Attacke Azteka: Airen tanzt den Chinelo!


Schriftsteller Airen besucht den Karneval in Tepoztlán. Blasmusik, Ibiza-Techno, Dixie-Klos, Tanz mit Duckface zum Ellbogenbeat.

Airen ist wieder mit seinem Kumpel Isidro unterwegs:

Rotzendhackedicht auf Sofa wieder zu mir gekommen. So enden ja die guten Geschichten. Wie sie anfangen?

Kurz hinter der Grossstadt von Cuernavaca einmal links, dann zwei mittlere Kuhdörfer, und schon schrauben sich Serpentinen eisern in die bergige Strauchlandschaft. Aus dem dichten Dickicht ragen vereinzelte nackte Fels-Ungetüme wie Kopfstatuen aus den Osterinseln. Ewig hohe Wildwest-Canyons. Die Landschaft wechselt unübersehbar von flach zu steil, von tief zu hoch, von bunt zu kahl, und tief eingebettet in dieses schroffe Durcheinander liegt das verwunschene Dörflein Tepoztlán. Du spürst den wilden Geruch von Rauch. Pilgernde Indios rasten am Ortseingang neben ihren Rucksäcken und Gehstäben, schlafen wahrscheinlich auch schon den ersten Rausch aus, denn Tepoztlán ist einer dieser magischen Orte, die noch kein Mensch nüchtern gesehen hat. Gesehen haben darf. Zumindest mir ging es bisher so.

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Also das Auto irgendwohin wo Platz ist, mit Isidro noch einen geext; und schon auf den ersten Metern das steile Kopfsteinpflaster hinauf wird mir klar: Das hier ist also sowas wie der alljährliche Anlass, mal wieder so richtig die Sau rauszulassen: Stockbesoffene Indianer torkeln über die ganze Breite der Strasse, schaffen es sogar noch irgendwie mit der Tequilaflasche zu grüßen und schlagen dann hart aufs Pflaster. Am Rand sitzen Pärchen und lachen, auch schon viel zu laut.

“Easy,” denk ich mir, “loslassen, alle hier sind breit”.

Die Straßen werden voller, kleine Stände jetzt hier und dann da; und auf den Gehsteigen der steilen Straßen, in kühlen Mauervorsprüngen, ja plötzlich: überall sitzen sie in kleinen Grüppchen und trinken. Volksfeststimmung, Wies`nwetter, Dixie-Klos.

Dann immer näher: Ibiza-Techno. Die lokale Gel- und Sonnenbrillen-Elite schwingt vor dicken Boxen im Duckface zum Ellenbogenbeat. Die Langhaarigen, die Tättowierten, die Rastas. Klar riechts dann auch nach dem Unvermeidbaren. Kriegt man schon Lust. Aber erst mal weiter, gradeaus, mit Isidro den Chinelo dancen!

Die Straßen sind jetzt voll mit Geschäften links und rechts, dichtes Gedränge unter dicken Plastikplanen, Tacos, Shirts und Micheladas. Michelada, das offizielle Partygetränk hier: Bier, Zitronensaft, Worcester Sauce und Chili. Hier oben, in der Hitze, ist das wunderbar erfrischend, geht literweise runter. Isidro und ich haben jetzt schon den vierten Literbecher in der Hand. Es wird immer dichter, draußen und drinnen. Aber dann werden wir doch auf einmal auf den Hauptplatz getragen, alles hat mittlerweise einen durchdringenden, religiösen Charakter, wir reiten also ein in Mekka, und hören die Derwische im Chor Om-Mantras mit den Sternsingern gröhlen und da sind sie dann wirklich, die Party-Heroes der Hochebene, die exotischverkleideten Chinelos: Hoher, ausufernder Hut, das Gesicht bis auf die Augen verdeckt, darunter wilde breite Trachten, die Geschlecht und Körperform verschleiern. Man sieht im Grunde nur hysterische Augen in einem wackelnden menschlichen Prototypen, eine vergnügte Mischung aus Burka, Mortal Combat und Holzknacker.

“Schon wieder der dichteste am Platz,” denk ich mir, “aber wie könnte man auch sonst aus diesem Durcheinander angemessen berichten?”. Weiter vorne ist die Band, spitze rhythmische Blasmusik, und dann geht das Gedränge los, die Band marschiert, alle hinterher, und so drehen die Massen jetzt wirklich wie in Mekka grosse Runden über den Zocalo. Dann Vorsicht, alle zurück! Es wird Platz gemacht für einen wilden Fahnenschwenker, knapp an Ohren und Augen vorbei rast die lange Holzstange über die Köpfe, dann kommt der nächste, der ist noch besoffener, dann soll auch ich, aber Waffen und Drogen haben sich noch nie gut vertragen.

Dunkelheit senkt sich über den Zocalo. Die Band dreht weiter ihre Runden. Alle tanzen, immer ekstatischer, sie tanzen den Chinelo. Der einfachste Tanz: Auf-ab-auf-ab. Ein wildes Hüpfen im Schweiss der Nacht. Hysterische Mädchen. Zeigen auf mich. Ich denk nur: Jetzt Kokain oder aufhören.

Ich höre auf. In breiten S-Spuren fahre ich Isidro nach Hause, beleidige angeblich noch Nancys pubertären Halbbruder, was macht der auch bei Isidro um die Zeit?, und penn dann endlich auf meinem Sofa ein.