Blur


In einem mit Höhepunkten eh schon vollgestopften Jahr sei dies der Meilenstein-Gig gewesen, verkündet hinterher der Mann vom ‚NME‘ sein Urteil. Man kann ihm den Übereifer nicht verübeln —- aus Blur, den rotznasigen Jungs, die das Glück hatten, die Schrammelgitarren erfolgsfördernd mit Herzensbrecher-Look kombinieren zu können, ist nun tatsächlich eine Band geworden, von der man schwärmen darf. Scheinbar mühelos schaffen sie es, Musik zu spielen, die dem Hithörer ebenso gefällt wie dem Indie-Publikum sowie dem starken Mann vom Bau.

Daß Blur es an diesem Abend in der Wembley-Arena fertigbringen, die Massen selbst auf den hintersten Plätzen in Party-Stimmung zu bringen, läßt auf eine große Zukunft der Band schließen. Von dem Moment an, wo Kollege Jarvis Cocker von Pulp seinen Platz im Publikum einnimmt, ist klar: Hier handelt es sich um einen „Special event“. Auch wenn Jarvis seine Ankunft so „unauffällig“ wie möglich gestalten will -— mit eingezogenem Kopf und hochgeklapptem Mantel -— zwecklos: Die ganze Halle schmettert ihm ein „guten Abend, Jarvis“ entgegen.

Blur sind heute abend zu fünft. Hinten rechts auf der Bühne steht eine offiziell nicht vorgestellte Dame und versieht den angestammten Gitarren-Bass-Drums-Albarn-Sound mit zirkusreifen Keyboard-Effekten. Ohne die Keyboarderin würden die Songs von ‚The Great Escape‘ nicht halb so perfekt rüberkommen. Ebenso ausgefeilt wie die Arrangements ist das Bühnenset: Es besteht aus den bunten Accessoires eines altmodischen Rummelplatzes, dazwischen steht aus irgendwelchen surrealistischen Gründen ein Modell der St. Pauls Kathedrale, im Himmel schweben gigantische Hamburger, die bei den langsameren Stücken zu schunkeln beginnen. Die Musik? Schon beim zweiten Stück ‚Parklife‘ wogt die Menschenmasse wie ein fliegender Teppich kurz vorm Abheben. Darauf folgt ‚Stereotypes‘, wobei der erste Song von ‚The Great Escape‘ live wesentlich stärker, weil solider und fleischiger, wirkt als auf CD. Schon zu diesem Zeitpunkt kreischen die Fans wie wild, während auch die reserviertere Zuschauerschaft rechtschaffen beeindruckt ist: Neben dem Schreiber dieser Zeilen hockt ein amerikanischer Grunge-Boy, wie er im Buch steht, von purer touristischer Neugier ins Konzert getrieben — auch in seinem Gesicht klebt schon jetzt das permanente Grinsen des restlichen Publikums. Es folgt ‚Charmless Man‘, vorgetragen in halsbrecherischem Tempo — das überleitet in eine ältere Nummer, die, wie auch ‚Car Crash‘ und ‚Advert‘, daran erinnern, daß die Band durchaus mit Punk und Pogo innig vertraut ist. Tatsächlich kommt erst live das breite Stimmungsspektrum des Blur’schen Repertoires so richtig zur Geltung: Von kunterbuntem Karneval-Fun (‚Mr. Robinson’s Quango‘) über rehäugige Verträumtheit und Nostalgie (‚She’s So High‘), bis hin eben zu punkiger Ausgelassenheit verraten Blur Reife im Umgang mit der Dynamik eines Konzertes. Mit der letzten Zugabe ‚The Universal‘ beweisen Blur, daß sie schlicht eine großartige Band statt „nur“ eine clevere Hitparadencombo sind.