Tanz der Krautrocker


Ein Buch über die deutsche Rockband Amon Düül wollte die Münchener Journalistin Ingeborg Schober schreiben. Herausgekommen ist aber ein Buch über die Entwicklung der deutschen Rockszene. Amüsant, äußerst lebendig und engagiert verfaßt; gespickt mit einer unerschöpflichen Flut von Details und Daten, Aussagen und Ereignissen. Wer erst einmal ein paar Seiten angelesen hat, der wird unweigerlich hineingezogen in den "Tanz der Lemminge".

Vergißt man einmal Vorboten wie Peter Kraus, die Lords und die Rattles, dann begann das Zeitalter der deutschen Rockmusik Ende der sechziger Jahre. Nichts war mehr heilig in jenen Tagen. Die Beatles und die Stones hatten die Kultur umgestülpt, die Studenten revoltierten, die Joints kreisten, Jesus stand im Abseits: er selbst sei viel populärer, hatte John Lennon erklärt. Mit der üblichen Zeitverschiebung drifteten die immer häufiger wechselnden subkulturellcn Trends aus den USA und England nach Deutschland und losten auch hier viele Dinge aus, die kurz zuvor niemand für möglich gehalten hätte. Zum Beispiel die Gründung der Rockband Amon Düül – ein musikalisch anfangs nicht sonderlich begnadeter Haufen von Haschrebellen, die nichts davon abhalten konnte, die neu erschlossenen kulturellen Freiräume exzessiv zu nutzen. Lothar Meid hat über jene stellenweise chaotischen Tage später einen Song gemacht: „Wir nannten uns die Helden aus dem Untergrund, die Leute sagten: ungesund! Doch wir spielten uns jeden Tag die Finger wund, auf nicht bezahlten Gitarren.“

Mittendrin in diesem Gärungsprozess steckte Ingeborg Schober. Die heutige Funk- und Zeitschriftenjournalistin, die seit zweieinhalb Jahren auch für MUSIK EXPRESS schreibt, hatte mit der späteren Düül-Sängerin Renate Knaup im Allgäu die gleiche Volksschulklasse besucht, und das war wohl ein Wink des Schicksals: Später wurde es selbstverständlich, daß sich ihr Lebensweg und der der Rock-Kommune immer wieder kreuzten oder zeitweise vereinigten. Es lag daher auch nahe, daß Ingeborg Schober irgendwann einmal ein Buch über die Düüls schreiben würde: ein Buch über eine Rockgruppe, die bis heute – trotz einer frühen Spaltung – weiterexistiert, die nie so großen Erfolg hatte wie zum Beispiel Can, Kraan oder Kraftwerk, deren Karriere aber zeitweise durchaus exemplarischen Charakter hatte.

Die Recherchen zu diesem Buch, das dann nach einem Album von Amon Düül II „Tanz der Lemminge“ benannt wurde, verliefen zuweilen so chaotisch und mühsam wie der Aufstieg der Düüls. Viele Monate lang arbeitete Ingeborg Schober 1978 intensiv an ihrem Projekt; sie mußte all ihre anderen Jobs arg vernachlässigen, konnte auch für den MUSIK EXPRESS kaum noch schreiben; sie stöberte in Archiven, bat die Leser von MUSIK EXPRESS und „Sounds“ per Kleinanzeige um Material (mit Erfolg übrigens), durchforstete endlos lange Tonbänder mit Interviews, machte sich vor allem auf die Suche nach verschollenen Leuten aus der Band und aus ihrem Umfeld; sie traf Verabredungen, kam umsonst, hatte häufig die Nase voll von ihrem Projekt.

Welch Wunder: der Rahmen für das Buch wurde größer und größer. Schon bald hatte sie erkannt, daß es sinnlos war, dieDüüls aus ihrer Zeit und ihrer Umwelt herauszuheben; zu eng waren da die Verbindungen zwischen Musik und Zeitungsschlagzeilen, zu deutlich wurzelten kreative Impulse in Platten Veröffentlichungen in den USA, Konzerten in England, Demonstrationen in Berlin. Ein klarer Fall waren auch die Querverbindungen zwischen den Düüls und anderen deutschen Musikern und Bands: Ingeborg Schober gab sich irgendwann geschlagen und machte sich daran, ein Buch über die Entwicklung der deutschen Rockmusik zu schreiben; einer Entwicklung, durch die sich die Karriere der Düüls wie ein roter Faden schlängelt.

Der „Tanz der Lemminge“ zieht sich vom Gründungsfieber inmitten von Apo und Flower-Power über die Zeit der ersten musikalischen und kommerziellen Erfolge hinein in die siebziger Jahre. Politisch sind die Träume bald ausgeträumt, bleiben nur noch RAF-Bomben oder der Rückzug in die Privatsphäre. Musikalisch aber tut sich einiges: die deutschen Bands lernen, erschließen sich nach und nach ausländische Märkte, entwickeln – trotz immer wieder eingestreuter Perioden der Stagnation einen spezifisch deutschen, ausgereiften Rock. Am Schluß des Buches stehen die Jahre der kreativen Explosion und der Hitparadenerfolge: der „Tanz der Lemminge“ ist 1979 noch längst nicht zu Ende.

Ingeborg Schober hat ihr Buch noch ergänzt durch aktuelle Statements von Musikern und Journalisten, eine komplette Amon Düül-Discografie und ausgewählte Songtexte. Sie helfen mit, den „Tanz der Lemminge“, der jetzt im Juni bei Rowohlt erscheint, zu einem Meilenstein der Rockliteratur zu machen. Bücher über Rockmusik sind in diesem Lande schon viele geschrieben worden, und gute obendrein; befaßt haben sie sich aber vornehmlich mit anglo-amerikanischerRockmusik (Lexika, Songbücher und mit dem Rock nur verwandte Bücher einmal ausgenommen). Ingeborg Schobers Buch schließt hier die große Lücke, macht die Geschichte der mittlerweile erwachsen gewordenen deutschen Rockmusik transparent.