Boys will be Boys


Der 20. Juli 2009 stellte einen tiefen Einschnitt in der 30-jährigen Geschichte der Beastie Boys dar. Adam Yauch verkündete in einer Video-Botschaft, dass Ärzte Krebszellen in seinem Körper diagnostiziert hätten. Daraufhin wurde es still um die Klassenkasper des Hip-Hop. Nun, zwei Jahre später, erscheint endlich ihr neues Album.

Eigentlich sollte das siebte Studioalbum der Beastie Boys am 11. September 2009 erscheinen. Zum achten Jahrestag des Terrorangriffs auf die Twin Towers, mit der Intention, die Welt ausgerechnet und erst recht von New York aus zu neuer Lockerheit und Lebensfreude zu animieren. Eine Botschaft, mit der das Trio damals auch auf Promo-Reise geht. Die Interviews auf dieser Reise fallen einmal mehr genau so aus, wie sich das O-Ton-Cutter von solchen Radiosendern, die die Welt 24 Stunden am Tag zu bespaßen versuchen, erhoffen und Autoren von Magazin- oder Feuilleton-Artikeln befürchten. Man muss das wohl endlich einsehen: Mit den Beastie Boys ist kein sachliches Gespräch möglich. Adam Horovitz (Ad-Rock), Adam Yauch (MCA) und Michael Louis Diamond (Mike D) unterhalten sich vor allem selbst und gegenseitig als durcheinander schnatterndes, Sprüche und Wortwitze über drei Ecken reichendes Comedytrio. Drei gestandene Familienväter Mitte 40 – mit angegrautem Haar, sportlichen Designerklamotten und einer Vorliebe für exotische Tees, frische Früchte und eine rundum gesunde Ernährung ohne Alkohol, Nikotin und Fleisch. Die elderly statesmen of hip hop. Außer Rand und Band.

Neben Public Enemy gehören die Beastie Boys zu den ältesten noch aktiven Formationen des Hip-Hop, in dem das Gruppen-Format kürzere Halbwertszeiten als in der Rockmusik hat, weil es in diesem Genre keine handwerkliche Notwendigkeit hierfür gibt und auch keine Traditionen, die nach festgelegten Besetzungen verlangen – zumindest nicht über two turntables and a microphone hinaus. Am Anfang, zu Beginn der Achtziger, sind Mike und die beiden Adams drei Rotzlöffel, die sich im Punk und im Hardcore austoben. Auf ihrem von Rick Rubin produzierten Debütalbum License To Ill mischen sie 1986 dann Hip-Hop, Glam und Rock’n’Roll-Klischees zu einem frischen und infantilen Rap-Rock. Weiße Mittelklasse-Teenies rund um den halben Erdball pochen gemeinsam mit den drei wüsten Bierdosen-Stechern aus Brooklyn auf ihr Recht zu feiern. Dass der Hit „(You Gotta) Fight For Your Right (To Party!)“ eigentlich als Parodie auf entsprechende Pennäler-Hymnen von Spandexhosenträgern wie Twisted Sister gedacht ist: geschenkt.

Die folgenden Alben Paul’s Boutique (1989), Check Your Head (1992) und Ill Communication (1994) machen eindrucksvoll deutlich, wie stilistisch breit aufgestellt diese Spaßvögel tatsächlich sind – aber auch, wie tief down with und in hip hop. Das Trio schafft den Spagat zwischen Mainstream und Underground, sitzt und bleibt am Knotenpunkt zwischen Rock- und B-Boy-Kultur, verkauft so nicht nur über 62 Millionen Tonträger, sondern setzt Akzente bis hinein in Mode und Lifestyle – neben ihrer Musik mit bahnbrechenden Videos, bei denen zum Großteil MCA (unter dem Pseudonym Nathaniel Hörnblower) die Regie führt, mit dem Label Grand Royal, dem brillanten, aber kurzlebigen „Grand Royal Magazine“, der Street-Wear-Firma X-Large und nicht zuletzt den bandeigenen Oscilloscope Laboratories.

Die Laboratories sind seit knapp zehn Jahren Studio und Hauptquartier der Gruppe, untergebracht in einem alten Fabrikkomplex in Downtown Manhattan. Von außen unauffällig, von innen State of the Art, mit jeder Menge Hightech und Band-Memorabilia, netten, kleinen Büros und endlosen Korridoren mit edlem Parkettfußboden. Hier residiert auch O-Scope, MCAs Indie-Film-Vertriebs- und -Produktionsfirma, die aktuell das Allen-Ginsberg-Biopic „Howl“ und Banksys „Exit Through The Gift Shop“ betreut und einiges von dem aufgreift, was den Branchenführern zu künstlerisch und alternativ erscheint. Kurzum: Die drei sind – aus subkultureller Sicht – die ungekrönten Könige von New York City.

Sheryl und die Frühstücks-Buffet-Songs

Und wenn diese Könige Hof halten, halten sie am liebsten die Welt zum Narren, indem sie sich selbst wie solche benehmen. Wir erinnern uns: Ein vernünftiges Gespräch ist mit den Beastie Boys kaum möglich. Im Sommer 2009 geben sie uns auf oben beschriebener Promo-Reise im Konferenzraum eines Kölner Hotels eine Kostprobe davon. Dabei haben wir sie eingangs nur – die obligatorische Höflichkeitsfloskel – nach ihrem Befinden befragt. So nimmt der Unsinn seinen Lauf …

Mike D: Ich habe gerade einen ziemlich guten Espresso getrunken. Also wirklich überraschend gut.

MCA: Im Ernst? Ad-Rock und ich standen fünf Minuten vor dieser Kaffeemaschine und hatten keine Ahnung, wie das Teil funktioniert.

Ad-rock: Ich habe eine E-Mail dazu geschrieben – auch über das Frühstücksbuffet heute Morgen. Habt ihr die etwa nicht bekommen?

MCA: Nein, diese Mail wurde mir nicht zugestellt.

Mike D: Ich habe sie gekriegt. Und ich muss sagen, du hast diese Maschine darin richtig gut beschrieben, Adam. Auch interessant: Dein Kommentar zu der Musik, die beim Buffet im Hintergrund lief: Sheryl Crow. Mir kam dabei folgender Gedanke: Sheryl Crow gehört ganz bestimmt zu den Top-5-Künstlern, deren Musik bei Frühstücksbuffets läuft.

Ad-rock: Ganz bestimmt. Allerdings lief drei Stücke später „The Sign“ von Ace Of Base …

Mike D: Die Mutter aller Frühstücksbuffet-Songs!

Ad-rock: Frühstücksbuffets sind in Europa eine viel größere Sache als bei uns in den Staaten. Deshalb läuft Sheryl auch nicht so oft, wie sie laufen sollte.

Mike D: Meinst du, Sheryl mag überhaupt Frühstücksbuffets, oder ist sie eher so der Grüne-Tee-Typ?

Ad-rock: Ich glaube, sie ist mehr so der Spiegelei-Typ.

Mike D: Du darfst aber nicht vergessen: Sie hat früher mal für Michael Jackson gesungen. Deshalb würde ich sagen … ich würde sogar darauf wetten, dass sie ein Frühstücksflocken-Fan ist. Selbst gemischte Flocken mit frischem Obst und Mandel- oder Sojamilch.

Man könnte stundenlang dabei zuhören, wie sich die Beastie Boys am klassischen Slapstick versuchen. Wenn es da nicht ein paar einigermaßen wichtige Dinge gäbe, über die man gerne mit ihnen reden würde oder sollte. Mike Ds Bedauern klingt beinahe ehrlich, als er sich kurz an die Welt solcher Zwänge und Sinnhaftigkeiten hier draußen wendet – an uns: „Sorry, ich hoffe, du hast nicht zu viele Fragen?“

Adam und der Krebs

Rund drei Wochen später, am 20. Juli 2009, sind zu den Fragen, die in Köln unbeantwortet geblieben sind, ein paar neue und sehr ernste hinzugekommen. In einer Videobotschaft aus New York (in der Ad-Rock und MCA das Blödeln auch nicht ganz sein lassen können) klärt Adam Yauch alias MCA die Öffentlichkeit darüber auf, dass bei ihm Krebs festgestellt wurde – ein bösartiger Tumor sitzt in seiner Glandula parotis, der Ohrspeicheldrüse. MCA: „Wir müssen unsere kommenden Shows absagen und die Veröffentlichung des Albums verschieben. Vor ungefähr zwei Monaten habe ich zum ersten Mal was im Hals gespürt. Eine geschwollene Drüse, wie bei einer Erkältung. (…) Als wir neulich in Europa waren, und es nicht besser wurde, ging ich zum Arzt. Nach ein paar Tests war klar, dass ich eine Art von Krebs habe. Und zwar in einer Drüse und in einem Lymphknoten, weshalb ich mich jetzt in Behandlung begeben muss. Die gute Nachricht ist: Dies ist die einzige erkrankte Stelle in meinem Körper, und meine Stimme ist nicht beeinträchtigt. Der Krebs ist heilbar und tritt in den meisten Fällen auch so schnell nicht wieder auf. Das ist der Stand der Dinge. Wir werden uns bald zurückmelden.“

Der Musiker aus den Brooklyn Heights, der mit einer Tibeterin verheiratet ist, hält Wort. Bereits zwei Wochen später, an seinem 45. Geburtstag, veröffentlicht er eine Presseerklärung unter der Überschrift „What I did in my summer vacation“. Es ist ein Update über den erfolgreichen operativen Eingriff, die ersten Schritte seiner Genesung und ein Dankeschön an Kollegen wie Jay-Z, Coldplay, Karen O und Q-Tip, die ihm auf der Bühne und in Interviews gute Besserung gewünscht haben.

Doch danach ist nichts mehr zu hören von Yauch. Die Beastie Boys ziehen sich aus der Öffentlichkeit zurück. Auch die Veröffentlichung des Albums, das eigentlich fertig produziert sein sollte, wird verschoben. Es scheint, als bräuchte MCA doch länger, um wieder auf die Beine zu kommen. Die Beasties reisen ins indische Dharamsala, wo sich Yauch in die Obhut tibetischer Ärzte begibt, an Kursen des Dalai Lama teilnimmt, mit Nonnen betet und strikte vegane Diät lebt. Anschließend zieht er sich mit seiner Familie aufs Land, nach Massachusetts, zurück und sammelt neue Kraft.

Erst im November 2010 ist wieder öfter von den Beastie Boys die Rede (sieht man von Mike Ds Remix von Lykke Lis Single „Get Some“ ab). Glaubt man den Gerüchten, ist Adam Yauch endlich genesen, und die Veröffentlichung ihres achten Studioalbums steht nun bevor: Hot Sauce Committee Pt. 2. Ein Titel, der laut MCA in zwei bedeutungsschwangere Teile zerfällt. Zum einen die „scharfe Soße“ als Metapher „für die Intention, die wir mit unserer Musik verfolgen“, und „Committee“ für die „geheime Bruderschaft“, die diesen missionarischen Ansatz propagiert. „Also wir drei plus ein paar Ehrenmitglieder“, wie Mike D ausführt.

Hot Sauce Committee Pt. 2 ist das erste Album der Gruppe, zu dem es keine Interviews gibt. Sei es, weil die drei sich nicht zu Yauchs Erkrankung äußern wollen. Oder es sich – um in ihrem Jargon zu bleiben – bei dieser Platte im Grunde nur um „some old bullshit“ handelt. Die Formulierung, die Mike D in seinem Blog wählt, spricht denn auch Bände: „Es kann nur als bizarrer Zufall beschrieben werden, aber nach einem anstrengenden Abhör-Marathon können die Beastie Boys nun bestätigen, dass ihr neues Album Hot Sauce Committee Part 2 aus denselben Tracks besteht, die schon für Teil eins geplant waren. Wobei die Stücke, die ursprünglich für Hot Sauce Committee Part 2 bestimmt waren, zurückgestellt wurden, um Platz für das ehemalige Teil-eins-Material zu schaffen.“

Was so viel bedeutet wie: Zwar wurde die Reihenfolge der Tracks leicht verändert und zwei der ursprünglichen 18 Tracks (jetzt: 16) landen als Bonus-Material auf der Vinyl-Edition. Doch ansonsten ist es genau das Album, das im September 2009 erscheinen sollte – ohne große Überarbeitung oder Aktualisierung. Old-School-Hip-Hop mit ein paar Hardcore-/Punk-Ditties und jazzigen Instrumental-Ausflügen, der a) kein bisschen veraltet und b) immer noch verdammt gut klingt. Was nicht zuletzt an der gut geschmierten Symbiose aus groovigen Jams (Gitarre, Bass, Schlagzeug) und feinsten Samples und Loops liegt. Darüber schieben sich die Beastie Boys ihre Reime hin und her durchs Dreieck zu gewohnt kunterbunten Themen wie den Serienhelden Lee Majors („Der 6-Millionen-Dollar-Mann“), die Brille von Elvis‘ ehemaligem Busfahrer, globales nukleares Abrüsten und die aktuelle Misere des eigenen Genres, die sie in „Too Many Rappers“ erörtern.

Nas und das Feuer

Alte Weggefährten wie Keyboarder Money Mark und Mix Master Mike an den Turntables sind wieder dabei, die illustren Gäste heißen – oder besser: hießen – Nas und Santigold. „Nas habe ich vor ein paar Jahren auf der Straße getroffen“, erzählt MCA im Sommer 2009 in Köln: „Wir haben uns kurz unterhalten und er meinte das, was halt jeder so sagt:, Wir sollten uns mal auf einen Kaffee treffen.‘ Meistens tut man das dann aber nie. Doch wir sind tatsächlich ab und zu einen Kaffee trinken gegangen und haben uns über alles Mögliche unterhalten – vor allem über Sport. Bis sein Manager Wind davon bekam. Er fragte, ob wir nicht mal etwas zusammen aufnehmen wollen. Ich hatte jedoch Angst, diese relaxten Kaffee-Gespräche zu ruinieren. Außerdem sind wir wirklich sehr große Fans seines Debüts Illmatic. Es zählt definitiv zu den zehn besten Hip-Hop-Alben aller Zeiten. Aber Nas fand den Track, Too Many Rappers‘ so toll, dass er unbedingt mitmachen wollte. Und er hat dem Stück dann auch erst richtig Feuer verliehen.“

Auch Santigolds Gastspiel sei mehr als nur ein übliches Featuring gewesen, erzählt Mike D: „Wir hatten ein paar Stücke, die wir schon in alle möglichen Richtungen geführt haben, aber nicht so klangen, wie wir uns das erhofften. Bis ich Santigolds Album hörte. Ich war von ihrer Präsenz ziemlich beeindruckt und dachte, dass sie uns vielleicht helfen könnte. Also rief ich sie an, spielte ihr ein paar Sachen vor, und sie gefielen ihr. Da sie bei uns in Brooklyn gleich um die Ecke wohnt, schaute sie immer mal wieder vorbei, fügte ein paar Parts hinzu und führte die Sachen auf ein neues Level.“ Santigold sorgte für den ausgefallensten Track des Albums: „Don’t Play No Game That I Can’t Win“. Ein wunderbares 2-Step/Dub-Intermezzo mit einem mörderischen Groove, wie ihn selbst Sly & Robbie nicht besser hinbekommen hätten.

Aber wollen wir die Beastie Boys 2011 nicht für etwas feiern, was sie nicht (mehr) sind: ein besonders innovativer Act, eine Band, die den aktuellen Sound mitbestimmt. Allerdings haben sie eben ihren eigenen Sound gefunden und können immer noch ziemlich unterhaltsam damit spielen und ihn variieren. Die drei ziehen ihr Ding durch. Und das ist sieben Jahre nach To The 5 Boroughs und unter den gegebenen Umständen eine wirklich gute Nachricht.

Die alten und die neuen B-Boys

Damit ihr Publikum tatsächlich nicht vergisst, wofür die Beastie Boys stehen, haben sie ein Video gedreht, das den Zuschauer ausgerechnet dorthin zurück führt, wo der ganze Spaß begonnen hat. Zu „Fight For Your Right To Party“, dem Song, den sie seit 1987 nicht mehr live gespielt haben und von dem sie sich, genauso wie von einigen anderen sexistischen oder anderweitig primitiven Inhalten dieser Zeit, wiederholt distanziert haben. Das Promotion-Video zu „Make Some Noise“ ist ein „Fight For Your Right To Party Revisited“. Im Plot treffen die ergrauten, gestandenen Beasties auf ihre jugendlichen, vergnügungssüchtigen Alter Egos von damals und nehmen sich für diese Abrechnung knapp 30 Minuten Zeit. „Normalerweise drehen Bands ja keine großen Videos mehr“, schreibt Mike D in seinem Blog: „Das ist genau der Grund, warum wir das tun. Und zwar mit einem richtigen Kurzfilm.“ Und die Starbesetzung dieses von Adam Yauch gedrehten Films stampft selbst die meisten Hollywood-Großproduktionen in den Boden. Sie zeigt Elijah Wood, Danny McBride und Seth Rogen als die jungen B-Boys sowie Jack Black, Will Ferrell und John C. Reilly als Beastie Boys in den Mittvierzigern – sowie einen ganzen Bus voller Stars in wunderbaren Nebenrollen und 80s-Verkleidungen wie Orlando Bloom, Susan Sarandon und Kirsten Dunst.

Ein großer Bumms zur Rückkehr – der funktioniert genau so. Doch wie es danach weitergeht? Wie gesagt: Bislang schweigen sich die drei aus. Ob und wann sie mit Hot Sauce Committee auf Tour gehen? Ob zuerst noch Teil eins fällig wird? Oder ob die Beastie Boys nun wieder in den Supergroup-Turnus zurückfallen, der zwischen zwei Karrieremoves jeweils ein paar Dutzend Monate Wartezeit vorsieht? Man sollte eigentlich meinen, dass sie in den vergangenen zwei Jahren der Zwangspause ordentlich Hunger bekommen haben – auf ganz viel scharfe Soße und einigen Lärm. Und was der junge Mike D Seth Rogen über die älter gewordenen Beastie Boys sagt, können die ja nun echt nicht auf sich sitzen lassen: „Future us are complete idiots.“

Albumkritik S. 94