Alison Moyet, London, Royal Albert Hall


Klaut eine, bettelt um eine oder seid sauer, daß ihr keine mehr bekommen habt“, stand im Londoner Stadtmagazin „City Limits“. Die Rede war natürlich von den umkämpften Tickets für Alison Moyet, die das seltene Kunststück vollbrachte, die Royal Albert Hall an vier aufeinanderfolgenden Tagen restlos zu füllen.

Im Parkett sitzen die gepflegten Mittdreißiger, in den plüschigen Separees tanzen die die Kids und nippen dazu Champagner.

Auf der Bühne erscheint eine frisch-fröhliche Band und legt ungezwungen und voller Elan los. Sie wirken wie ein Haufen begabter Freunde aus Frau Moyets Nachbarschaft.

Und dann kommt SIE. Alf ist in ihren bodenlangen Gewändern tatsächlich eine beachtliche Erscheinung. Sie strahlt, reckt ihr prominentes Kinn, schüttelt die inzwischen blonde Mähne und schmettert los, Die kursierenden Gerüchte, Miss Moyets Stimme sei angegriffen, bestätigen sich nicht —– bis auf ein paar Höhen vielleicht, die sie eher schreit als singt. Und wenn der Keyboarder versehentlich eine falsche Tonart angibt, dann grinst die Chefin umwerfend übers hübsche Gesicht und macht sich lustig: „Nicht schlecht, aber klang das nicht etwas anders?“

Entspannte Atmosphäre auch im Saal, wenn natürlich auch dem königlichen Rund angemessen. Immerhin gibt’s Zwischenbeifall für ein Pärchen, das zu „Try A Little Tenderness“ anfängt, im Mittelgang zu tanzen. Jubelschreie, als Alf „That’s The Way it is“ anstimmt, das kennt man doch vom Live-Aid-Duett mit Paul Young.

Und auch der Billie-Holiday-Klassiker „Ol‘ Devil Called Love“ fügt sich wundervoll in dieses stimmungsvoll zusammengesetzte Programm, bei dem die französische Britin sich lediglich von ihren zwei Chormädchen begleiten läßt — glasklare Stimmen mit Andrew Sisters-Arrangements. „Visible“ endlich scheint den Mitklatsch-Effekt zu erzwingen: im Rhythmus leuchten dazu sechs Reihen Neonröhren mal gelb, mal lila, mal rosa, mal grün.

Erstaunlich, mit welcher Mühelosigkeit Alf in dem Moment die todtraurige Ballade „Winter Goes“ wie einen Hauch im Nebel wispert, um sich dann mit einer schnellen Drehung in die kraftvolle Soul-Shouterin zu verwandeln — immer ganz der souveräne Popstar.

Zu „Get Out“ schickt Mademoiselle Alison bereits jeden ihrer Band einzeln von der Bühne, um den tosenden Beifall auch mal ganz allein genießen zu können. Nur die Rhythmusmaschine ist noch am Tuckern — und Alf ruft ins Rund: „Mädels, glaubt mir! Man kann auch mit einer Maschine glücklich sein!“ Alles lacht, die Musiker hopsen wieder herbei, der Bassist schwenkt die großartige Sängerin zu „Only You“ über die Bühne, und jetzt hat sie sogar endlich den bodenlangen Frack abgelegt.

Als die Leute draußen in der windigen Nacht versuchen. Bus oder Taxi zu ergattern, sieht man allerorten immer noch verzückt ungläubige Gesichter.