Musik Im Internet


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Die schöne neue Musikwelt lockt. Lustige Websites für alle Bands mit informativen Hintergrund-Facts, Meinungsaustausch mit Musikern via Heim-Computer, virtueller Marktplatz für unentdeckte Talente und Kreative, die ihre Mucke ganz ohne Plattenvertrag anbieten können. Oder gar „Music on Demand“, die individuell zusammengestellte CD, gezogen aus dem Internet, „Downgeloadet“ aufs heimische Presswerk auf dem Küchentisch. So soll sie aussehen, die neue musikalische Cyber-Welt. Die Wirklichkeit, Gott sei’s geklagt, sieht heute um vieles nüchterner aus. Langweilige Homepages, auf denen so gut wie nichts läuft, Ladezeiten für mickrige Musik-Schnipsel, die Users ein Vermögen an Telefongebühren kosten (und die Telekom-Aktie bald auf 50 jagen werden). Und vergiß einfach mal die Videos.

Aktiven Net-Surfern drängt sich der Eindruck auf. daß sowohl einzelne Künstler als auch große, weltweit operierende Plattenfirmen von den multimedialen Möglichkeiten des Das Internet als musikalische Basisdemokratie: Zugriff auf neueste Hits, Cyber-Chat mit Stars, Videos vom PC, Musik zum Mitmachen. Net-Surfen, so heißt es, sei neu, bunt und aufregend. Warum ist es in Wirklichkeit dann so verdammt langweilig im Netz?

Netzes einfach überfordert sind. Die Firma BMG Ariola bietet auf ihrer Page zwar auf den ersten Blick ein breites Informationsspektrum. Zappt man durch den dichten Blätterwald, sucht man die vielbeschworene virtuelle Vielfalt vergebens. Auf Peter Maffays Seite prangt immerhin das leibhaftige Konterfei des Deutsch-Rockers-, ansonsten steht da lediglich: „Leider noch nicht fertig geworden“. Pech gehabt. Bei den Prinzen rotieren immerhin ein paar Pappkameraden durchs Rock-Universum. Doch beim Klick auf die Bandgeschichte passiert nichts. Dafür präsentiert der Shop eine Auswahl fader Fan-Artikel und die Discografie beweihräuchert die Erfolgsstory der Band: Gold, Platin, Triple-Gold, Doppel-Platin.

Ein ähnliches Bild bietet sich beim Frankfurter Major Sony. Zwar verspricht die Homepage: „Mit neuem Outfit noch schneller, übersichtlicher und noch mehr Acts.“ Geliefert werden Tourneedaten, PR-Infos und aktuelle Chart-Plazierungen. Nicht gerade Adrenalin-anregend. Klangbeispiele, Songtexte oder Hintergrundberichte sucht man vergebens. Blättert man zur Hamburger Band Selig, macht sich im Schnelldurchlauf Ernüchterung über die von Internet-Afficionados propagierte unbegrenzte Darstellungsmöglichkeit für den bildenden Künstler breit. Nach dem obligaten Klick auf die hauseigene Selig-Seite, erscheint eine kleine Moritat ä la Philipp Marlowe, in der sich der Protagonist um 6 Uhr früh in eine üble Hippie-Kaschemme verirrt. Aha, endlich ein virtuelles Abenteuer! Denkste. Denn beim nächsten Klick landen Surfer wieder auf der Sony-Homepage. Ende der Vorstellung.

Auch bei den Toten Hosen sieht’s Internet-mäßig im wahrsten Sinne des Wortes düster aus. Und das liegt nicht nur am schwarzen Hintergrund ihrer Homepage. „Leider noch nicht alles fertig“ — so heißt es auch hier auf der Titelseite. Maffay und die Hosen stehen sich wenigstens im Internet nichts nach. Die Konkurrenz macht’s auch nicht besser, im Gegenteil: die Ärzte sind noch gar nicht Online. War wohl nichts mit Cyberpunk.

In der Homepage von EMI findet sich neben den üblichen PR-Texten sogar eine Job-Ecke. Einmal E-Mail und schon steht der beruflichen Zukunft als Rock-Star wohl nichts mehr im Weg. Zudem kann jeder, der sich dazu berufen fühlt, im Gästebuch seine persönliche Nachricht deponieren. Ganz toll.

Beim Label RCA setzt man neben CD-Tips und Tourneedaten auf frei abrufbare Klangbei(me/sounds r eport)

spiele aktueller Acts. RCA liegt im Trend. Doch 30 Minuten warten und auf den ratternden Gebührenzähler starren, nur um sich dann ein 30 Sekunden-Klangschnitzel von ]oan Armatrading reinzuziehen, ist nicht jedermanns Sache. Fazit: Die meisten Major-Companies nutzen ihre Homepages bislang als Abstellkammer für dröge Presseinfos, halbherziges Second-Hand-Marketing und rudimentär runderneuerte Info-Börse. Bleibt unterm Strich: Langeweile pur.

Das hat viele Ursachen. Oft fehlt einfach Phantasie, meistens aber ist die Technik noch nicht ausgereift, um die erwarteten Wunder des Internets an den User zu bringen. Manchmal fehlt nur fachkundiges Personal. Doch es gibt rühmliche Ausnahmen: So bieten Die Sterne auf einem marineblauen Plafond fast alles, was das Herz begehrt. Bandinfos, Klangbeispiele, Diskografie und Songtexte.

Als integriert-interaktive Vorreiter in Sachen Internet agieren auch die Fantastischen 4. Unter dem Motto „Gift ist, wenn man trotzdem lauscht“ finden sich einwandfreies Design, bunte Ikonen und etliche Links zu Bandthemen. Der digitale Vordenker der Fantastischen 4, Michael Schmidt, alias Smudo, präsentiert auf seiner Seite ein Bekenntnis zur kommunikativen Freiheit im Internet. „Der direkte Draht zu den Fans bedeutet mir jede Menge“, erklärt der virtuelle Smudo. „Zum einen ist es interessant zu erfahren, wie diverse PR-Maßnahmen oder sonstige Aktionen bei den Fans ankommen. Oder wieviele Fans wir im nicht deutschsprachigen Ausland haben. Zum anderen hat man die Möglichkeit, den Leuten auf Anfrage zu erklären wie man diesen oder jenen Satz im Lied gemeint hat. Und der Fan hat das Gefühl, daß wir für ihn da sind. Ein Pluspunkt für jeden Künstler.“ Auf einer eigenen Page stellt er die Multimedia-CD-ROM „viertuell“ vor. „Eine CD-ROM produzieren zu lassen und als Künstler nichts von der Materie zu verstehen, finde ich totalen Käse“ meint Smudo zu der ambitionierten Silberscheibe. „‚Viertuell‘ ist mit Sicherheit eine lobenswerte Ausnahme, weil wir persönlich Konzept, Grafik, Sounds und Texte einbrachten und uns nichts von der Plattenfirma haben vorschreiben lassen.“ Endziel: Ein durchkonzipiertes, intelligentes und nach ganzheitlichen Vorgaben designtes Produkt. Also: Crossover einmal anders.

Der Schwachpunkt aller Versuche, Musik virtuell im Netz zu präsentieren, bleibt die leidige Linearität. Per Mausklick wird der werte Anwender lediglich von Icon zu Icon gelotst. Weitergehende Interaktivität scheitert in den meisten Fällen an der Technik, die trotz allen Hypes noch in den Kinderschuhen steckt. „Was nützen dir die ausgefeiltesten Konzepte,“ mosert Klaus Maeck, Geschäftsführer des Hamburger Musikverlags Freibank, „wenn der Anwender daheim vor ’ner fünf Jahre alten Mühle sitzt, die den Speed einfach nicht hat?“

Trotz aller technischer und künstlerischer Einwände klingelt die Zukunftsmusik via Internet Vertriebsleuten, PR-Strategen und A&R-Managern vielversprechend in den Ohren. Sina Farschid zum Beispiel, A&R-Manager bei Epic, ist optimistisch: „Gerade als Vermarktungskanal könnte das Internet sehr interessant werden. Denn unbekannte Bands kommen oft überhaupt nicht in den Handel. Da könnte das Internet via E-Mail-Order und Direktvertrieb eine Lücke schließen. Ein weiterer Pluspunkt des Netz-Mail Order ist, daß viele potentielle Plattenkunden heutzutage immer noch nicht an ihre Wunsch-CD rankommen.“

Wolf-Dieter Gramatke, Geschäftsführer der Polygram Holding GmbH schlägt in die gleiche Kerbe: „Die Chancen für den Musikmarkt auf dem Daten-Highway sind unübersehbar: Die Anbieter werden neue Zielgruppen erreichen, die bisher aus vielen Gründen nicht den Weg in die Schallplattenläden fanden.“ Epic-Manager Farschid sieht den heißen Draht schon jetzt als ein perfekt designbares Marketinginstrument für innovative Produkte: „Wir haben derzeit oft das Problem, gerade deutschsprachige Bands überhaupt in die Medien zu bekommen.“ Mit Hilfe des demokratisch strukturierten Netzwerks ließe sich seiner Meinung nach das elitäre Monopol der Medien- und Meinungsmacher in den Radio- und TV-Anstalten brechen. In der Tat eine verlockende Perspektive: Jede obskure Besenkammer-Band kann ihre Ware in limitierter Miniauflage im Internet feilbieten. Sprich: Für Verlage, Labels, Produzenten und Kreative bleibt bei diesem Verfahren ein größeres Stück vom Kuchen. Und die CD wird, wie im konventionellen Versandhandel üblich, einfach gegen Verrechnungsscheck verschickt.

Die Zukunft könnte noch ganz anders aussehen. Das Zauberwort heißt „Music on demand“. Das „Downloaden“ von Sounddateien zeichnet sich schon jetzt als nächste Revolution nach Einführung der Audio-CD ab. Die Kulthits der neuesten Mega-Band? Kein Problem. Einfach das Wunschlied anwählen, die Datei auf den eigenen PC schaufeln und das digitale Klangerlebnis genießen. Noch steckt das Verfahren in den Kinderschuhen. Heutige Demo-Sounddateien bieten nur eine leidlich akzeptable Soundqualität. Die Übertragung von 30 Sekunden in digitaler CD-Qualität dauert jedoch noch runde 30 Minuten und stellt damit aus reinen Kostengründen keine Alternative zum Plattenladen dar. Retter in der Not: Real Audio. Real Audio, respektive VDOLive, präsentieren sich als erste Ansätze Musik und Video in Echtzeit zu übertragen. Musiklabels wie Elektra experimentieren bereits mit diesen Verfahren. Derzeit ist jedoch die Klangqualität noch mehr als bescheiden.

Weiteres (großes) Problem: Kohle. Denn ohne Cash kein Stash. Ein potentielles Abrechnungssystem wäre die Cerberus Digital Jukebox. Hier überweist der Konsument per Kreditkarte einen Betrag auf ein virtuelles Bankkonto und erkauft damit die Erlaubnis zum Downloaden eines Musiktitels auf die Festplatte seines Computers. Dieser Titel kann dann mit einer speziellen Software, die das Kopieren des Songs verhindert, abgespielt werden. Mit einem solchen Verfahren ließen sich sowohl die urheberrechtlichen als auch die zahlungstechnischen Probleme lösen. Noch läuft der Download nicht in Echtzeit ab (der Dauerstau auf der Datenautobahn tut sein übriges) und verursacht daher enorme Telefonkosten. Erst wenn mit der Verbindung von ISDN-Anschluß und Komprimierungsverfahren wie MPEG 1 Layer 3 eine gangbare technische Lösung in Sicht kommt, lassen sich Musikstücke auf 1/12 des ursprünglichen Datenvolumens zusammenpressen und in Echtzeit transferieren. Dann stimmt auch die Qualität. Konsequent zu Ende gedacht, bedeutet „Online download“ das Ende der Audio-CD. Aber auch hier ist die Realität von den virtuellen Möglichkeiten noch meilenweit entfernt.

Kleinere Labels, kreativ mobiler als die großen Majors und deshalb als erste mit der Nase in Netz, sehen das anfänglich hochgehypte multimediale Wunderland via Netscape inzwischen mit einer gehörigen Portion Skepsis. Klaus Maeck von Freibank schätzt die derzeitige Situation realistisch ein: „Vor einigen Jahren haben wir uns voller Euphorie auf die multimediale Internet-Weit gestürzt. Heute betrachten wir das Ganze eher als ein Trainingscamp für die Zukunft.“

Auch für Sina Farschid ist das Internet in seiner heutigen Form ein reines Marketing-Spielfeld: „Bei uns läuft beispielsweise eine Internet-Aktion, Musikcassetten kostenlos zu verteilen. Da bekommen wir manchmal bis zu 20 E-Mails pro Woche.“ Peanuts. Smudo —nach eigenem Bekenntnis absoluter Technik- und Internet-Freak — legt den Finger auf ganz andere wunde Punkte im neuen Musikmedium. „Zum Musikmachen braucht man ein gemeinsames Feld. Das kann Freundschaft, eine Kneipe, eine Bühne, ein Proberaum oder sonstwas sein. Bloß nicht das Internet. Um kreativ zu sein, braucht man neue Eindrücke aus der Welt und ein entspannender Net-Surf kann sehr inspirativ sein. Aber virtuelle Proberäume? Um Gottes Willen.“ Internet-Profis befürchten schlimmeres als User-Vereinsamung. Wenn der technische Rahmen einmal fertig gezimmert ist, hört die Interaktion beim Antesten und Ordern von Wunschliedern noch lange nicht auf. Mit jedem besseren PC-Programm lassen sich Klangdateien nachträglich umarrangieren oder komplett neu bearbeiten. Die Basistracks der Bands aufgerufen, hier eine Note transponiert, da eine neue Bass-Line gesetzt, dort einen Bläserpart dazugemischt und schon ist die neue virtuelle Version des runtergeladenen Liedguts fertig. Schöne, neue Musikwelt? Kreativität ohne Grenzen? Oder ein Riesenmarkt für Raubkopierer, talentierte Trendbrettfahrer und digitale Meisterdiebe? Die Auswirkungen auf Bands und Business sind gerade unter diesen Aspekten völlig unüberschaubar. Auch wenn heute das Internet in Sachen Musik nur absolutes Sound-Stückwerk bietet, dürfte in spätestens zehn bis 15 Jahren die klassische CD Ihre Schuldigkeit getan haben. Und das Medium Musik wird mit Sicherheit zu einer der vielen kreativen Komponenten auf dem Daten-Highway der Zukunft mutieren.