Angriff der Klonkrieger


Coverbands wie The Australian Pink Floyd Show und die Genesis-Wiedergänger The Musical Box erwecken in den Rollen ihrer Helden höchst erfolgreich die Prog rock-Ära zu neuem Leben. Ist das gesund?

Auf halber Strecke im Zug vom Gatwick Airport in die Londoner Innenstadt merkt der Pink Floyd-Freund auf: Da zieht es am Fenster vorbei, dräuend aufragend hinter einem Vorhang aus Nieselregen, dieses surrealistische Gebäude mit den vier weißen Türmen, zwischen die Designer Storm Thorgerson für das Cover von Pink Floyds Album ANIMALS 1977 jenes berühmte Gummischwein hängte (und, nachdem das Tier verweht war, malte; aber das ist zwar eine hübsch bekloppte, aber ganz andere Geschichte), das Eingang in die Rock-IkonogTaphie finden sollte. Und mit ihm dieses Gebirge aus Stein, ein schnödes Ex-Kohlekraftwerk (die Türme sind in Wahrheit Schornsteine), doch ein so futuristischer Bau, gleich einer aufgelassenen Kulisse für „Metropolis“ oder „Brazil“, dass sein majestätisch-bedrohlicher Anblick einen selbst an so einem verpissten Nachmittag im Vorbeirattern gruselig-feierlich berührt: Battersea Power Station. Aber ach, recht propper steht es nicht da, das Gemäuer, seit Jahrzehnten eine vor sich hin modernde Ruine. Abgerissen soll es werden, hat man vor Zeiten irgendwo gelesen. Alas, da geht sie hin, die steinerne Ikone. Schade drum, aber so ist wohl der Lauf der Din…

Alles falsch. „Nein, nein. Battersea wird nicht abgerissen“, wehrt Colin Wilson beim Interview in den Katakomben der Royal Albert Hall, einem anderen Londoner Ikonenbau, ab. „Das Gebäude steht unter Denkmalschutz. Es soll saniert werden. Und dann werden sie wohl Läden und Restaurants reinpacken.“ Wie passend, gerade von Wilson auf diesen Irrtum aufmerkam gemacht zu werden. Denn wenn das so ist, dann plant die Stadt London mit derBattersea Station ja etwa das selbe, was Wilson und seine Kollegen seit anderthalb Jahrzehnten mit Pink Floyd machen: Das angeschlagene Denkmal pflegen und es kommerziell nutzen. Colin Wilson, 41, ist Bassist und einer von drei Sängern bei The Australian Pink Floyd Show, kürzer: The Australian Pink Floyd, noch kürzer: Aussie Floyd oder einfach: Oz Floyd. Der Name ist eher sekundär, denn Oz Floyd entstammen einer Szene, in der Ego, Identität und Autorenschaft nicht so im Vordergrund stehen: Die Exil-Australier sind die Könige der Tribute Bands in Großbritannien.

Tribute Bands, also Formationen, die es sich zum Schaffensinhak gemacht haben, das Werk einer von ihnen verehrten „echten“ Band nachzuspielen, gibt es seitJahrzehnten in allen Winkeln der rockenden Welt; meist handelte es sich dabei bislang um ambitionierte Amateurmusiker, deren Wirken sich auf einen regionalen Bierzelt/Rockclub/OpenAir-Zirkus beschränkte (man lese dazu Andreas Kletzins Reportage in ME 2/2001). In den letzten Jahren aberscheint dieser Markt signifikant zu expandieren, mit immer mehr Bands, die ihr Gewerbe zwischen Verehrung und Verwertung professionell und im großen Stil betreiben. Vor allem im Progressive-Rock-Bereich, wo Fritz Raus altes Pop-Personality-Prinzip „It’s the singer not the song“ seit jeher weniger greift als in anderen Sparten, schießen Klone von Bands wie Genesis oder Yes wie Pilze aus

dem Boden; und eine der Königsdisziplinen ist sicherlich das Oeuvre des guten alten Psychedelic-Pomp-Supertankers Pink Floyd.

Dass gerade Australien ein so fruchtbares Terrain für Tribute Bands ist, erklärt Colin Wilson mit eineT Art Selbsthilfe-Notstand dowmmder. „Viele der großen Bands kamen einfach nie nach Australien, weil es zu weitab vom Schuss liegt. Und darum spezialisieren sich viele junge Musiker da unten auf das Coverngroßer Rock-Acts. Esgibt einen Markt dafür, weil die Originale sich nicht blicken lassen. Pink Floyd haben in 25 Jahren zwei Konzerte in Australien gespielt: eines J973 in Melbourne und eines 1987.“Zum ersten (und letzten) Mal live gesehen haben Wilson und sein Kollege Jason Sawford, Floyd erst 1994 in London. Auch die Aussie Floyds haben klein angefangen, 1988 in Adelaide. Und sie wollten es von Anfang an wissen: Eines der ersten Stücke, die sie sich mit einem selbstquälerischen Mucker-Ethos draufschafften, war das komplexe i7minütige „Dogs“ von animals.

„Wir haben uns gesagt: Fangen wir gleich mit dem Schwierigsten an“.

schmunzelt Keyboarder Sawford, 37, ein sympathischer, gemütlicher Pferdesch wanzträger in zeitlos unmodischem Sweatshirt. 1993 ergab sich für die in der Heimat längst erfolgreiche Coverband auf Einladung des Floyd-Fanzines „Brain Damage“ ein erstes Gastspiel in England. 1994 siedelten sie nach London um und spielten sich im Laufe der 90er an die Spitze der UK-Tribute-Szene.

Zehn Jahre spater kennt jeder nerim Königreich das rosa Känguruh-Maskottchen, das auf den Tourplakaten der Australier statt des Schweines zwischen den Battersea-Schloten schwebt oder dem brennenden wishyouwere HERE-Mann die Pratze reicht. Unermüdlich und mit expandierenden Programmen und Lightshows tourend, füllen sie längst 2000er-Venues im ganzen Land, von der klammen Mehrzweckhalle bis zum plüschigen Theater. Einen Höhepunkt markierte im November 2001 ein Gig in der altehrwürdigen Londoner Royal Albert Hall, inklusive eines Gastauftritts des Kinderchors der Islington Green School, der 1979 auf Floyds Original-„Another Brick In The Wall Part 2“-Track sang. Nerd-Träume wurden wahr; die höheren Weihen freilich hatten die Aussies bereits Jahre zuvor erhalten, als sie 1996 bei der Party zu David Gilmours 50.-Geburtstag aufspielten auf persönliche Einladung des Pink-Floyd-Chefs.

Diese Quasi-Autorisierung ihres Tuns durch die Altvordern – selbst der notorische GTantler Roger Waters soll einem Konzert beigewohnt und sich positiv geäußert haben – hat viel zu dem Standing beigetragen, das die Australier in Fanzirkeln genießen. Und sicher war es auch hilfreich, dass sich die nach dem Weggang von Waters 1985 verbliebenen Original-Floyd um Gilmour seit nunmehr fast zehn Jahren nicht mehr geregt haben; vor zwei Jahren tourte Waters mit einer Art Floyd-Tribute in eigener Sache, ansonsten sind Freundinnen live dargebotenen Floyd-Liedgutes- und die wachsen Generation um Generation nach -auf Tribute Bands angewiesen. „Bands wie diese leisten einen unschätzbaren Service und verdienen eure Unterstützung!“ appellierte letzthin ein schwer gerührter Autor der Fansite „Brain Damage“ in seiner Rezension einer Oz-Floyd-Show an die Genossen. Spätestens bei solchen Formulierungen reißt freilich eine Kluft wieder voll auf, die von jeher schier unüberbrückbar zwei grundlegend konträre Denkschulen in rock trennt: Den leistungsorientierten Kunst-kommtvon-Können-Ansatz des Progressive Rock und die Auffassung von Rock’n’Roll als originärer, rebellischer, nichts als dem freien Ausdruck verpflichteter Kunstform. Rockmusik als Service, als handwerkliche Dienstleistung? Ist das denn nicht ganz fürchterlich? Was findet ein Künstler anziehend daran „… die Musik anderer Leute nachzuspielen ?“, führt Colin Wilson die Frage zu Ende und kontert freundlich den wohl schon oft gehörten Anwurf. „Wir haben uns immer bemüht, möglichst exakt an den Originalversionen der Songs zu bleiben. Da steckt schon eine Herausforde-‚ rung drin, das erfordert Disziplin.“ Sie erlauben sich also nicht einmal, sagen wir mal, kleine Jams? „Beim Soundcheck improvisieren wir manchmal über ein paar Songs. Aber bei den Konzerten müssen wir ans Publikum denken. Undwas wirfür einen tollen Jam halten mögen, müssen die ja nicht unbedingt genauso sehen. Wir bleiben beiden Originalen.“

„Gut, mit ein paar der älteren, ausufernderen Songs wie,CarefulWith ThatAxe, Eugene‘, von dem esjazum Beispiel keine definkve Studioversion gibt, kann man etwas spielen „, räumt Jason Sawford ein und offeriert dann einen etwas gewagten, doch einleuchtenden Vergleich: „Es ist doch nicht viel anders, als wenn ein Orchester klassische Musik reproduziert. Warum sollte man das nicht auch mit Rockmusik machen? Und wenn man zu einem Konzert geht und es wirdBeethoven gegeben, will man ja auch keine Improvisationen oder Neufassungen des Werkes hören.“ Sehr ahnlich argumentiert Toni zinki, passionierter Prog-Rock-Fan aus München. „Im Theater und in der klassischen Musik ist es ja auch gang und gäbe, dass es Werktreue Wiederaufführungen gibt. Ich find ’sgut, dass es auch Rockbands gibt, die das machen, weil viele nie die Chance hatten, die Konzerte damak zu sehen.“ Zinkl war gerade mal um die 13, als Anfang der 70er Jahre die Artrock-Overlords Genesis ihre stilprägenden Alben foxtrot und selling England by the pound veröffentlichten. „Diese Platten waren damals eine Offenbarung für mich“, erklärter, „aber ich war zu jung, um die Konzerte mitzukriegen.“ Um Phantomschmerz, der am Abklingen ist, seit Zinkl im Münund lokale Veranstalter geladen, sich ein Bild von der Band machen, wenn die heute zum zweiten Mal die semi-heilige Royal Albert Hall bespielt. Ein triumphaler Abend scheint programmiert: Das prunkvolle Rund mit über 5.000 Plätzen ist ausverkauft, die Logen und Balkone füllen sich mit einer bunten Schar aus Kids und Herrschaften, bierbäuchigen Altrocker-Kranzchen und kompletten Familien. „Wir haben immer so ziemlich alle Altersgruppen“, sagt Ed, der Tourmanager, „die Älteren, die Nostalgiker, aber auch die 17-Jährigen, die Spliff-Abteilung.“

Die Bühne ist vollgestellt mit modernem Equipment, einen musealen Ansatz wie The Musical Box zeTtpromoter in spe freudig erregt am Diskutieren. Für etwas Nervosität sorgt dabei das Gerücht, die amerikanischen Platzhirsche in Sachen Floyd-Tribute, eine ominöse Combo namens The Machine, seien ebenfalls dabei, ihre Fühler in Richtung Deutschland auszustrecken. Zur zweiten Hälfte gibt’s dann einen bunten Strauß Greatest Hits. Die Floyd-Frühzeit mit Syd Barrettist dabei nur mit „Astronomy Domine“, dazu in einer eher glatten Version vertreten (Wilson: „Die Barrett-Sachen sind im Grunde am schwierigsten zu kopieren, weil seine Gitarre meistens irgendwie verstimmt ist. Wenn man diese Songs nachspielt, klingen sie immer zu gut“). Dazu wird mit „High Hopes“, „Sorrow“, „Keep Talking“ etwas viel Zeit auf die quarkigen post-Waters-Alben der 80er und 90er verwendet. Mit chner Circus Krone die Show der kanadischen Band The Musical Box sah. Das Quintett aus Montreal hat es sich seit einer Dekade zur Aufgabe gemacht, die elaborierten Bühnenshows der damals von ihrem exaltierten Mastermind Peter Gabriel angeführten Genesis nachzustellen. Und zwar in allen Einzelheiten und Aspekten, mit einer Akkuratesse, die an Besessenheit grenzt: Mit archäologischer Akribie, durch Sichtung von Fotos, Filmschnipseln, Presseberichten, ja sogar die Befragung von damaligen Konzertbesuchern, hat die Band Look, Sound und Choreographie rekonstruiert; vom Bühnenbild über die Motive der psychedelischen Diashows, die Masken und Kostüme von Gabriel bis hin zum Originalklang des 30 Jahre alten Instrumentariums, das weitgehend verwendet wird. Sogar die blumigen Geschichten, die Gabriel vor über einem Vierterjahrhundert zwischen den Songs als Ansagen zum Besten gab, hat Sänger Denis Gagne drauf. Die spinnen, die Kanadier? Mag sein, aber sie machen Menschen froh damit. „Ich war richtig gerührt“, gibt Toni Zinkl zu. Und weil er da nicht der einzige war, kommen The Musical Box dieses Frühjahr zurück, für 17 Daten in ganz Deutschland (siehe „tourneen“), mit drei Shows („Foxtrot“, „Selling England By The Pound“ und „The Lamb Lies Down On Broadway“) im Repertoire. Fan Zinkel hat sich seine Tickets schon gesichert.

Nein, das Geschäft mit den Klon-Bands ist keine Randerscheinung für Fanclub-Nerds mehr, sondern eine potentielle Goldgrube. Und deshalb sitzen wir hier an einem nassen Nachmittag in London. Die Hamburger Konzertagentur Music Pool Germany plant, The Australian Pink Floyd Show nach Deutschland zu holen und hat eine Handvoll Journalistinnen verfolgen die Australier nur bedingt. „Klar, wir benutzen ähnliches Equipmentwie Pink Floyd, um dieSounds möglichst orginalgetreu hinzukriegen „, sagt Colin Wilson. „Da experimentieren wir viel rum. Und wir haben schon ein paar Spezialitäten. Einer der Gitarristen hat etwa ein Effektgerät, von dem es auf der Welt ganze drei Stück gibt; die anderen zwei hat David Gilmour. Aber das meiste Equipment ist von heute. Das ist einfach zuverlässiger auf Tourneen.“ Auch den alten Brauch, ganze Alben am Stück aufzuführen, pflegen Oz Floyd nur aus gegebenem Jubliäums-Anlass auf dieser Tour: Den ersten Teil des Abends wird das komplette dark SIDE OFTHE MOON-Album füllen.

Und dann geht das Licht aus, der Herzschlag puckert los, und in den folgenden 40 Minuten lassen die acht Leute da vorne – fünf Musiker, drei Sängerinnen – in einer nahezu perfekten Reproduktion dieses zigmal gehörte Album erstehen. Zunächst fremdelt man noch, aber hat man einmal die angesprochenen Unbehaglichkeiten abgelegt und sieht noch über den einen oder anderen geschmacklichen Wackler im esoterischen Bilderwabern der Projektionsshow hinweg, macht das doch Laune. Der sittliche Nährwert? Geht freilich gegen null, aber allein die großen Kinderaugen, die derTrainspotter in einemmacht, sind die Sünde wert. In der Pause sind die mitgereisten Kon“Shine On You Crazy Diamond , „Welcome To The Machine“, „One Of These Days“, „Another Brick In The Wall Part 2“ (diesmal ohne Kinderchor), „Wish You Were Here“ gibt’s dann aber genug, wenn auch wenig überraschendes Hitfleisch aus den 7oern, einmal mehr schier gruselig originalgetreu aufgetischt. Bei den unvermeidlichen THE WALL-Dauerbrennern „Run Like Hell“ und „Comfortably Numb“ (komplett mit Spiegelkugel-Explosion) reißen sich dann ein paar besonders enthusiasmierte Fans sogar tanzend die T-Shirts vom Leib. Eine rauschende Ballnacht.

Spater beim Fußmarsch zum Hotel tauchen wir langsam wieder auf aus dieser seltsamen Welt, in der in Konzert-Reviews die Imitation der „David Gilmour vocals“ ein Qualitätsmaßstab ist (Colin Wilson ist übrigens ein kompletter Spieler: Er „kann“ Gilmour UND Waters). Was werden unsere Indie-Freunde dazu sagen, dass wir uns, tja, amüsiert haben? Ob morgen früh noch Zeit ist für eine kleine Pilgerreise in den Battersea Park? Und: Wie lange kann einer eigentlich „The Fletcher Memorial Home“ und „The Great Gig In The Sky“ spielen, ohne gaga zu werden? „Am Ende einerTournee“, hat Wilson, der wie die meisten seiner Kollegen als Gegenpol ein Soloprojekt hat, das nichts mit Floyd zu tun hat, vorhin eingeräumt, „möchte man dann schon eine Zeitlang nichts von Floyd wissen und hören, sondern den Kopffrei kriegen.“ Das kann ersieh jetzt erstmal abschminken: Die Daten der ersten Deutschland-Tour der Australian Pink Floyd Show stehen fes. (siehe Seite 108). Die Invasion der Klone hat gerade erst begonnen.