Mini Madonna


Daß sie sich mit Madonna ihren Platten-Boß teilt, ist nicht die einzige Gemeinsamkeit. Doch hat Betty Boo wirklich das Zeug zur zweiten Madonna?

Das Los der Indie-Labels ist hart. Erst bauen sie Talente auf, um dann zähneknirschend mitansehen zu müssen, wie sie von zahlungskräftigen Konzernen abgeworben werden. Rhythm King aus England kann davon ein Lied singen: Erst lief Mark Moores S“Xpress zu Sony über, dann verlor die englische Schwester von Rough Trade auch noch Erfolgs-Rapperin Betty Boo an den Warner-Konzern. Kein anderer als Seymour Stein, der Mann, den die damals noch unbekannte Madonna Louise Ciccone mit ihren ersten DemoTapes bis ans Krankenbett verfolgte, bequemte sich nach London, um einen vorlauten Backfisch unter Vertrag zu nehmen, der überall bereitwillig erzählte, bald so berühmt wie Madonna zu sein. Denn Alison Clarkson alias Betty Boo (der Künstlername stammt vom 30er Jahre Comic-Girl Betty Boop) hatte mit ihren Billig-Videos als Emma Peel-Verschnitt immerhin schon für einiges Aufsehen gesorgt.

„Mein damaliges Outfit stammle noch aus meiner Zeit als Haar-Model für Vidal Sassoon“, erzahlt die um sieben Kilo Babyspeck leichtere Ex-Blumenverkäuferin von Marks & Spencer. Die Haare sind mittlerweile schulterlang — und auch dem Sixties-Look ist die 22jährige inzwischen entwachsen.

„Meine Freundin Katherine Hammett entwirft eigene Denim-Outfits ßr mich“, verrät Alison nicht ohne Stolz.

Stein, Boß des Warner-Labels Sire Records, nahm die ehrgeizige Tochter eines malaysischen Vaters und einer schottischen Mutter zunächst einmal für Amerika unter Vertrag; fast ein Jahr lang dauerten die anschließenden Verhandlungen mit der Mutterfirma WEA.

Doch statt sich dann gleich an die Arbeit zu machen, verdrückte sich der Hoffnungsträger erstmal mit Dauerfreund Paul nach Süd-Ost-Asien. „Der Druck war einfach zu groß. Ich war so nervös, daß ich keine Note zu Papier bringen konnte“, erinnert sich Alison. Sechs Wochen lang jettete sie von Hong Kong aus nach Thailand, Singapur und Bali und verdrängte erfolgreich, was zuhause auf sie wartete.

Zurück in London, zog die diplomierte Tontechnikerin zusammen mit Co-Producer John Coxen erstmal durch Second-Hand-Musikgeschäfte — auf der Suche nach einer alten Hammond-Orgel, scheppernden Akustikgitarren und diversen Uralt-Synthies.

Sechs Monate spater waren zehn Songs im gewünschten Sound fertig. John kam meistens mit einem Dance-Groove und einer Baßline, ich schrieb dazu die Grundmelodie. Das komplette Arrangement machten wir dann zusammen.“ Auf „Hangover“, einem der Songs des neuen Albums „Grrr! It’s Betty Boo“, mixt das Produktionsteam Coxen/Clarkson eine Tammy Wynette inspirierte Pedal-Steel-Gitarre mit Barry White-Streichern und Alisons Lolita-Vocals. Der erste Single-Cut „Let Me Take You There“ klingt mit seinen sonnigen Harmonien verdächtig nach Beach Boys.

Und genau da vermutet John Coxen den Betty-Boo-Erfolg. „Die meisten Musiker komponieren auch heute noch Melodien, die sich an den uralten Blues-Harmonien orientieren. Alisons Melodie-Führung erinnert eher an Krimi-Soundtracks aus den 50er oder 60er Jahren, an die Beatles oder eben an die Beach Boys. Das klingt sehr frisch — und wenn sie dazu rappt, ist das nicht mehr Hip-Hop im klassischen Sinne.“

Der Hip-Hop der ersten Generation war es allerdings, der das Leben der damals 15jährigen Schülerin aus Shepherd’s Bush veränderte. Doch bevor sich Alison als Rapperin (u.a. bei „Hey DJ“ von den Beatmasters) versuchte, machte sie sich als Sprayerin in den Londoner U-Bahnhöfen einen Namen. Ihr“.tag“, das Pseudonym der Sprayer, hieß „Ali Cat“.

Alison war die Nummer eins ihrer Sprayer-Gang, wußte sie doch durch ihren Vater (der bei „London Transport“ beschäftigt war), wo man gefahrlos ein „Peace“ sprayen konnte und wo nicht. Auf Plattform 3 im U-Bahnhof Shepherds Bush ist eine ihrer „Jugendsünden“ heute noch zu bewundern.

„Ich bin eben doch auf dem Weg zur Unsterblichkeit“, meint sie augenzwinkernd. Und wer ihren Ehrgeiz kennt, der weiß. daß das durchaus nicht als Scherz gemeint war…