Aus der Musikexpress-Ausgabe Oktober 1987: Morrissey – Einsam Und Verlassen


Morrissey kann man nur hassen oder lieben. Smiths- Fans verehren den Sänger und Texter als engagierten Grübler. — Smiths- Gegner verachten ihn als langweiligen, rechthaberischen Körnerfresser. Morrissey lassen die Kontroversen um seine Person völlig kalt, selbst den Ausstieg seines vielgelobten Gitarristen Johnny Marr nimmt er gelassen ...

Gerade die besondere Zusammenarbeit zwischen Marr und Morrissey wird von vielen Beobachtern für den musikalischen wie kommerziellen Erfolg der Smiths verantwortlich gemacht. Die beiden wurden in einem Atemzug mit den ganz großen Duos genannt: Jagger und Richards, Laurel und Hardy, Keks und Schokolade … Gegensätze ziehen sich an: Morrissey war der Bücherwurm, Marr der Rock ’n‘ Roller.

Aber Marr, so sagt er, hatte „bestimmte Suchen vor, für die bei den Smiths absolut kein Platz war. So gern ich die anderen habe: unterm Strich fühle ich mich bei Sachen, die mir früher Spaß gemacht haben, auf einmal miserabel. Also muß ich da raus.“

Der zweideutigste Kommentar, den der sonst eher diplomatische Marr seinem ehemaligen Partner mit auf den Weg gab, war der Hinweis: „Ich glaube, daß Morrissey die Veränderung sehr gut tun wird.“

Steven Patrick Morrissey will mit einem neuen Gitarristen unter altem Namen weitermachen und läßt erst mal Kandidaten für den Saiten- Job vorspielen. Ansonsten soll alles beim Alten bleiben.

Glaubt er eigentlich, dass britische Musik grundsätzlich besser ist als die aus anderen Ländern ?

„Oh ja, früher war sie das bestimmt. Wie das jetzt aussieht, kann ich nicht so beurteilen, aber britische Musik hat eine bessere Geschichte als alle anderen. Amerika war in den 70ern musikalisch praktisch kaum vertreten.

Es muß einen Grund dafür geben, daß es für internationale Künstler immer noch wichtig ist, in England gut anzukommen, und der Grund ist Geschmack. Sie wissen, daß Briten mehr Geschmack haben.

Was für Platten hast du im letzten Jahr gekauft? „Nicht sehr viele — The Primitives waren dabei. The Christians.“ Johnny Marr (I.) und Morrissey galten als geniales Musikerteam- privat sind sie grundverschieden

A-ha … hauptsächlich Mainstream-Pop. Keine Importplatten, nichts Verschrobenes. Moderne Texter haben mich noch nie beeindruckt.“

Was hältst du von Prince? Er hat wesentlich mehr Sex als du …

.!..Er ist steril und sehr unpersönlich … aber sexy? Ich weiß nicht, ich glaub nicht. Als Texter find ich ihn außerordentlich interessant. Er hat keinen sehr guten Beat. Aber ich hab nichts gegen ihn; ich finde ihn ganz lustig, arrogant und kontrovers. Letztendlich wird er trotzdem ein wenig sehr überschätzt.“

Das meinen viele Leute von den Smiths aber auch…

„Ich weiß, aber das stimmt nicht!“

In einer Musikzeitschrift gab es einmal eine Geschichte, in der man dich quasi als Rassisten beschuldigte. Du warst damals sehr sauer; letztendlich ging es aber nur darum, daß du nicht besonders auf Discomusik stehst.

„Ich glaube nicht, daß meine Ansichten besonders ausgefallen waren. Danach haben mir eine Menge Leute am Telefon und in Briefen erzählt:

„Endlich sagt das mal einer —wir haben das ganze Zeug über!“ Aber die Journalisten haben das als Slogan hingestellt — dabei war’s gar nicht als Kampagne gemeint.

Discomusik habe ich trotzdem nie so recht ins Herz geschlossen. Ich bin noch nie in eine Disco gegangen, hab noch nie getanzt. Ich ging lieber auf Konzerte, um Bands live zu sehen. Aber ich besitze Platten von Leuten, die zufälligerweise schwarz sind. Soll vorkommen!“

Wo gehst du hin, wenn du ausgehst? „Ich geh nie in der Öffentlichkeit aus, in Clubs oder Discos. Ich geh höchstens mal Einkaufen oder Bummeln. Ich fahre keine weiten Wege und ich renn‘ ganz bestimmt nicht in irgendwelche In- Kneipen. In London geh ich gern in die Kings Road. weil da perfekt symmetrisch gestylte Leute rumlaufen; die schaue ich mir gern an … all die Kleider, die bis aufs i-Tüpfelchen stimmen … das macht mich ganz schön neidisch. Leute, die so hübsch und sauber aussehen, inspirieren mich. Am liebsten mag ich Schuhe.“

Ich nehme nicht an, daß du öffentliche Verkehrsmittel benutzt…

„..Manchmal fahre ich Zug, wenn’s nicht anders geht, aber ich bin seit vier Jahren in keinen Bus mehr gestiegen. Und das vermisse ich überhaupt nicht.“

Wie entspannt sich Morrissey? Gibt es etwas, was er sofort tut, wenn er nach Hause kommt ?

(Mit gehobener Augenbraue und wissendem Lächeln) „Naja, der Fernseher trägt natürlich zur Entspannung bei; nicht geistig, ich guck mir keine Serien an, aber es beruhigt mich. Ich habe eine beachtliche Video- Sammlung. Alles vor 1970, hauptsächlich englische Filme aus den 50ern und 60ern, viele Komödien …“

Was machst du mit deinem Geld? Ausgeben tust du’s offensichtlich nicht.

„Ich tu’s auf die Bank. Ich bin eine hoffnungslos anspruchslose Person, ich brauche keine Yachten. Ich habe ein Auto— einen 61er Consul aber ich kann nicht damit fahren.

Ich nehme nicht an, daß du mehr Reisen unternimmst, als du unbedingt mußt.

„Nein, ich fahr nicht richtig auf Urlaub. Ehrlich gesagt, habe ich keine Lust in andere Länder zu fahren. Das mach ich nur ganz selten.“

Warst du schon jemals braun ?

„Doch! Doch, ich war tatsächlich mal braun. Ich war vor kurzem in Los Angeles und hab mir da etwas Farbe geholt, aber sie hat’s nicht bis England geschafft. Sie ist nicht durch den Zoll gekommen. Man hat ihr die Einreise verweigert.“

Hat sich deine negative Einstellung zum Sex irgendwie geändert?

„Nun, ich hatte eigentlich nie eine Einstellung zum Sex. Das war noch nie meine Stärke.

Ich habe das Gefühl, daß ich den Journalisten nie befriedigende Antworten gebe, und deshalb fragen sie mich immer wieder danach. Ich hatte nie vor, eine neue Bewegung zu starten oder die Fahne für das Zölibat hochzuhalten; das ist alles nur zufällig so breitgetreten worden. Auf alle Fragen kann ich immer nur das Statement wiederholen: ich habe damit einfach nichts zu tun. Um ehrlich zu sein, denke ich über Sex nicht so oft nach, also sehe ich auch nicht ein, warum ich ein Fürsprecher für Leute werden sollte, die es nicht so oft tun!“

Wie viele Sachen hast du getan, für die du dich schämst?

„Keine einzige … überhaupt nicht. Ich bedaure

Privatleben

das, weil ich annehme, daß Dinge, die einem im nachhinein Bauchschmerzen bereiten, ein Maßstab für ein aufregendes Leben sind. Das gibt’s bei mir nicht. Alles, was ich je gemacht habe, war immer vollkommen legitim.“

Wann warst du das letzte Mal richtig leidenschaftlich verliebt?

„Praktisch nie. Nein, in der Situation war ich nie.“

Ehrlich? Wolltest du das nie? Deine Texte lassen das Gegenteil vermuten.

„Ja, gewünscht habe ich es mir schon. Aber in Wirklichkeit passiert es nie. Um nachzudenken ist Isolation ein notwendiges Übel. Ich muß alleine sein. Ich halte es in der Gesellschaft anderer Leute nicht allzu lange aus. Es ist schrecklich — aber ich kann nicht richtig teilen. Manchmal habe ich das Bedürfnis nach körperlichem Austausch, was nie,das sollte ich hinzufügen, — nie passiert.

Inzwischen ist alles so verstrickt, dass ich mich frage, ob es jemals passieren wird. Ehrlich gesagt, glaube ich nicht daran. Ich meine, es gibt nicht allzu viele Leute, die wie ich mit 28 noch Jungfrau sind.“

Hast du dir jemals ein konventionelleres Leben gewünscht?

„Doch ja. Aber wie du siehst, gibt es da einige große Hindernisse, über die ich einfach nicht springen kann. Scheinbar komme ich mit den meisten Leuten nicht über Freundschaft hinaus. Und mit den allermeisten bringe ich nicht einmal das zustande. Ich habe nur ein oder zwei Freunde, die ich schon seit zehn Jahren kenne.

Du müßtest jetzt, wo Johnny Man die Band verlassen hat, extrem beunruhigt sein. Schließlich habt ihr bisher alles zusammen gemacht.

„Bis zu einem gewissen Grad bin ich sauer, und es erschreckt mich ganz schön, aber es ist letztlich

bloß eine Tatsache, mit der ich leben muß. Ich werde mich bestimmt nicht hinlegen und sterben, auf gar keinen Fall! Sorry. Das meiste, was mir die Smiths gegeben haben, kam eh aus mir heraus — und das kann von, sagen wir mal, irgendwelchem Kommen und Gehen nicht richtig erschüttert werden.

Es brodelte sowieso schon seit einiger Zeit und auch wenn das viele Leute nicht realisiert haben ,— ich hab’s gemerkt. Es war nicht so ein Hammer… nicht sonderlich überraschend.“

Du hast dir bestimmt überlegt, solo zu arbeiten?

„Ich denke darüber nach. Natürlich bin ich mir der Leute bewusst, die mich gerne unter der Erde sehen würden … das ist die Gelegenheit! Nein, ich habe eine Menge zu tun und gegen eine Menge zu kämpfen. Aber über eine Solokarriere denke ich nach.“

Du konntest eine Freddie Meratn-Platte machen.

„Wenn ich das nur könnte. Ich glaube nicht, daß ich dazu genug Talent habe „… Was ich gerne machen würde, ist eine sehr ruhige Platte, vielleicht nur mit Gitarren, Gesang und Klavier, — eine sehr sanfte, sehr nachdenkliche Platte. Aber der Drang in mir, unheimlich schnelle, laute, raue Songs zu machen, ist einfach einen Hauch stärker.“

Du hast nie Musikunterricht gehabt, oder!

„Ich habe nie Unterricht genommen, weil ich nicht den Fan in mir kaputt machen wollte. Diese Naivität habe ich immer noch. Musik sollte für mich nie etwas Technisches werden. Aber Texte schreibe ich am laufenden Band. Ich schreibe den ganzen Tag lang —ich kritzel tausend Sachen in Hunderte von Notizbüchern und habe ganze Kartons voll mit Zetteln, die ich dann verwende.“

Also glaubst du nicht, daß es eine Versöhnung mit Johnny geben wird?

„Nach dem zu urteilen, was er seither in der Presse gesagt hat, glaub ich nicht. Ich wäre sehr glücklich gewesen, wenn es weiter gegangen wäre, aber… so weit ich das beurteilen kann, ist das höchst unwahrscheinlich. Alles geht weiter und weiter und weiter…“

Der typische Smiths-Fan ist angeblich ein verkümmerter Jugendlicher, der sich nicht aus seinem Schlafzimmer raustraut und angstgepeinigte Gedichte schreibt. Trotzdem findet man auf euren Konzerten haufenweise fröhliche Bier-Tvpen …

„Ja, doch, das sind allesamt sehr gesunde Menschen. Die kommen nicht aus irgendwelchen Anstalten und sind körperlich ganz gut dabei. Das Image des Smiths-Fans als zerknautschter, halb verkrüppelter Jugendlicher ist arg überzogen …eigentlich ist es überhaupt nicht wahr. Smiths- Konzerte sind in Wirklichkeit sehr gewalttätige Ereignisse, ab und zu bricht sich sogar jemand das Bein oder das Genick. Wenn das Publikum aus lauter vertrockneten Pflaumen bestehen würde, würde so was nicht vorkommen. Ich bin darüber sehr glücklich … ich möchte nicht, dass sich die Leute zurücklehnen, die Beine überemander schlagen und wegdösen.“

Erzähl mir was über die neue LP STRANGE-WAYS HERE WE COME. Es gibt ein paar tolle Momente, aber ein radikaler Umbruch ist sie nicht gerade, oder?

„Ha! Ha! Sehr diplomatisch formuliert. Du hast recht, ein radikaler Umbruch ist sie nicht — sie ist besser, aber kein radikaler Umbruch. Keine extreme Erleuchtung …“

Die meisten Leute, die dich nicht mögen, tun das deshalb, weil sie das alles für großes Theater halten, in dem du die Rolle des Schüchternen spielst.

„Ich weiß. Ich kann es ihnen nicht verübeln, aber andererseits auch kaum etwas dagegen tun, — außer sie alle persönlich zu Hause zu besuchen und ein Wochenende mit ihnen zu verbringen.

Hast du keine Angst, zum Klischee zu werden?

„Eigentlich nicht. Auch wenn ich im Moment nicht das Gefühl habe, etwas grundsätzlich Neues anzufangen, werde ich immer ich selbst sein, wie traurig das auch sein mag. Ich glaube nicht, daß ich mich je absichtlich ändern könnte, auch nicht aus Angst, mich zu wiederholen.

Und wenn ich mich tatsächlich nicht verändere und deswegen alles den Bach runtergeht, dann soll’s halt so sein. Ich könnte kein maßgeschneiderter Popstar sein, —nie, auf keinen Fall.“