Accept


Go west, young men! Nach den Scorpions machte sich mit Accept erneut eine deutsche Hardrock-Hoffnung auf den großen Treck ins gelobte Land. Die Klingen, die man in Solingen schmiedete, wurden auf einer monatelangen Coast-to-Coast-Tournee mit der kampferprobten Metall-Elite gekreuzt. Daß die deutschen Kreuzritter dabei nicht den Kürzeren zogen, konnte Andreas Kraatz feststellen, als er die Gruppe bei ihren Konzerten in Kalifornien beobachtete.

In Los Angeles ist die Welt noch in Ordnung. Amerikas Rockmetropole genießt ihren Ruf als das Eldorado für Musiker, speziell für junge Hardrock und Heavy Metal-Bands, in vollen Zügen. Fast jeder schöort auf den Rock n Roll.

Selbst der Cab-Driver, der mich am Airport aufliest und durch das Straßenlabyrinth der riesigen Stadt zum Plaza Suites Hotels lotsen soll, gerät auf der Fahrt immer wieder ms Schwärmen. „Das ist Rock n‘ Roll“, meint er und deutet auf einen „alten Chevrolet aus dem Besitz von Elvis Presley“, der jetzt das Dach des Hardrock-Cafes in Beverly Hills ziert. Nur das Heck der edlen Karosse ist von außen zu erkennen, der Rest verschwindet im Innern des Szene-Lokals.

„Hier steigen sie alle ab, große und kleine, bekannte und unbekannte Bands. Wir sind ein richtiges Rock n‘ Roll-Hotel“, behauptet auch der Mann der Hotel-Rezeption voller Stolz und zählt zum Beweis eine endlose Reihe berühmter Namen auf.

Auch Accept haben hier für ein paar Tage ihre Zelte aufgeschlagen. Doch die allgemeine Euphorie dürften sie zumindest an diesem Abend kaum teilen: Sie müssen Nachtschicht schieben. Gitarrist Wolf Hoffmann und Drummer Stefan Kaufmann haben sich zusammen mit Produzent Michael Wagener in einem Studio verschanzt, um letzte Hand an den Mitschnitt eines ihrer Konzerte zu legen. Der Mix, der für Radio-Einsätze bestimmt ist, muß schon am nächsten Tag fertig sein, deshalb der Streß rund um die Uhr.

Der Rest der Band, Bassist Peter Baltes, Sänger Udo Dirkschneider und der zweite Gitarrist Jörg Fischer sowie ihre Managerin Gaby Hauke können sich unterdessen schon wieder ein wenig erholen. Sie seien „noch auf einen kurzen Sprung ins Rainbow am Sunset Boulevard“, jenen legendären Musikertreff in Los Angeles, erfahre ich von Charlie, dem amerikanischen Tourmanager und schwergewichtigen Faktotum der Band Ende Februar hatte für Accept die Stunde der Wahrheit geschlagen. Das große Abenteuer Amerika, das vor ihnen schon etliche europäische Bands in den Ruin gestürzt hatte, konnte endlich beginnen. Zum allerersten Mal in ihrer Karriere stellen sich die fünf Hardrocker aus Germany dem verwöhnten amerikanischen Publikum.

Wolf Hoffmann wird die Überlegungen der gesamten Band zu diesem Thema später so kommentieren: „Deshalb haben wir auch immer so lange gezögert, weil wir die Politik und Philosophie vertreten: Es muß alles stimmen, sonst lohnt sich’s nicht rüberzugehen. Dazu gehört vor allem eine vernünftige Platte und der gesamte Background wie Verträge und Plattenfirma et cetera.“

Der Erfolg gibt ihnen Recht, denn ihre erste reguläre Veröffentlichung in den Staaten, die aktuelle LP BALLS TO THE WALL (die vorigen vier Alben sind nur über Import zu erhalten), kann sich auf Anhieb bis auf Platz 4 der Billboard-Charts schieben.

Ebenso beachtlich ist auch die Bilanz ihrer bisherigen Konzerte, auf die man bei meiner Ankunft Mitte April verweisen kann. An die 40 Gigs hat man in über einem Monat bereits absolviert; bis Anfang Juni, nach Abschluß der Ozzy Osbourne-Tour, so die Planung, werden es noch einmal weitere 30 sein. Niemand weiß bis dato genau, wann die Tournee schließlich zu Ende sein wird.

Im Vorprogramm von Kiss hat man anfangs die Ostküste entlang gespielt und dabei auch in New York Station gemacht, wo man an einem Abend gleich zwei Konzerte hintereinander bestreiten mußte. Bei Kiss gab’s das Kurzprogramm – und anschließend, nachts um halb zwei, „in einem kleinen Club, der mit 2000 Leuten total überfüllt und heiß wie eine Sauna war“, dann die lange Version. „Das war ganz schön heavy für die Crew“, erzählt Wolf, „die mußten die gesamte Anlage innerhalb weniger Stunden einpacken und wieder aufstellen. Wir sind in der Zwischenzeit schnell essengegangen und durften dann gleich wieder in den Ring steigen.“

An solche „Späße“ haben sich mittlerweile alle gewöhnt. Wann immer sich die Gelegenheit bietet, werden zusätzlich Club-Gigs gebucht. Das war nicht nur auf der Kiss-Tour so, sondern auch bei Blue Oyster Cult und Aldo Nova, die man durch den Süden begleitete. Jetzt als Vorprogramm der Saxon-Tour ist es nicht anders. Für Accept, für jeden einzelnen von ihnen, sind solche Club-Auftritte in eigener Regie stets eine willkommene Abwechslung vom normalen, 45minutigen Programm als Special guest.

Daß man dabei manchmal auch böse Überraschungen erleben kann, mußte die Band erst kürzlich bei ihrem Konzert in der Concert Factory von Los Angeles erleben. “ Vor der Halle gab es eine Schlägerei“, erinnert sich Peter Baltes. „Daraufhin erschien die Ambulanz und dann die Polizei. Die Ambulanz hatte nämlich testgestellt, daß der Laden brechend voll war und deshalb die Polizei benachrichtigt. „Es war die Schuld des Veranstalters, der statt der vorgeschriebenen 350 Leute schließlich deren 600 in die Factory gelassen hatte. So kam, was kommen mußte: Die Polizei erschien, brach das Konzert nach 20 Minuten und nur fünf Songs ab: die Band verschwand auf ein Zeichen ihrer Crew von der Bühne in ein bereitgestelltes Auto und brauste davon.

Zum Glück bleibt dieses Malheur die Ausnahme. Ansonsten ist vielmehr von Turbulenzen ganz anderer Art zu berichten: Echter Fanatismus, wie man ihn in Amerika immer wieder antrifft, beginnt schon bei den Babies. So verlangt ein Vater bei einer Autogrammstunde allen Ernstes, die Band solle sich auf den Windeln des Kleinen verewigen. „Es wurde richtig eng“, so Wolf. „Zum Teil mußten wir auch schon vorn auf die Fröhlichkeit schreiben, weil der ganze Hintern schon schwarz war.“ Am nächsten Tag ist San Diego, eine Stunde südlich von Los Angeles, an der Reihe. Vom Hotel-Stützpunkt aus geht die Reise im komfortablen Tourbus zum Auftritt. Wolf und Stefan, die erst kurz vor der Abfahrt eintreffen, sind die nächtlichen Strapazen im Studio zwar noch anzusehen, doch spätestens auf der Bühne ist davon nichts mehr zu spüren.

Schauplatz des Konzerts ist ein altes Theater aus der Vaudeville-Ära, das mit seinen zahlreichen Jugendstil-Imitationen und geschmacklosen Plüschverzierungen eher an ein Operettenhaus erinnert. Pünktlich um 19 Uhr geht das Saallicht aus, Accept erscheinen und beginnen aus dem Stand heraus mit „Fast As A Shark“.

Schon nach wenigen Minuten hat man den richtigen Ton bei den Kids getroffen; der Musentempel verwandelt sich in eine Rockarena. Auch unter schlechten Bedingungen, ohne Soundcheck und Bühnenmonitore, auf die man unter anderem aus Platzmangel verzichtet hat, hinterlasen sie einen hervorragenden Eindruck. Man kennt das Diktat des Headliners. der fast überall auf seinen Vorteil achtet, und weiß schließlich, daß die vielen kleinen Hindernisse und Hemmnisse nur durch Cleverness zu unterlaufen sind.

Wolf sieht dann allerdings gar eine Herausforderung: „Ich finde es immer irgendwie schön, wenn was schiefgeht oder die Konditionen schlecht sind. Das ist eine Art Herausforderung für mich, die mir Spaß macht. Ich finde es toll, es denen dann doch noch zu zeigen.“

Mißt man diese Einstellung an der Zahl der Medienleute, die nach jedem Gig den Gang zu Accepts Dressing-Room bevölkern und auf ein Interview warten, so hat man diese Nagelprobe (headliner contra Special guest) erfolgreich bestanden, ohne auch nureinmal wegen widriger Umstände „herumzuquengeln“.

In Reseda und seinem in kalifornischen Heavy Metal-Kreisen sehr beliebten Country-Club, ein sogenannter Seater für maximal 2500 Zuschauer, ist man tags darauf ganz unter sich, sprich: sein eigener Headliner. Sämtliche Eintrittskarten, das Stück zu 12 Dollar, sind seit Tagen vergriffen. Wer dennoch eine ergattern will, muß auf dem Schwarzmarkt 25 bis 30 Dollar hinblättern.

Etliche Fans haben es sich vor dem Club bequem gemacht, als der Band-Bus in den Nachmittagsstunden eintrifft; einige stehen bereits am Backstage-Eingang und schwenken ihre Transparente mit dem selbstgezeichneten ACCEPT-Logo.

Smitty, der Fahrer des 18-Tonners, ein stämmiger Südstaatler, versteht keinen Spaß, wenn es um das Wohl seiner „Schützlinge“ geht. Rauh aber herzlich sind seine Maßnahmen, die Band vor allzu anhänglichen Fans zu schützen. Er ist ein uriger Typ, der neben der Fahrerei auch noch die Wäsche besorgt und der vor allem jede Möglichkeit nutzt, sich aus- oder gleich vorzuschlafen, egal auf welcher Unterlage. Bei den oft riesigen Distanzen von einem Ort zum anderen, die längste Strecke betrug immerhin 1200 Meilen, das heißt 24 Stunden am Steuer, ist sein Schlafbedürfnis gut zu verstehen.

Accept können sich – wie an allen Tagen – auf ihre kleine, emsige US-Crew verlassen. Jeder Handgriff, vom Boxenaufbau bis hin zum Licht und Sound, sitzt. Und sollte es wider Erwarten Probleme geben, wendet man sich am besten an Charlie. Er, der früher einmal in Billy Squiers Diensten stand, findet fast immer eine Lösung.

Endlich ist es soweit, die Einleitungsmelodie „Hei-Di-Hei-Do-Hei-Da“ ist kaum verklungen, als Peter Baltes, Wolf Hoffmann, Jörg Fischer, Udo Dirkschneider und Stefan Kaufmann zur langen Version, zu einer 90minütigen Marathonshow, ansetzen. Allein die Bühnen-Choreographie, exakte und vor allem koordinierte Bewegungsabläufe jedes einzelnen, eine Art visueller Verlängerung und Erweiterung der Musik, sucht ihresgleichen im Hardrock. Seit über „drei Jahren“ arbeitet die Band an diesem Konzept und hat inzwischen eine Perfektion erreicht, die nicht hohl oder steril wirkt, sondern einfach nur begeistert.

So auch bei diesem Auftritt, wo einige besonders Mutige ihre Begeisterung durch halsbrecherische Akrobatik vor der Bühne dokumentieren. Während sich LAs HM-Prominenz (von Nikki Sixx, Sänger von Mötley Crüe, bis Bobby Blotzer von Ratt sind einige erschienen, die sich vornehmlich in Reichweite der Backstage-Bar aufhalten) bereits feiern, müssen Accept noch Zugaben bringen, ehe das Publikum sie von der Bühne läßt. Nach einer kurzen Verschnaufspause stehen Smitty und sein Bus schon bereit, um uns noch in dergleichen Nacht nach San Francisco zu chauffieren.

„Sag mal, bist du nicht Udo Dirkschneider von Accept?“ Am hellichten Tag, auf einem Bummel durch Chinatown, der Nippes- und Kitsch-Straße von Frisco, wird Udo von zwei jugendlichen Touristen aus Frankfurt überrascht. „Ihr spielt doch heute abend hier“, erklären sie und verabschieden sich schon wieder von dem verdutzten Sänger.

„Ich bin nur wegen Accept gekommen, der Headliner interessiert mich nicht“, gesteht auch Eric Winter, ein Fan, den ich im Vorraum des San Francisco Theatres kennenlerne. Er und die anderen Hardrock-Kids erleben an diesem Abend Frisco von seiner häßlichen Seite. Das liegt in erster Linie an den Ordnern, die immer wieder versuchen, mit brutaler Härte die Zuschauer von der Bühne fernzuhalten. Ihre Handgreiflichkeiten können die Zuschauer jedoch kaum in Schach halten. Am Ende siegt auch hier wie bei jeder Accept-Show, die Begeisterung.

Wenn man miterlebt hat, mit welcher Professionalität, mit welchem Spielwitz und mit welcher Intelligenz Accept in jeder Phase ihrer Konzerte bei der Sache sind, so ist es nicht überzogen zu behaupten: Dieser Band gehört die Zukunft. In Europa ebenso wie in Amerika.