Beck live


Lange zögerte das Mann-Kind mit dem schrägen Milchgesicht, auf Europa-Tour zu kommen. Erstaunlich viele Fans au/dieser Seite des Atlantiks wollten sich davon überzeugen lassen, daß Beck Hansens Übernacht-Erfolg von Dauer sein wird. Nun wissen sie genau soviel wie vorher.

Jedes Jahr aufs Neue reißt MTV sein riesiges Marketing-Maul auf und speit Stars aus, manchmal echte, meist aber auch nur One-Hit-Wonders. Tm a loser baby, so why don’t you kill me‘ kam im Frühjahr 1994 absolut perfekt daher, paßte göttlich in diesen ganzen Hype um Slacker und Generation X. Beck wurde als die Rettung gefeiert, nachdem die einstmalige Frische des Seattle-Effekts gähnender Langeweile gewichen war. Heute lacht sich Beck einen: „MTV hat nie begriffen, daß wir sie im Grunde verarschen, weil wir sie mit dem Video schlichtweg nachäffen. Wir hatten Infiltration im Sinn, wollten den Mechanismus pervertieren.“

Lange hatte er sich gesträubt, nach Europa zu kommen, wollte vorerst nur in den USA touren. Schließlich kam er aber doch, reiste quer durch den Kontinent, gab Gigs in Spanien, Italien, räumte in Prag ordentlich ab und beglückte letztlich auch vier deutsche Städte. Beck auf der Bühne – da weiß man eigentlich gar nicht, was man erwarten soll. Wird er all jene bedienen, die ihn nach ‚Loser‘ zum Sprachrohr erkoren, oder versucht er, sich selbst zu amüsieren und einen völlig introvertierten, nur ihm und der Band verständlichen Auftritt hinzulegen? „Die Bequemlichkeit der Menschen, auch der Musiker selbst, hat die Musik total verändert. Musik im Radio ist fast immer ungesund, da steckt nicht mehr viel echtes drin. Dabei ist sie Teil des Lebens wie Essen, Trinken, Sex oder Geschirrspülen“, hatte Beck vorher gesagt und damit alles offen gelassen.

Die Charterhalle ist gut voll, die Stimmung prächtig, nachdem X-TAL aus San Francisco einen prima Opener gegeben hatten. Plötzlich stehen sie auf der Bühne, Beck Hansen mit Lance Hahn (g), Dave Gomez (b) und Joey Waronker (dr), und ihr Set beginnt ratternd. Kein Mensch kennt das erste Stück, doch jeder stutzt. Beck funkt, groovt oder rapt, was auch immer.

Nichts zu spüren vom Angry Young Man oder der stimmlichen ßrüchigkeit von ‚Mellow Gold‘. Seine elektrische Gitarre fiept energisch, während Waronker und Gomez den Beat aufs Wesentliche reduzieren. Dann unvermittelt ein herber Schlußakkord, der im Grund keiner war und als Füller für die gefürchteten Sekunden zwischen den Songs brasilianische Sambaklänge. Beck legt die Gitarre ab, schnallt sich die gereichte akustische um und scheppert aufs nächste Stück zu. Immer noch nichts bekanntes. Dafür legt sich die Hauptperson mächtig ins Zeug, fuchtelt auf linkische Art roh mit dem ganzen Körper und wirft dabei ständig seinen MikroStänder um, so daß er an einer Stelle sich fast hinlegen muß, um noch halbwegs verständlich ins Mikro singen zu können. Das Publikum ist begeistert, froh um diese Mischung aus angenehmem Independent-Pop und experimentellem Noise, die befürchtet schwere Kost blieb aus.

Stattdessen variiert Beck auf ungeahnte Weise. In die 60 Minuten seines Auftritts packt er Stücke mit der vollen Band, jazzige Einwürfe auf dem Keyboard (von Beck gespielt!), eine trötende Harmonica und ein kleines Akustik-Intermezzo. Bei ‚Fuckin‘ With My Head‘ kreischen die E-Gitarren, daß es eine Pracht ist. ‚Pay No Mind 1 bleibt dunkel und verschlossen wie auf dem Album. Im Saal wurden bereits Wetten angenommen, ob er wohl ‚Loser‘ spielen würde, diesen Song, der ihm den zweifelhaften MTV-Ruhm erst einbrachte. „Ich glaube, es gab keinen Gig innerhalb des letzten Jahres, in dem wir ‚Loser‘ nicht gebracht haben“, sagt er später, ein Mindestmaß an Konzession wird erwartet. Allerdings hat er die berühmte Refrainzeile leicht abgeändert, so daß ein doppelter Hintersinn draus wurde: ‚I’m a nickel, baby, so why don’t you shine me‘ – „Man kann ein Fünf-Cent-Stück von der Straße aufheben und es polieren, oder es liegenlassen und ignorieren, weil man es nicht nötig hat“, erklärt Beck, was er vom Glanz des großen Erfolgs hält.

Versuche, mal den harten Rock’n’Roller rauszuhängen, hat es bei Beck früher schon gegeben, doch sie waren eher ironischer Art: „Immer wenn ich Leute auf der Bühne sah, die ihre Gitarren zerschlagen, dachte ich mir ‚Verdammt, warum gehen sie nicht einfach raus, verschießen ihre Ladung und machen dann ihre Musik?!‘. Also zerdepperten wir ein einziges Mal auch unsere Instrumente, und zwar gleich beim ersten Song.“ Ganz so toll scheint es freilich nicht gewesen zu sein: das Publikum mußte warten, bis das Ersatzequipment aufgebaut war. „Ich hatte auch noch die Hände voller Spreißel und konnte den Gig kaum durchhalten…“ In München blieb er in dieser Hinsicht zahm, hievte seinen schmächtigen Körper höchstens mal auf die Monitorboxen oder irrte scheinbar orientierungslos oben auf der Bühne umher. „Perfekte Dinge manövrieren sich ganz von selbst ins Aus. Sobald du nämlich damit fertig bist, sie endlich perfekt gemacht zu haben, ist das Gefühl, was die ganze Sache gestartet hat, vollkommen verlorengegangen.“ Das Publikum dankte es ihm nicht. Stunden nach dem Gig ist er selbst alles andere als zufrieden: „Gestern in Prag waren die Leute völlig aus dem Häuschen, ich weiß nicht, was hier in München falsch lief.“

Ist Beck der Star der nächsten Jahre, oder war er nur die Funzel eines heißen Sommers? Er selbst will keiner sein, der die Bedürfnisse seiner Fans auf Dauer befriedigen möchte beziehungsweise muß. Mit nonchalanter Sturheit hält er daran fest, einfach nur „die Songs laufen lassen“ zu wollen, sich selbst nicht wichtig oder ernst zu nehmen. „Ich glaube, ich könnte morgen aufstehen und von all dem weglaufen, was ich jetzt habe, wieder von fünfzig Dollar die Woche leben, um Auftritte betteln und trotzdem glücklich sein.“