Boom Tschak


Die Electro-Kolumne von Albert Koch

Zu alt zum Knöpfchendrehen

In den Interviews, die James Murphy zum Album THIS IS HAPPENING gegeben hat, begründete der Musiker und DJ seine Ankündigung, dies werde das letzte von LCD Soundsystem sein, mit seinem Alter. Wir wissen nicht, ob Murphy (40) im Lauf der vergangenen Jahre in der Praxis unter dem zu leiden hatte, was in Amerika als „Ageism“ bezeichnet wird, oder ob sein Rückzug quasi vorauseilend geschieht, um nicht das Opfer von Ageism zu werden. Ageism meint Altersdiskriminierung. Menschen ab einem bestimmten Lebensalter, so lautet das aufgrund stereotyper Zuweisungen gefällte Pauschalurteil, dürfen nicht mehr an bestimmten Prozessen teilnehmen, zum Beispiel am Musikmachen.

Die moderne Popmusik stellt 54 Jahre nach dem ersten Elvis-Album geradezu ein Gegenbeispiel zum Ageism dar. Bands erreichen das biblische Alter von einem halben Jahrhundert, der Sänger einer Metalband darf 67 Jahre alt sein – und das alles wird als gar nicht ungewöhnlich empfunden, auch wenn die meisten Rockmusiker nach vier und mehr Jahrzehnten ihr Schaffen eher retrograd verwalten anstatt es zu gestalten. Im Gegensatz dazu müsste die elektronische Musik, die unter dem ständigen Innovationsdruck des Höher-schneller-weiter steht, sich viel leichter von ihren „Legenden“ lösen. Sollte man meinen, ist aber nicht so. Die respektabelsten DJs und Produzenten sind zwischen 40 und 50 Jahre alt und „unterhalten“ Zuhörer, die mehr als halb so alt sind wie sie: Ricardo Villalobos (40), Richie Hawtin (40), Carl Craig (41), Laurent Garnier (44), Hans Nieswandt (46), DJ Hell (47), Jeff Mills (47), Carl Cox (48), Wolfgang Voigt (49), Danny Tenaglia (50). Sie haben ihren Respekt nicht deshalb erlangt, weil sie schon lange dabei sind – was im Rock immer wieder als Scheinargument für Qualität angeführt wird -, sondern weil sie immer noch in ihren jeweiligen Nischen die Musik nach vorne bringen.

Dass einer wie Jeff Mills nicht einem Publikum, das mit ihm älter geworden ist, die Hits von Underground Resistance, circa frühe 90er-Jahre, präsentiert, ist dann also doch dem Innovationsdruck der elektronischen Musik geschuldet, oder einem musikalischen Selbstverständnis, das aus sich heraus die Neugierde ab dem fünften Lebensjahrzehnt nicht zu den Akten legt.

Insofern hätte sich James Murphy noch Zeit lassen können mit seinem Rücktritt. Aber Murphy ist zu sehr Poptheoretiker, als dass er sich die Gelegenheit hätte entgehen lassen, aus der Theorie des Zusammenhangs von zunehmenden Lebensalter und abnehmendem Interesse für Musik einen großen Abgang zu gestalten. Respekt.