Boom Tschak


Die Electro-Kolumne von Albert Koch

Con-sequent und Con-kurrenzlos

Zum Tod des Elektronik-Pioniers Conrad Schnitzler

Ihm persönlich war es wahrscheinlich egal, aber in der Musik von Conrad „Con“ Schnitzler konnten immer wieder Anknüpfungspunkte an das Heute gefunden werden. Zuletzt in der Zusammenarbeit mit dem Berliner Elektroniklabel m=minimal, sowie im Oktober 2010, als einer von Schnitzlers Schlüsseltracks, „Ballet Statique“ aus dem Jahr 1978, auf der Mix-CD Is Fixed von Simian Mobile Disco auftauchte. „Ballet Statique“ fand sich in guter Gesellschaft mit Track gewordenen Merkwürdigkeiten von Jurek Przezdziecki und Delia Derbyshire und weniger merkwürdigen Tracks von DJ Hell, Pantha Du Prince und Etienne Jaumet. In ihrem Mix verschmolzen Simian Mobile Disco die Geschichte und Gegenwart zu einer tech-housigen Sinneinheit, in der zeitliche Einordnungen unnötig werden.

Conrad Schnitzler, 1937 in Düsseldorf geboren, in den 1950er-Jahren musikalisch sozialisiert von Neutönern wie Karlheinz Stockhausen, Pierre Henry und John Cage, schrieb an ein paar entscheidenden Kapiteln im Geschichtsbuch der elektronischen Musik mit. Nach seinem Umzug nach West-Berlin in den 1960er-Jahren gründete er mit Hans-Joachim Roedelius und Dieter Moebius 1969 die Band Kluster, die er nach zwei Alben wieder verließ, bildete mit Edgar Froese und Klaus Schulze eine frühe Besetzung von Tangerine Dream, mit der 1970 das erste Album Electronic Meditation entstand. Und Kraftwerk sollen in den frühen Siebzigerjahren von Schnitzler ihren ersten Synthesizer erhalten haben.

Die Beteiligung Schnitzlers an diesen geschichtsträchtigen Stationen ist weitgehend unbekannt in Deutschland. Noch weniger bekannt sind Schnitzlers Solowerke, ein stattlicher Katalog von etwa 100 Alben, die in mehr als 40 Jahren entstanden sind. Durch die Wiederveröffentlichung klassischer Alben wie Blau, Gelb, Rot, Con Brio, Ballet Statique und Auf dem schwarzen Kanal wurden über die Jahrzehnte immer wieder neue Generationen von experimentierfreudigen elektronischen Musikern inspiriert. Wenn Zeitlosigkeit in der Musik bedeutet, dass erst Jahrzehnte nach Entstehung eines Stückes an seine Klangästhetik angeknüpft wird, dann ist die Musik Conrad Schnitzlers guten Gewissens zeitlos zu nennen.

Conrad Schnitzler ist am 4. August im Alter von 74 Jahren verstorben. Das ist traurig. Traurig ist auch, dass die Nachrufe auf einen der bedeutendsten Pioniere der elektronischen Musik in den deutschsprachigen Mainstreammedien an einer Hand abzuzählen sind.