Blur: Wir sagen ja zur modernen Welt


Potsdam, Studio Radio Fritz.

Ein Dogma-Exklusiv-Gig auf dem Mond! Und wir waren dabei und ihr nicht! Haha!

Exklusiv ist leicht mal was, aber das hier heute, liebe Trainspotter, ist historisch vermerkfähig: Was gleich als kurzfristig anberaumte Geheimshow über die nichtvorhandene Bühne gehen wird, sei der kleinste Gig, den Blur je gespielt haben, sagt der Radio Fritz-Moderator, der den Conferencier macht. Er mag Recht haben, denn als sie zum letzten Mal vor einem so winzigen Publikum gespielt haben, hießen Blur wohl noch Seymour.

Wir sind auf dem Mond Babelsberg, herangeflogen in Shuttlebussen aus dem abendlich blubbernden Berlin in diese ausgestorbene Mediensiedlung. 150 Fritzhörer und zwei Hand voll Medienmenschen, durch neongrelles Foyer an strengen Pförtnern vorbeigeschleust in einen Linoleum-Zweckraum im Zweckbau, Bier gibt’s am improvisierten Tischchen, mit rein nehmen verboten. Ein wenig wünscht man sich, das ganze wäre nicht gar so exklusiv und fände dafür in heimeligerer Atmosphäre statt. Aber wer das Ambiente nicht ehrt, ist des Events nicht wert. Dann stehen sie da, zwischen ihnen und der aufgeregten Menge nur drei Monitorboxen am Boden, unwirklich porentief nah, so ebenerdig, dass man schon in dritter Reihe kaum noch etwas von ihnen sieht: Damon Albarn schier zierlich, Alex James, entspannt und ein bisschen abwesend, wie gerade aus dem Wellness-Urlaub eingeflogen. Und eben nicht mehr Graham Coxon, sondern Ex-Verve-Gitarrist Simon Tong, der kaum auffallen wird in den nächsten anderthalb Stunden. Hinten neben Drummer Dave Rowntree die angekündigte erweiterte Tourbesetzung von Blur 2003 mit Percussionist, Saxophonist und Sängerinnen. Und los geht es, nach kurzem Hallo auf Deutsch von Albarn, der wortkarg bleiben wird. „Ambulance“ und das afrogroovige „Maroccan Peoples Revolutionary Bowls Club“ vom neuen Album Think Tank noch mit etwas Kabelgehedder. Spätestens bei der Single „Out 0f Time“ aber flutscht die Sache, ist auch das Publikum aus der ehrfürchtigen Erstarrung erwacht. Die Groove-Mosaike von Think Tank, die schön funktionieren, weil die Band sie nicht in Jam-Arien ausarten lässt, werden unterrührt mit alten Songs. Als wären sie immer da gewesen, stehen „Gene By Gene“, „On The Way To The Club“ und der wundervolle „Good Song“ neben Klassischem a la „T.O.P. M.A.N.“, „Badhead“ und „Girls&Boys“. Zwischendurch ein Rundblick: Der kahle Raum hinter dem drängelnden Fanhaufen ist halb leer, ein paar weniger Enthusiasmierte stehen mit leerem Blick an den Seiten oder plaudernd beim Biertisch herum, hinter der Glastür grellt die Neonröhre. Willkommen im Jugendzentrum. Rockshow, Dogma-Version. Albarn ist mittlerweile komplett durchgetaut, legt immer öfter die Gitarre ab, springt, zuckt, katapultiert sich auf der Monitorbox gen Zimmerdecke, schwitzt Nase an Nase mit ungläubig lächelnden Jugendlichen, hängt beim elegischen „Battery In Your Leg“ mit geschlossenen Augen singend um Hälse. Das ist nicht Polit-Grummel-Damon, das ist Gorillaz-Pop-Damon, doing it for the kids. Jetzt kommt auch die Stunde der beiden auf Think Tank etwas ortsfremden Punk-Wuchteln „Crazy Beat“ und „We’ve Got A File On You“: Live gehen sie als Instant-Hits durch. „File“ gibt’s zum Auftakt des Zugabenblocks gleich nochmal, weil der Song gar so kurz sei, wie Albarn erklärt. Nach einem pumpenden „Brothers and Sisters“ und dem beschaulichen „Caravan“ dann das Finale: Pogo-Meltdown mit „Song 2“ und hymnischer Ausklang mit dem großen „This Is A Low“. Und dann PLOPP! sind sie weg. Das Licht geht an und keine Musik. An den bleichen Pförtnern vorbei durch den Neongang zurück zum Shuttle. Was war das jetzt? Eine seltsame Übung. Und, Event hin oder her, ein tolles Konzert. Unsere Enkel werden auf jeden Fall Augen machen.

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