Bekenntnisse eines Monsters


Heavy Metal, so spotten die Kritiker, sei sowieso immer dasselbe: laut, chaotisch, nihilistisch und primitiv. Musik, die dort aufhört, wo der eigentliche Rock erst einsetzt, eine Beleidigung für die Ohren und so feinfühlig wie ein Schlag mit dem Schmiedehammer. Trotzdem - oder gerade deswegen - hat heavy metal music noch immer ein großes und ergebenes Publikum. Wie zum Beispiel auch die englischen Black Sabbath, mit denen sich Sylvie Simmons aus Anlaß des zehnten Gruppenjubiläums zusammensetzte.

Es war 1968. als vier Schulfreunde in Birmingham eine Band namens Earth gründeten: Der Sänger Ozzy Osborne, Gitarrist Toni Iommie, Bassist Geezer Butler und Drummer Bill Ward. Mit dieser Blues-Rock-Band zogen sie nicht nur eine treue Gefolgschaft aus den nordenglischen Arbeitergegenden hinter sich her, sondern versuchten auch ihr Glück beim deutschen Nachtclub-Publikum. Das riskierte jedoch erst einen Blick über den Bierflaschenrand, als Ozzy von Kopf bis Fuß rot angemalt auf die Bühne sprang. Zwei Jahre später landete die Band, mittlerweile in Black Sabbath umgetauft, ihren großen Hit:“.Paranoid“. Ein erfolgreiches Album und ausverkaufte Konzerte folgten, und das Rock-Publikum spaltete sich in zwei Parteien. Speziell die Fans, die auf Black Sabbath abfuhren, und die Musikpresse, die sie in der Lift zerrissen.

Wer auf Black Sabbath steht, quält auch kleine Hunde, sagten die einen. Für die anderen hatte heavy metal die Form einer neuen Bewegung angenommen. Entgegen aller Hoffnung, daß es sich bei Black Sabbath um eine Eintagsfliege handeln möge, hängt die Band noch immer zusammen. Vor einigen Monaten erschien ihr neuntes Album: .,Never Say Die“. Ozzy Osborne hatte Anfang 1978 nach dem Tode seines Vaters drei Monate pausiert. und Toni lommi gastierte 1969 mal für zwei Wochen bei Jethro Tüll. Ansonsten waren die Originalmitglieder immer beisammen, eine Tatsache, die Ozzy jener engen Freundschaft unter den vier Musikern zuschreibt.“ Nach zehn Jahren weiß ich. wie diese Leute schlafen, denken, reden, essen – ich kenne sie besser als meine Frau. Ich verbringe mit ihnen mehr Zeit als mit meiner Frau. Falls wir einen in der Gruppe durch einen Fremden ersetzen müßten, würde Black Sabbath bestimmt kaputtgehen.“ erklärt Ozzy.

In den zehn Jahren ihres Bestehens gab es für Black Sabbath keine zehn Minuten Freundschaft mit der Presse. Die Musiker reden vom“. Zehnjährigen Krieg“, stützen sich aber auf die Gewißheit, daß die Kritiker dem Fanheer anzahlmäßig unterlegen sind und sowieso keine Platten kaufen. Die Situation spitzte sich erstmals zu, als Toni Iommie vor ungefähr einem Jahr mit einem Redakteur des britischen „Melody Maker“ zusammenrasselte, der einige unfreundliche Dinge über ihn losgelassen hatte. Nachdem er sich den völlig überraschten Schreiber zum Boxgegner erkoren hatte, schrieben ihm die Fans zahlreiche Briefe, in denen sie ihn noch nachträglich unterstützten, weil die Band schließlich genug Beschimpfungen ausgesetzt sei.

Osborne sieht die Dinge da weitaus philosophischer: ,,Wenn die Presse irgendwann anfangen würde, uns zu mögen, würde ich glatt glauben, wir hätten etwas falsch gemacht. Also schnell umschalten und noch was Härteres bringen. Ich finde es besser, wenn zehntausend Jugendliche anderthalb Stunden lang ihre Aggressionen abreagieren, indem sie mich wie einen Irren auf der Bühne ‚rumspringen sehen, als wenn sie alten Damen auf der Straße eins über den Kopf hauen, um ihnen das Portemonnaie zu klauen.“

Osborne hegt nicht gerade ein idealistisches Bild von seinem Publikum. Schließlich kommt die komplette Band aus harten Verhältnissen. Tony lommi zum Beispiel investierte seine überschüssige Energie ins Gewichtheben und in Ringkämpfe, ehe sein Interesse am Gitarrenspiel schließlich überhand nahm. Und Osborne erklärt freimütig, daß er wahrscheinlich im Gefängnis säße, wenn er nicht bei Black Sabbath war‘.

..Manchmal allerdings.“ stöhnt er, „kann dir das Touren zu viel werden, und du mußt aufhören. Oder du endest wie Keith Moon.“ Dies ist vielleicht das einzige was sich für Osborne in all den zehn Jahren on ehe road geändert hat: heute lehnt er die „live fast die young“-Philosophie vieler junger Bands ab. Möglicherweise aufgrund seiner Rolle als Familienvater. Er hat eine Frau und drei Kinder, „die mich für einen reichen Onkel halten, der sie manchmal besucht und Geschenke mitbringt.“

„Früher war ich genauso,“ erklärt er nochmal das Selbstmörderleben vieler Rockmusiker.“ Aber eines Tages brichst du zusammen, der Druck macht Dich fertig. Du bist es einfach leid, laufend von Groupies angerufen zu werden. Zuerst bringt es eine Menge Spaß, aber dann wird es ermüden. Du gehst vielleicht mit neun oder zehn von ihnen, aber dann mußt du ganz einfach sagen: „Das ist genug, laß mich in Ruhe.“ Ich bin ein Mensch, und ich habe auch noch Gefühle. Irgendwann mußt du auch mal schlafen und essen. Für die Kids, die mich anderthalb Stunden auf der Bühne sehen, gehe ich manchmal durch die Hölle. All diese Pillen und Vitamine, die du brauchst, um durchzuhalten…“

„Ich werde high und gleichzeitig aufgedreht. Irgendetwas muß mit dem System nicht stimmen, wenn so viele Leute aufgeputscht werden müssen.“ Damit bezieht er sich auf das Gerücht, daß der größte Teil des heavy-metal-Pubikums einiges mehr als die Musik braucht, um richtig auf Touren zu kommen. „Aber ich nehme keine Drogen, ich glaube nicht mehr daran. Du lebst in einer Lüge, wenn du das Zeug ständig nehmen mußt.“ Osborne weiß, wovon er spricht. „Ich wäre fast zum Alkoholiker geworden,“ gesteht er. „Der unheimliche Druck, den so ein Leben ausübt… Die ganze Zeit lebe ich in einer Haßliebe zu mir. Manchmal ist es sehr schmerzlich, manchmal aber auch wieder richtig nett. Als ob ich schizophren sei. Da ist einmal die Person auf der Bühne und diese hier“ – er zeigt auf die kleiner wirkende Figur mit Halstuch und Lederjacke, die kaum der kraftstrotzenden Erscheinung ähnelt, die nur den Finger heben muß, um von Tausenden im Publikum mit derselben Geste begrüßt zu werden. „Das bin ich. Hier bin ich Mensch. Da oben bin ich ein Verrückter, und dafür geht viel Energie drauf!“ Osborne schränkte seine Trinkerei ein, nachdem er erkannt hatte, „daß ich mich tötete, um zu leben… Möglicherweise läßt mich meine Gesundheit nicht mehr lange herumschreien und umherspringen. Irgendwann werde ich alt sein… ich würde gern irgendwo in England einen kleinen Pub kaufen. Hinter einem Tresen stehen, bedeutet auch, die Leute zu unterhalten.“

Wahrscheinlich wird dies jedoch nicht sobald eintreffen. Osbourne, 30 (??) behauptet, daß er noch weitere 30 Jahre auf Lager habe; der Rest der Band hält mit. Sie alle stimmen darin überein, daß, der beste Teil von Sabbath’s zehn Jahren „morgen, morgen, morgen“ sei. „Tausend Monsteracts sind in den vergangenen zehn Jahren wie der Blitz aus heiterem Himmel auf der Bildfläche erschienen und verschwanden in der Geschichte des Rock, um nie wieder gesehen zu werden. Aber wir bringen es noch, und darauf bin ich stolz. Für dieses Spiel habe ich meine Seele verkauft, und ich habe noch eine andere für die nächsten zehn Jahre anzubieten. Ich kann morgen schon sterben – Keith Moon ist tot, Gott segne ihn, aber die Leute werden über ihn reden, bis sie sterben.“ Indem er sich an seine eigene anonyme Vergangenheit erinnert, grübelt Ozzy weiter: „Wer erinnert sich schon an Joe Public, der bei einem Autounfall ums Leben kam? Keiner! Er ist tot, also was soll’s? Er hat in seinem Leben nichts getan, worüber es sich lohnte, zu reden. Vielleicht wird man eines Tages über mich sprechen.“