Big in Japan


Der Export läuft wie geschmiert. Deutschlands Schwermetaller haben im Land des Lächelns leichtes Spiel. Andreas Kraatz begleitete Accept auf ihrer jüngsten Japan-Tournee.

Perfektion wird in Japan ganz groß geschrieben. Diesem Gebot haben sich alle unterzuordnen, alle, vom einzelnen Musiker bis zum letzten Fan. ohne Ausnahme. Pünktlich wie die Post, präzise wie ein Uhrwerk und stets perfekt soll alles erledigt werden. Nur wer sich strikt daran hält, hat Erfolg.

Perfekt ist auch die Landung der Japan Airlines-Maschine, die auf die Minute genau in Tokyo eintrifft. An Bord: Accept —- Stefan Kaufmann, Wolf Hoffmann, Jörg Fischer, Udo Dirkschneider und Peter Baltes, die zum Abschluß ihrer diesjährigen „Russian Roulette“-Welttournee insgesamt sechs Konzerte im Land der aufgehenden Sonne bestreiten.

Tak, der Tourbegleiter, der in den nächsten zehn Tagen für die reibungslose Abwicklung sämtlicher Termine sorgen wird, ist bereits zur Stelle. Gleich nach der Ankunft chauffiert er uns in zwei großen Limousinen (natürlich deutsche Fabrikate, wie es sich für eine Band aus Deutschland gehört) zum Hotel, wo wir von Mister Udo, dem Big Boss unter den japanischen Veranstaltern, höchstpersönlich empfangen werden. Er hat es sich trotz zahlreicher Verpflichtungen nicht nehmen lassen, die Band selbst zu begrüßen. Denn die persönliche Note ist den Japanern nun einmal hoch und heilig. Das zeigt sich auf dieser Reise fast bei jeder Gelegenheit. Vor allem die Fans erweisen sich in der Beziehung als wahre Künstler: Sie vergöttern die Musiker geradezu, überschütten sie mit absolut ausgefallenen Geschenken, die stets verraten, wie sehr sich jeder einzelne mit seinem jeweiligen Idol beschäftigt hat.

„Ich bin total begeistert“, meint Jörg Fischer. „Es ist immer wieder bemerkenswert, was die hier alles auf die Beine stellen. Allein schon die Mühe, die sich die l-‚ans mit ihren selbstgefertigten Geschenken machen, haut einen glatt um. Man muß sich mal vor Augen halten, wie viele Stunden sie darauf verwendet haben! So etwas gibt es sonst nirgends auf der Welt. Klar, ein ganz treuer Fan in Deutschland oder meinetwegen in Amerika schenkt dir vielleicht mal einen kleinen Ohrring, den er gerade vorher gekauft hat. Aber daß dir einer zum Beispiel dein Gitarrenmodell im Miniformat aus Ton oder Gips nachformt, habe ich sonst noch nie erlebt. „

Ob die Gitarre aus Gips, der bemalte Fächer aus feinstem Papier, der handgestrickte Wollpullover, den man Wolf in Osaka stolz überreicht, oder der selbstgezeichnete Comic des Accept-Fanclubs aus Nagoya —- jedes Teil, und sei es auch so klein, trägt stets den Stempel der persönlichen Widmung.

Wo immer die Band auftaucht — die Fans sind schon da. Man hat manchmal den Eindruck, als hätten sie die Geschichte vom Wettlauf zwischen Hase und Igel studiert: Es gibt einfach kein Entrinnen. Stets freundlich und aufmerksam warten sie geduldig in der Hotellobby, bis einer ihrer Lieblinge endlich erscheint, springen sofort auf ihn zu, bitten höflichst um ein Autogramm und lächeln dabei bis über beide Ohren.

„Ich versuche nach Möglichkeit, diese ständige Freundlichkeit immer zu erwidern“, erklärt Jon;. „Ich denke, wenn sie neu zu mir sind, muß ich auch neu zu ihnen sein und kann sie nicht mit einem , Verpißt euch!‘ verjagen. Sie strahlen dich uns ihren kleinen Augen an und sind glücklich.

Der linken daran ist nur: Wenn gleich 50 oder 100) Leute vorm Hotel auf dich warten, sind sie je einmal freundlich zu dir, du aber mußt immerhin 50 bis 100 Mal freundlich zu ihnen sein. Irgendwann spürt man dann fast schon einen Muskelkrampf im Gesicht vor lauter Lächeln.“

So höflich und aufmerksam wie sie sind, so hartnäckig heften sie sich auch an die Fersen der Band. Niemand ist sicher vor ihnen. Nicht einmal Peter, der sich einige Stunden vorm zweiten Konzert in Nagoya die „Shopping mall“, die Einkaufsstraße der Stadt, ansehen möchte, doch das Unternehmen schon nach wenigen Metern wieder abbrechen muß, da man ihm bereits auf der Spur ist.

Auch Rudolf Schenker, der Gründer der Scorpions, die 1p78 als erste deutsche Rockband die Insel im Fernen Osten bereiste, kann dies Bild nur bestätigen. „Damals sind uns die Fans auf dem Weg vom Airport in Taxis gefolgt, haben uns überholt, wie wild zugewunken und sind die ganze Strecke nicht von unserer Seile gewichen. „

Dabei muß man eins wissen: Japanische Heavy Metal-Fans sind Musterschüler in punkto Disziplin. Krawall und Randale kennt man hier nicht. Allein die Band und das Konzert stehen im Mittelpunkt, nicht etwa die Theke, das Bierfaß oder der Flachmann, wie es hierzulande oft der Fall ist.

Schon vor Beginn des ersten von insgesamt vier Accept-Auftritten in Tokyo sitzen die 3000 Zuschauer in der ausverkauften Halle mucksmäuschenstill auf ihren Sesseln. Das ändert sich schlagartig, als plötzlich die ersten Takte von „TV War“ erklingen. Auf einmal ist alles auf den Beinen, bricht ein Sturm der Begeisterung über die Musiker herein. Die Kids jubeln, als hätten sie sechs Richtige im Lotto, singen den Refrain wie aus einer einzigen Kehle mit und entrollen dazu Spruchbänder mit „Accept, wir lieben euch“ oder „Accept, ihr seid die Größten“ — wohlgemerkt in deutscher Sprache! Trotz des Taumels weicht nicht ein einziger von seinem Platz, gibt es keinen Tumult vor der Bühne.

„Hier erlebt man die mit Abstand geilsten Konzerte“, freut sich Bassist Peter Baltes. „Für den Musiker auf der Bühne ist es einfach ein tolles Gefühl, wenn das Publikum zum Beispiel selbst auf das kleinste Lick des Gitarristen begeistert reagiert.

In Deutschland, Amerika, egal wo, hören die meisten so etwas doch gar nicht mehr. Dort sind sie zumeist schon vorher so voll, daß sie auf musikalische Details nicht mehr achten.

In Japan dagegen kennen sie fast alle Songs, singen mit und sind immer gut drauf auch ohne sich vorher die Birne zugeschüttet zu haben. „

Noch pointierter formuliert es Gitarrist Wolf Hoffmann: „Hier hat man wirklich den Eindruck, als Band eine echte Kapazität zu sein. Die Leute beschäftigen sich derart intensiv mit der Band und den Texten. Da fühlt man sich wirklich ernst genommen. Gerade das Spezielle, das Charakteristische der jeweiligen Band, das, was sie von anderen unterscheidet, findet bei ihnen weitaus größere Beachtung.“

Qualität ist das Stichwort. Damit haben sich schon die Scorpions, später dann Michael Schenker und jetzt auch Accept einen großen Namen gemacht. Auf faulen Pyro-Zauber zum Beispiel verzichtet man gern. Die Songs, die Show sind es. die kompakt und fesselnd zugleich über die Rampe kommen müssen.

„Bei unserer ersten Tour im letzten Jahr hatten wir nicht mal den großen Stage-Set mit, sondern nur ein paar Marshalls und ein kleines Drum-Podest. Trotzdem hat das dem Ganzen keinen Abbruch getan. Denn die Leute erwarten überhaupt kein Brimborium mit Feuerwerk oder gar einen Eddy von hinten, Lift von oben und Bömbchen von vorn. Für sie ist einzig und allein die Musik das wichtigste“, meint Peter.

Mit einer Einschränkung allerdings. Bei alledem spielt auch das Image eine durchaus erhebliche Rolle. Denn das Publikum, das zu mehr als 60 Prozent aus Mädchen (!) besteht, hegt eine besondere Vorliebe

für „die großen Weißen aus dem Abendland“ (O-Ton Rudolf Schenker), oder, um im Bild zu bleiben, für die großen Blonden mit den blauen Augen. Beim Anblick dieser Spezies schmelzen die Lotusblumen förmlich dahin und überschlagen sich vor Freude.

„Asiatinnen, so sagt man, stehen auf große Europäer“, grinst Jörg Fischer. ,Es muß auf jeden Fall ein Europäer sein und groß sollte er auch sein. Dann stehen sie kopf vor Entzücken. „

Davon kann nicht nur Super-Gitarrero Michael Schenker, dem die weiblichen Fans stets aus der Hand gefressen haben, sondern neuerdings auch Wolf Hoffmann ein Lied singen. Sobald der Scheinwerfer einmal auf ihn fällt, kennen die Girls kein Halten mehr und quittieren nahezu jeden Akkord mit Gekreische und Sprechchören. Der blonde Wolf, von Haus aus eher ein Anti-Star, wird von ihnen an allen sechs Abenden zum Helden gekürt. „Natürlich schmeichelt mir das. Aber als Blonder hat man hier schon von vornherein Heimvorteile. Hinzu kommt noch, daß gerade Gitarristen besonders hoch in der Gunst stehen. „

Nach 90 Minuten hat der Spuk ein Ende. Die Hallenlichter werden eingeschaltet und die Zuschauer verlassen die Arena, so wie sie gekommen sind — diszipliniert und zufrieden.

Jetzt schlägt erneut die Stunde der perfekten Organisation. Innerhalb einer Stunde ist der gesamte Bühnenaufbau in den Cases verstaut. Zahlreiche Stagehands, die Aushilfen des örtlichen Veranstalters, schwirren lautlos umher. Man sieht sie kaum — und dennoch klappt alles wie am Schnürchen. Wenn einer mal nicht pariert, „helfen wir eben etwas nach“. lautet Taks Rezept.

„Wenn auch nur einer der Leute, die damals für uns zuständig waren, mal zu spät gekommen ist, war sofort der Teufel los“, weiß Rudolf Schenker zu berichten.

Perfektion steht über allem. Sicher, gerade auf einer Tour versucht jeder, es sich so angenehm und bequem wie möglich zu machen. Das beginnt mit den geräumigen Limousinen, setzt sich fort über die Wahl des Hotels bis hin zu dem einmaligen Service, der einem geboten wird.

„Als ich aufs Zimmer kam, dachte ich, mich trifft der Schlag. Ein riesiger Strauß Blumen stand da und dazu noch eine Schale Obst, der Kimono lag bereits auf dem Bett. Ich mußte mir erst einmal die Augen reiben, weil ich dachte, ich würde das alles nur träumen“, preist Rudolf noch heute die Vorzüge japanischen Komforts.

Trotzdem haben selbst solche Gesten System. Denn Heavy Metal bedeutet auch dort an erster Stelle Big Business. Die vielen Annehmlichkeiten durchaus in Ehren, doch selbst sie können den Musikern die Strapazen am Ende nicht versüßen. „Japan heißt nicht zu Unrecht das Land der aufgehenden Sonne, alles ist anfangs so schön und läuft super. Nur die Umstände gehen einem schnell auf den Wecker. Ständig wird man zu irgendwelchen Interviews kutschiert, muß hier lächeln und dort antworten. Ein volles Programm rund um die Uhr. Außerdem ist man ewig auf Hotels angewiesen, sieht nichts vom Land.

Im Ernst, mich macht dieses ganze Drum und Dran auf Dauer nervös. Die ersten Tage sind noch ganz toll, doch je länger man in der täglichen Mühle steckt, je größer wird auch der Wunsch, endlich wieder nach Hause fahren zu können“, klagt Peter Baltes am Ende der Tour.

In der Tat, eine zehntägige Japan-Tour ist allemal „anstrengender als zwei Monate Amerika“, behauptet Stefan Kaufmann. Nur selten hat man mal die Chance, aus dem perfekt getimten und dicht gedrängten Programm auszubrechen und zumindest für ein. zwei oder drei Stunden die Stechuhr des Business zu vergessen. Land und Leute sieht man vornehmlich durch die Scheibe eines Autos. Hotelfensters oder Zugabteils.

Verantwortlich für den Dauereinsatz in Sachen Musik sind in erster Linie die Kosten, die ein derartiges Unternehmen verursacht. Wenn man bedenkt, daß sich der Preis einer einzigen Tasse Kaffee auf 500 Yen, umgerechnet 5— DM. beläuft, der eines Konzerttickets gar auf 48 DM, wird klar, daß im Rock ’n‘ Roll nur ein Grundsatz gilt: time is money.

Da bleibt für Groupies erst recht keine Zeit. Bis auf die eine, die mich gleich am ersten Abend in Tokyo auf meinem Zimmer überrascht und rotzfrech 20.000 Yen von mir verlangt, falls ich Lust auf Sex habe. Hatte ich aber nicht, schon gar nicht für Geld.