Aus der Musikexpress-Ausgabe Februar 2001: Elton John – Audienz bei Elton


Er ist 53, heißt mit richtigem Namen Reginald Kenneth Dwight und ist das, was andere gerne wären: Elton John, der Megastar.

Sir Elton, auf den Alben „Duets“ und „Aida“ haben Sie mit anderen internationalen Stars zusammengearbeitet – ein Trend, der sich auf „One Night Only“ mit Bryan Adams, Ronan Keating oder Anastacia fortgesetzt hat.

Ja, manchmal arbeite ich gerne mit anderen Musikern zusammen.

Nach welchen Kriterien haben Sie die einzelnen Songs den verschiedenen Duettpartnern zugeordnet?

Das haben wir an einem Tag entschieden – ganz spontan. Eben nach dem Motto „Ihr macht dies, und ich mache das“.

Anastacia klingt beinahe wie die junge Tina Turner.

Ja, sie hat eine fantastische Stimme. Das Album habe ich an alle möglichen Leute verschenkt, bevor es so erfolgreich wurde. Ich halte Anastacia für eine der bemerkenswertesten Stimmen, die ich in letzter Zeit gehört habe.

Demnach haben sie mit 53 noch ein offenes Ohr für neue Musik?

Und ob! Ich kaufe gerne neue Platten, die gut sind und die noch keiner kennt. Das habe ich bei Moby so gemacht, bei Macy Gray, bei Anastacia oder einem Typen namens Ryan Adams. Ich höre mir jede Woche einen ganzen Stapel neuer Sachen an. Und wenn etwas gut ist und Reklame verdient, dann schreibe ich darüber – entweder in meiner Kolumne im „Interview“-Magazin oder auf meiner Homepage. Manchmal kaufe ich auch jede Menge CDs und verschenke sie dann einfach.

Apropos Homepage: eltonjohn.com ist vor allem deshalb so informativ, weil Sie sich dort regelmäßig zu Wort melden.

Eigentlich bin ich ein Feind der Technik, aber ich beuge mich dem Unvermeidlichen. Ich meine, ich habe keinen Computer und auch kein Handy. Aber diese Homepage habe ich auf Bitten meiner Fans eingerichtet. Ich verstehe nichts von der technischen Seite, ich sehe nur zu, dass das Tagebuch regelmäßig aktualisiert wird und auch Plattenkritiken und aktuelle Fotos vorhanden sind. Eben, damit die Fans immer informiert sind. Ich denke, das ist eine gute Möglichkeit, um mit ihnen zu kommunizieren. Aber die Frage, ob ich etwas übers Internet kaufen würde, die müsste ich verneinen. Ich weiß ja nicht mal, wie man sich einloggt. Ich glaube, dass die Technik den Dingen manchmal etwas von ihrer Magie nimmt. Ich habe zum Beispiel gerade angefangen, ein neues Album aufzunehmen und mich geweigert, es digital festzuhalten. Wir sind wieder zur Analog-Technik übergegangen, und die klingt einfach viel besser.

Angeblich lassen Sie sich dabei von Chili Pepper Flea und Ex-Nirvana Krist Novoselic unterstützen. Stimmt das?

Nein, ich wollte mir Flea nur für eine Session ausleihen und ein Stück mit ihm schreiben. Leider musste er absagen, weil er nach einer Amerika-Tournee völlig erschöpft war. Also bin ich bei Drummer Matt Chaimberlain gelandet – und bei zwei Musikern, mit denen ich noch nie gespielt hatte: Paul Bushnell am Bass und Rusty Anderson an der Gitarre.

Sie sind schon seit Monaten auf Tournee und sind überall aufgetreten. Warum tun sie sich diesen Stress an – am Geld kann’s doch nicht liegen, oder?

Ich habe 170 Konzerte gegeben. Und die sind sehr lang, zwei Stunden und 45 Minuten. Folglich ist das schon eine recht anstrengende Sache. Aber ich liebe es aufzutreten. Konzerte sind das, was ich am meisten mag.

Können Auftritte zur Droge werden?

Ich denke schon. (lacht) Ich neige zur Abhängigkeit, wie jeder weiß. Aber ich bin Musiker und liebe meinen Beruf. Die meisten Musiker mögen es aufzutreten. Sie lieben es, vor Publikum zu spielen. Das ist, wofür auch ich lebe.

Was war das für ein Gefühl, als letzter Künstler im Wembley Stadion aufzutreten?

Es war toll. Wembley hatte schon immer etwas Magisches an sich, vor allem, als ich klein war und dort jede Menge Fußballspiele gesehen habe. Als ich jetzt gefragt wurde, ob ich auftreten könne, habe ich gesagt: „Natürlich mache ich mit!“ Pele war da und hat den letzten Ball geschossen. Es war ein sehr sentimentaler Anlass. Aber manchmal mag ich sentimentale Dinge.

Sie haben zuletzt in erster Linie Soundtracks für Disney-Produktionen wie „König der Löwen“ oder „Der Weg nach Eldorado“ aufgenommen.

„König der Löwen“ hat mir viele Türen geöffnet, und zwar an einem Punkt meiner Karriere, an dem ich mich in einer echten Sackgasse befand. „König der Löwen“ war ein riesiger Erfolg. Dadurch durfte ich weitere Soundtracks zu anderen Zeichentrickfilmen machen. Weil es Zeichentrickfilme sind, weißt du, dass du für Kinder arbeitest. Obwohl: Man zielt auch darauf ab, das Kind im Erwachsenen zu erreichen. Und manchmal klappt es und ist ein großer Erfolg.

Sie verfolgen aber auch eigene Filmambitionen. Angeblich arbeiten sie seit längerem an einem Film, der einfach nicht fertig werden will.

Leider. Er heißt „Women Talkin Dirty“, und wir haben ihn komplett umgearbeitet. Das braucht seine Zeit. Filme brauchen Ewigkeiten. Ich verstehe das Filmgeschäft nicht. Ich dachte, es gäbe Arschlöcher in der Musikindustrie, aber meine Güte, beim Film ist es noch schlimmer.

Stimmt es, dass Ihnen eine Nacktrolle in „Escape To Victory“ angeboten wurde?

Ja, das stimmt. Ich hätte eine Szene gehabt, in der ich unter der Dusche stehe, und da habe ich abgelehnt. Die haben mir 100.000 Pfund dafür geboten, aber ich sagte, dass ich das auf gar keinen Fall mache. Es war ohnehin kein gutes Drehbuch. Ich fand, es war ein erbärmlicher Film.

Haben sie sich eigentlich an der Versteigerung von John Lennons Klavier beteiligt?

Nein, ich wusste nicht mal, dass es zu verkaufen war. Und ich hätte es auch nicht genommen, weil ich weiße Klaviere hasse. (lacht) Nichts ist schlimmer als ein weißes Klavier! Ich verabscheue sie. Ich hatte mal eins auf der Bühne. Es ist gut für die Scheinwerfer, aber es ist… die geschmacksloseste Sache der Welt. Ich will kein weißes Klavier, nein, vielen Dank.

Ist Ihnen eigentlich bewusst, dass John Lennon sein letztes Konzert im Vorprogramm von Elton John gegeben hat?

Ja, 1974, im November. Er ist im Madison Square Garden auf die Bühne gekommen und hat mit seiner Band drei Songs gespielt. Das werde ich nie vergessen, weil John zehn Minuten lang mit stehenden Ovationen begrüßt wurde. Ich habe noch nie einen solchen Lärm gehört. Er war körperlich krank, bevor er auf die Bühne ging. So nervös, weil er lange nicht mehr live gespielt hatte. Ich hatte ihm gesagt: „Hör zu, ich werde singen und spielen und was immer dich durch die Nacht bringt machen, aber wenn ‚Lucy In The Sky With Diamonds‘ anfängt, dann kommst du auf die Bühne!“ Dieses Versprechen musste er dann einlösen. Als Künstler war es für mich ein Highlight, mit John live auf der Bühne zu stehen. Und ich bekomme noch heute eine Gänsehaut, wenn ich daran denke, wie die Leute reagierten, als er auf die Bühne kam. Mit John Lennon auf der Bühne zu stehen, war das größte Kompliment, das ich bekommen konnte. Inzwischen habe ich mit allen vier Beatles gespielt – und auf einer Platte von Bob Dylan. Damit bin ich sehr zufrieden.

Die Beatles – so scheint’s – sind zeitlos und geben dabei doch jeder Generation etwas Neues.

Sehen Sie sich nur das neue Album an. Ich meine, diese Tracks hat doch inzwischen wirklich jeder – eben auf dem roten und dem blauen Doppelalbum. Trotzdem kommt die Plattenfirma daher, verpackt die Lieder neu und verkauft sie wie warme Semmeln. Klar, es sind tolle Songs, und wir haben im Moment niemanden, der solche Sachen schreibt. Die Musikszene war noch nie so langweilig wie jetzt. Auch wenn es da natürlich Ausnahmen wie Macy Gray, Moby, die Chemical Brothers oder The Prodigy gibt. Die gehen auf die Bühne und hauen dich schon allein deshalb um, weil sie etwas anderes machen. Macy Gray ist wie James Brown oder Al Green. Sie ist so aufregend, weil sie wirklich singen kann.

Wie steht es um Ihren Sammel- und Konsumrausch? Diesbezüglich liest man ja wirklich die abenteuerlichsten Meldungen.

Es gibt viel Aufsehen um die Summen, die ich verdiene und die, die ich ausgebe. Wie auch immer. Ich meine, ich verdiene ziemlich viel Geld, und ich gebe auch viel aus. Ich möchte mein Leben leben, und ich mag es, mich mit Dingen zu umgeben oder Sachen zu sammeln. Ich sammle Fotografien, Gemälde, Autos, Krawatten, Armbanduhren und Gott weiß was noch. Platten, CDs, Bücher. Aber diese Dinge machen mir viel Freude und bereichern mein Leben. Glücklicherweise bin ich in der Position, in der ich einfach hingehen und mir die Sachen leisten kann. Sie durchdringen mich irgendwie. Ich bin wie ein Schwamm. Gianni Versace sagte mir mal: „Du musst das Leben voll auskosten, als ob es dein letzter Tag wäre.“ Und genau das mache ich. Ich bin nicht der Typ, der einen Notgroschen verwahrt. Das mache ich nicht, nein. Wenn morgen alles vorbei und ich pleite wäre, dann könnte ich mir meinen Lebensunterhalt immer noch verdienen, indem ich in Bars spiele. Oder wieder in einer Band. Da mache ich mir keine Sorgen. Ich habe Talent. Ich kann machen, was ich möchte. Wenn ich morgen alles verlieren würde und in einer einfachen Wohnung leben müsste, dann könnte ich das. Solange ich Musik in meinem Leben habe, werde ich immer glücklich sein. Aber es ist eine Tatsache, dass ich sehr vermögend bin und mich mit wirklich tollen Dingen umgebe.

Brauchen Sie das ganze Zeug überhaupt, oder ist es einfach nur der Reiz des Kaufens? Man nennt Sie einen „Shopaholic“, und das klingt eher nach einer Sucht – wenn auch einer harmlosen.

Auf jeden Fall. Die Kunst bereitet mir Freude. Wissen Sie, ich glaube, Modeschöpfer sind Künstler. Deshalb kaufe ich gerne schöne Klamotten von Leuten, die ich für tolle Designer halte. Sie sind nicht nur Modeschöpfer, sie sind Künstler. Und sei es nur, weil sie jedes Jahr fünf bis sechs Kollektionen entwerfen. Und was das Sammeln betrifft: Ich bewahre nichts auf, was ich nicht mehr brauche. Ich habe meine Plattensammlung verkauft, meine Kassettensammlung, mein Klavier. Ich habe nicht viel eingelagert. Die Sachen hängen entweder an der Wand, oder ich benutze sie. Alles, was ich nicht brauche, verkaufe ich zugunsten der Aids-Stiftung. An der Londoner Bond Street habe ich jetzt einen Laden eröffnet, proppevoll mit Klamotten aus den letzten drei Jahren. Die sollen verkauft werden. Und wenn alles gut geht, kriegen wir anderthalb Millionen Mark zusammen. Aber zurück zu Ihrer Frage: Die ganze Einkauferei ist natürlich eine Art Krankheit, eine Sucht. Ich meine, ich war drogenabhängig, ich hatte Bulimie, ich war Alkoholiker. Wenn also Einkaufen die einzige Sucht ist, die noch übrig ist, geht das in Ordnung.

Gibt es eine Therapie gegen Kaufsucht? Und falls ja, würden Sie sich ihr unterziehen?

Nein. Warum? Mit dem Einkäufen tue ich doch niemandem weh. Ich liebe es, es bereitet mir Vergnügen!

Unlängst machten Gerüchte die Runde, Sie würden angeblich ernsthaft darüber nachdenken, ein Kind zu adoptieren. Ist da wirklich etwas dran?

Nein. Vor ein paar Wochen wurde ich in einer Fernsehsendung im Rahmen eines Interviews gefragt, ob ich ein Kind adoptieren würde, und ich anwortete: „Niemals!“ Ich bin 53 Jahre alt, ich habe keine Geduld, ich denke zu sehr an meine Karriere, und ich habe eine tolle Beziehung. Wissen Sie, wir engagieren uns sehr für die Aids-Stiftung. Mein Freund David war gerade in Südafrika und Kenia, um sich dort die Orte anzusehen, für die wir spenden. Dort gibt es auch einen kleinen Jungen, den sie Elton genannt haben. Das Baby wird von mir unterstützt. Es gibt noch einen anderen Jungen namens Elton, der ein bisschen älter ist. Ich würde gerne seine Ausbildung in Südafrika bezahlen, in seinem Heimatland, so dass er dort die Chance auf ein zufriedenes Leben hat. Wissen Sie, es wäre für uns beide ein Albtraum, wenn ich ein vierjähriges schwarzes Kind mit zu mir nach England nehmen würde – gerade bei meinem Lebensstil. Und deshalb adoptiere ich den Jungen nicht. Ich meine, was wäre das denn für ein Leben? Der Junge wäre doch ständig im Flugzeug. Ein Kind muss bei seinen Eltern sein. Diese Erfahrung habe ich in meiner Kindheit gemacht, weil meine Eltern sehr viel getrennt waren. Ich meine, in Südafrika geht es dem Jungen sehr viel besser. Er tut gut daran, die beste Schule zu besuchen, die ich ihm ermöglichen kann. Dann kann er für seine eigenen Leute durch eine gute Ausbildung etwas bewegen und das aus sich machen, was er aus sich machen möchte. Das sind meine Absichten.

Ist Elton John – trotz allem, was man über ihn liest – ein glücklicher Mensch?

Ja, absolut. Klar gibt es Probleme, aber wer hat die nicht. www.eltonjohn.com