Amon Düül – Alte Freaks mit neuen Zielen


Während sich vor dem Theatre de Palast Demonstranten und Polizei eine Schlacht lieferten, gingen drinnen die Lichter aus und es ertönte Beethovens „Hymne an die Freude“ über den Synthesizer. Es war der 17. Januar 1977, und die deutsche Gruppe Amon Düül II stand zum ersten Mal nach zwei Jahren wieder auf einer französischen Bühne. Wie keine andere deutsche Band durch sämtliche Höhen und Tiefen der Rocklandschaft gegangen, setzten die Düüls zu einer neuerlichen Rückkehr in die europäische Musikszene an.

Wer schon geglaubt hat, daß mit dem Doppelalbum „Made In Germany“ endgültig ein Kapitel deutscher Rockgeschichte abgeschlossen worden sei, hat sich abermals getäuscht. Die zwei Jahre dauernde freiwillige Bühnenabstinenz, in denen nach außen hin nichts, und innen sehr viel passierte, hat verblüffende Ergebnisse zutage gefördert. Mit der zehnten LP, „Pyragony X“, und zwei hinreißenden Auftritten im Münchner „Downrown“ hat eine neue Ära Amon Düül 11 begonnen. Wie lange sie dauern wird, darüber möchte ich keine Mutmaßungen anstellen, aber das sie nicht einfach sein wird, darüber sind sich die Beteiligten im klaren.

Chris Karrer faßte die Probleme, die Amon Düül II bei ihrem Neustart zu bewältigen haben, folgendermaßen zusammen: „Es ist ja eine überregionale Sache, daß fast alle deutschen Gruppen, also nicht nur Amon Düül II, in die roten Zahlen gerutscht sind. Das heißt, daß wir im Moment mit Minus arbeiten, doch der Erfolg rechtfertigt die Investitionen. Nur kann man inzwischen nicht mehr mit großen Vorschüssen, mit einem Mäzen oder Sponsor rechnen. Die Leute sind vorsichtiger geworden. Das heißt für uns harte Arbeit, und da läuft ein ständiger Line-Up-Wechsel wie in der Vergangenheit nicht mehr.“ Und so sieht also die neue, vermutlich beständige Besetzung aus: Drei Mitglieder der Ur-Düüls sind geblieben – Chris Karrer, Gesang, Saxophon, Gitarre, Geige; Peter Leopold, Schlagzeug, und John Weinzierl, Gesang, Gitarre. Zwei neue, junge Gesichter sind hinzugekommen: Klaus Ebert, Baß, Gitarre, Gesang, vormals bei Sameti und 18 Karat Gold, und Stephan Zauner, Keyboards. Gesang und darüber hinaus Multi-instrumental ist, mit einem bereits vorliegenden Solo-Album, „Narziß“. Es ist ein wirkliches Solo-Album und hat nichts mit dem Sound von Amon Düül II gemeinsam. Zauner hat, mit Ausnahme des Schlagzeugs, alle Instrumente im Alleingang gespielt und auch die Texte geschrieben und gesungen. Musikalisch ist diese LP sehr an Gruppen wie Genesis und Yes angelehnt, die Texte klingen bisweilen nach Udo Lindenberg,sind jedoch persönlicher, intimer und verträumter.

Was aber nun ist anders an diesen Amon Düül anno 1977? Die neue LP „Pyragony X“ gibt sehr gut die Stimmung der regenerierten Band wieder – eine gewisse Ernüchterung.die sich im sparsamen, fast spartanischen Einsatz von Arrangements und Gags ausdrückt. Die sichere und disziplinierte Handhabung der Instrumente läßt die Kompositionen klarer und greifbarer klingen, die durchweg melodiös und einfach sind. Es ist ein ziemlich „normales“ Album, für Amon Düül II auffallend zurückhaltend und bescheiden. Bedeutet das Resignation oder der Versuch, auf Nummer Sicher zu gehen? „Nein, es hängt mit der neuen Besetzung zusammen“, erklärt Chris. „Das sind alles Profis und ausgreifte Persönlichkeiten. Daher findet kein Freak-Out mehr statt, sondern eine langsame Annäherung an jeden.

Sparsam und spartanisch

Und das fordert gewisse Zugeständnisse ab, damit genug Freiraum für alle bleibt. Neben der Kollektiv-Arbeit und den gemeinsamen Kompositionen soll jeder seine eigenen Ideen mit einbringen können. Das mag auf den ersten Blick vielleicht so aussehen wie ein Fleckerteppich, negativ ausgedrückt, für jeden etwas. Aber das ist nur eine Übergangsphase. Das nächste Album wird sicher wieder lebendiger, experimenteller. Denn mittlerweile haben wir voneinander gelernt, uns auf eine einheitliche Linie zubewegt. Ein weiterer Punkt, der bei der Überlegung zu diesem Album wichtig schien, war die Konzert-Perspektive. Die Stücke sollten einfach sein, daß wir sie ohne große Abstriche auf die Bühne bringen können.“

Chris Karrer hat nicht übertrieben; das wirklich Neue, Aufregende an Amon Düül II sind zweifelsohne die Konzerte. Erinnern wir uns an früher, wo die chaotischen Live-Auftritte meist eine nachhaltige Enttäuschung waren, dann hat sich hier aus einer begnadeten Studio-Band ‚ eine professionelle und unterhaltsame Live-Truppe entwickelt. Ein Paradoxum in den Tagen der Studio-Perfektion? Mitnichten! Amon Düül II ist nie mit dem Strom geschwommen, folglich ist diese Umkehrung mehr als logisch.

Diese neue instrumentale Selbstsicherheit kommt nicht von ungefähr. Zum ersten Mal seit langem wird jeden Nachmittag geübt und gearbeitet,nicht zuletzt dank der beiden Neulinge, die den nötigen Schwung und eine noch unverbrauchte Energie mitgebracht haben. Und man hat ein für alle akzeptables Konzept gefunden, das sowohl den Praktikern als auch den Phantasten des Ensembles Freiheit läßt.

Verzicht auf Egotrips

„Früher haben wir nie für die Leute, sondern nur für uns selbst gespielt. Das ist jetzt umgekehrt. Und das macht den Verzicht auf manchen schönen, aber unverständlichen Egotrip einfacher“, meint Chris Karrer. Neben der instrumentalen Perfektion, die gottseidank niemals übertrieben wird, präsentiert sich Amon Düül II auch in neuer Schale. Das oben angesprochene Konzept hat automatisch zu einer amüsanten Bühenshow geführt. Da blubbern Seifenblasen über die Bühnenszenerie, senkt sich der Nebel über die Gruppe, setzt dramaturgischer Lichteinsatz Akzente, sorgen Bandeinspielungen und konische Schubbidu-Rock’n‘ Roll-Schritte für Abwechslung. Doch nie wird die Musik durch Optik ersetzt: „Im Gegensatz zu den meisten angloamerikanischen Bands“, so Karrer, „soll sich der äußere Rahmen nicht verselbst ständigen, also Form ohne Inhalt werden, sondern ein komplizierter Inhalt in einen einfacher, eingängigen Rahmen verpackt werden und ihn besser zur Geltung bringen. Unsere musikalischen Ideen werden also nur in die Show integriert.“ Gerade in München, wo das Publikum seinen Lokalmatadoren immer besonders skeptisch gegenüberstand, hat die umgekrempelte Amon Düül II die Feuerprobe schon im Dezember erfolgreich bestanden. Neben vielen alten Freunden waren besonders viele junge Zuschauer zu sehen. Ein gutes Zeichen, denn ohne ein neues Publikum nützt auch jeder noch so geglückte Anfang wenig.

Trotz Show und Perfektion scheint auch nicht die Gefahr zu bestehen, daß Amon Düül II nun in Routine erstarrt. Zu sehr wirkt hier die persönliche Ausstrahlung der Musiker entgegen. Und der Wunsch nach Veränderung hält die Leute auf Trab. Chris Karrer: “ Obwohl es sehr wichtig ist, fällt es schon nach einem halben Jahr schwer, eine gewisse Konstante zu bewahren, nicht sofort wieder Neues auszuprobieren. Aber ein zu schneller Wechsel ist heute nicht mehr mit dem Publikum zu vereinbaren. Die Angst vor neuen Dingen bei manchen Künstlern ist nicht unbegründet. Einmal ’ne Masche, immer wieder…das Publikum ist trendy geworden. Als etwa Roxy Music anfingen, planten sie jedes halbe Jahr eine neue Show und jede Platte sollte anders sein. Doch der schnelle Wechsel hat sie weit weg von der ursrpünglichen Idee gebracht und ihnen fast ein Ende beschert. Heute muß man behutsamer, langsamer vorgehen.“

Daß Amon Düül II auf dem richtigen Weg sind, zeigte das Pariser Konzert. Die Franzosen mochten die alten, stets für einen Schock bereiten Amon Düül II schon immer sehr gern. Und Befürchtungen seitens der Band, daß gerade diese treue Fan-Gemeinde dem neuen Konzept mit Distanz begegnen würden, waren nicht unbegründet. Doch weit gefehlt.Schon bei den ersten Klängen der erwähnten Ouvertüre und der zugespielten Tagesschau – Erkennungsmelodie für die Fernsehsatire „Telly Visio“ hatte die Band das Publikum für sich eingenommen und den Test-Gig bestanden. Eine ausgedehnte Frankreich-Tournee im April und die Veröffentlichung der LP sollen nun folgen.

Vive La France

Andererseits war die Reise nicht frei von der gewohnten Amon Düül II-Konfusion, zumindest, was Organisation und Details betraf, was die Musiker zweifellos belastet. Noch ist nicht genügend Geld und somit Hilfspersonal vorhanden, daß sich die Band allein auf ihren Auftritt konzentrieren könnte; man fährt die Autos selbst von Konzert zu Konzert, steigt in drittklassigen Hotels ab, hat kaum Zeit zum Essen, der Soundcheck wird unter Schwierigkeiten und in einer ungeheizten Halle absolviert. An eine Erholungspause ist auch nach dem Auftritt nicht zu denken; noch müssen alle beim Abbau und Transport der Anlage mit anfassen.

Und trotzdem, oder vielleicht gerade deshalb ist die Stimmung gut, herrscht eine hektische, intensive Atmosphäre, ein guter Gruppengeist, der keine Zeit für Starallüren oder Solotrips läßt. Mehr denn je ist Amon Düül II auf sich selbst, auf Teamarbeit, auf Ausdauer und gute Leistungen angewiesen, die eines nicht zulassen: sich auf Lorbeeren auszuruhen.

Andererseits haben die Musiker so viele schlechte Erfahrungen hinter sich, daß sie vielleicht gerade deswegen nicht noch einmal dieselben Fehler machen werden. Im Augenblick sieht es ganz so aus, als ob in den Münchnern noch so manche unentdeckte Überraschung zu schlummern scheint. Denn eines kann man ihnen nicht vorwerfen: Ideenlosigkeit.