boys Are -Back In Town“ gecovert.

„Endlich hatte ich die Gelegenheit, was von Thin tizzy aufzunehmen: das wollte ith schon immer mal. Ozzy macht auch was. glaube ich. und Whitesnake, Mötley…“

Mötley? Auf «nem Anti-Droqerr-Album??

„Yeah, tiaja, Sie werden jeden) vr//.? dabeisein, Und es wird-ein tolles Aii>Mm“,fährt Jon unbeirrbar Fort. „£s

wird sicher neues Problembewußtsein schaffen. Ich treffe überhaupt immer mehr Bands, die mir erklären, daß sie die Bröferf an den Nagel gehängt hätten und jetzt versuchen würden, ihre ganze Kraft in die bestmögliche Show zu stecken.“

Als ich ihn am Ende der letzten Mammut-Tournee traf, war selbst auf seinem schönen Gesicht der Lack arg abgekratzt. Nichtsdestotrotz brennt ef geradezu wieder darauf, die nächste Monster-Tournee anzugehen — bis zum Sommer *89 ist man beteits voll ausgesucht.

„& gibt einfach kein größeres Hhh als im Konzen auf der Bühne zu stehen. Die ganzen Horrorgeschich’ten, daß Bands sich auf Tour in die Haare kriegen daß sie sich umbringen, daß jfe sieh (Jacht) sogar dasToupet vom Kopf reißen — darüber kam ich nur den Kopf schütteln. ‚ Wir sitzen ungeduldig in den Startlöchern und fragen: ‚Verdammt, wann kann’s‘ endlich wieder losgehen? “ . ‚ Bon Jovi werden mit ihrer bestmöglichen Show nach Europa kommen – los geht’s am 31. Oktober in Dublin. „Wie die meisten anderen sind wir früher bloß mit einer verkleinerten Verstarb der amerikanischen Show Sachjniropa gekommen, wegen des großen Transport-Aufwands. Diesmal werden wir alles mitbringen. Und außerdem noch einen Haufen neue Überraschungen, auch wenn wir uns dfeses Jahr insgesamt mehr auf die Musik konzentrieren wollen. 11 Neben dem Touren wird Jon in den nächsten Monaten mit seiner Entdeckung Skid Row arbeiten, einerjungen Band aus New Jersey, die gerade ihren ersten Plattcnvertrag unterschrieben hat und in Amerika als Vorprogramm mitfährt. Außerdem will er Songs mit Billy Squier schreiben,, einem der ersten Rockstare, die Jon getroffen hat, als er mit 17 die Fußböden eines Studios in New Jersev schrubbte. – “ „Ich habe immer die Ansicht vertreten, daß man in dieser Well alles erreichen kann. Ob du Schriftsteller werden willst oder Doktor oder Präsident – wenn du dich voll konzentrierst, geht’s ganz lacht. Natürlich haben wir dafür auch 365 Tage im Jahr gearbeitet.“

Jon lacht: „Aber wem du das mal begriffen hast, brauchst du eigentlich nur noch die Hand auszustrecken und zu warten.“