Antony & The Johnsons with The London Symphony Orchestra London, Barbican


Die Europa-Live-Premiere der Songs des kommenden Albums The Crying Light. Mit Orchester. Und Toga!

Jedes dieser drei Elemente für sich genommen verströmt eine Aura von Veredelung und Finesse: Die Londoner Barbican Hall. Antony & The Johnsons. Und das London Symphony Orchestra. Die drei zusammengenommen, und man sieht sich einer Kombination gegenüber mit dem Potenzial zu beinahe schon spiritueller Großartigkeit.

Der Abend im Londoner Kulturzentrum und die exklusive Orchester-Kollaboration ist eines von zwei UK-Premierenkonzerten des kommenden Antony-Albums The Crying Light. Die Atmosphäre im Auditorium ist anheimelnd ehrfürchtig, kein Mucks ist aus dem Publikum zu hören. Ich wage kaum, die Seiten meines Notizbüchleins umzublättern, um nur ja nicht die andächtige Stille zu stören. Die ersten Töne von „Another World“ erklingen, Antony Hegarty steht als dunkle Silhouette vor den langsam gleitenden Bögen des Orchesters hinter ihm. Das zarte Flüstern des Orchesters baut sich zu einem Crescendo auf, dann schwebt Antonys makellos klare Stimme sanft über die Musik hinweg, wie eine Feder auf einem Windhauch. Wie unbehaglich steht der am Mikrofon, gekleidet in eine Art römische Toga, das schwarze Haar wallend. Er bewegt sich langsam und unbeholfen, wie eine Marionette, gelenkt von den Händen eines traurigen Kindes.

Sie spielen lauter neues Material, von der neuen EP another world und dem noch unveröffentlichten the crying light, die Qualität ist absolut beeindruckend. Selbst ein Cover von Beyonce’s „Crazy In Love“ ist durchdrungen von der ihnen so eigenen zarten Melancholie. Es ist absolut herzzerreißend. Nach jedem Song bricht nachgerade verzückter, ekstatischer Applaus los. Trotzdem – oder deswegen noch mehr? – wirke Antony nervös und zögerlich, wenn er mit dem Publikum spricht. Und schönerweise sagt er intelligente und interessante Dinge, anstatt nur ein einfaches „thank you“ oder ein plumpes „it’sgood ro be here“ hinzuwerfen.

Die Wärme und Offenheit dieser Musik ist einnehmend und fesselnd auf einer sehr fundamentalen Ebene. „Everything Is New*‘ kündet von Drama, Verunsicherung, die Stimme erhebt sich und schwillt an, bis sie noch den letzten Winkel des Raumes füllt. Antony strahlt zugleich Stärke und Verwundbarkeit aus, im Ausdruck von Emotionen, die tief aus der menschlichen Seele gezogen sind. Doch in all der Aufgewühltheit und dem Aufruhr finden sich immer wieder Splitter von Optimismus. Wenn Antony singt, „no-one can stopyou now“, ist da eine Heiterkeit und eine Sicherheit von Hoffnung, die nicht oft spürbar ist in seinen Songs.

Die in Dunkelheit getauchte Halle ist eingehüllt, erfüllt, durchdrungen von der Musik. Bei den letzten Augenblicken des letzten Songs schwenkt ein Spotscheinwerfer ins Publikum, derweil die Bühne gleichzeitig langsam im Schatten versinkt. Die zu erwartende Standing Ovation dauert einige geschlagene Minuten, bevor einem die mollenen Harmonien der Zugabe „River Of Sorrow“ Schmetterlingsfiattern in den Bauch zaubern. Vielen Dank. Es war eine wahres Privileg, einer Vorstellung solchen Kalibers beiwohnen zu dürfen. Chris Watkeys (Übersetzung: Josef Winkler)

www.antonyandthejohnsons.com

ep-kritik me 11/08