Betty Boo: Lolita Lollipop


Betty Boo ist mit zarten Zwanzig im Alleingang auf dem Weg zur Spitze der Pop-Dauerlutscher. Und ME/Sounds-Mitarbeiterin Martina Wimmer weiß selbst zu gut, daß Frauen dafür keine Hilfe brauchen.

Boo oder Buh? Stationen einer Jugend: Mit sechzehn versetzt Alison Clarkson, Londoner Street-Girl mit schottischer Mutter und malaysischem Vater, als aufsässiger Teenager Lehrer und Mitschüler in Angst und Schrecken, und probt im Pausenhof die ersten Raps. Mit achtzehn gründet sie die She Rockers und motzt nebenbei öffentlich über Public Enemy Professor Griff, der eine Single des Mädchen-Trios produzierte. Alison meint, das Ergebnis sei schlichtweg „Mist“.

Mit neunzehn arbeitet sie bei Rhythm King, ihrer jetzigen Plattenfirma, als Empfangsdame und jubelt ihrem Chef ganz nebenbei ein eigenes Demo unter. Mit unmittelbarem Erfolg: Kurz darauf steht Alison Clarkson, damals noch alias MC Betty Boop (benannt nach einer Comic-Heldin der dreißiger Jahre) mit den jetzigen Labelkollegen der Beatmasters im Studio und rotzt ihren ureigenen Rap auf deren Playbacks. „Hey DJ I Can’t Dance To That Music That You’re Playing“ startet in den britischen Single-Charts durch bis auf Nummer sieben und hält sich mehrere Wochen in der Spitze.

Der Plattenvertrag als Solo-Künstlerin folgt sofort, und auf einen Schlag ist Alisons Leben als freche Rotzgöre zu Ende. Jetzt wird gearbeitet: „In den letzten zwei Jahren war ich ziemlich erfolgsorientiert. Ich bin wenig ausgegangen und früh aufgestanden, hatte klassisches Gesangstraining und Tanzunterricht, besuchte das Sound-Engineer College, und habe mir nebenbei mein Geld als Fotomodell verdient. Eigeninitiative, das ist meine Art etwas zu erreichen.“

Nach zwei weiteren Single-Erfolgen hat Betty Boo mittlerweile ihre erste LP veröffentlicht, und mit ihrer Vorgeschichte versteht es sich fast von selbst, daß die Zwanzigjährige auf BOOMANIA als Autorin, Interpretin und Produzentin ihre eigene Linie völlig unabhängig bestimmte. Und die ist weil entfernt von der Standardversion des Erfolgsmodells „hübsches Modemäuschen als neuer HipHop-Star“.

Die musikalische Bandbreite von BOOMANIA geht weit über puren Rap hinaus, vermengt Einflüsse aus Sechzigern und Siebzigern gekonnt mit zeitgenössischem Dance-Floor-Klängen und würzt das ganze chartverdächtig mit der nötigen Prise Pop.

Dazu kommt Betty, die mit silbrigglänzendem Overall oder Seventies-Mini, mit langgeschnürten Stiefeln und akkurat gestutzem Pagenkopf eher an Emma Peel und Raumschiff Orion denken läßt, denn an Nike-bereifte Kids mit Baseball-Mützen. „Ich weiß, aber mir macht diese ganze Mixtur einfach Spaß. Ich steh‘ auf Sixites-Klamotten und ich höre mir viel Popmusik an. Früher war ich auch mal so ein Hardcore-Rap-Purist, aber ich finde das mittlerweile sehr engstirnig. Ich habe auch aufgehört, mich ausschließlich dafür zu interssieren, weil ich glaube, daß nicht mehr viel in dieser Richtung passieren wird. Das ist definitiv nicht die Zukunft.“

Glaubt man den englischen Medien, sieht die Zukunft eher so aus wie die ehrgeizige Britin, und auch jenseits des Ozeans haben sich schon prominente und profitable Opfer der BOOMANIA gefunden: Warner-Boss Seymour Stein, nicht zuletzt verantwortlich für das Megastartum einer Madonna, wollte Betty bei seiner letzten London-Reise persönlich kennenlernen, und war offensichlich hochbeeindruckt – für Betty’s Amerika-Deal mit Warner wird derzeit der höchstdotierte Solo-Vertrag der Firmengeschichte verhandelt.

Doch spekulative Parallelen zur großen Kollegin lassen Betty indes völlig kalt:

„Ich kann Madonna nicht leiden, die Art wie sie sich benimmt, wie sie mit all ihren Body-Guards im Hyde-Park herumspazieren, jeden abwimmeln läßt, der ihr zu nahe kommt, wie sie all ihre Fans ignoriert. Sie ist zickig und unmenschlich. So möchte ich nie werden.“ Noch sind es die kleinen Freuden des Künstlertums. die Betty Boo in Begeisterung versetzen: „Ich war unheimlich stolz, als ich von meinem Verlag die Notenblätter zu ‚Doin the Do‘ bekam. Ganz oben stand ‚Words and music by Alison Clarkson‘ und dann waren all diese Notenzeilen darunter, es sah großartig aus… fast wie ein Stück von Schubert oder sowas.“