Britpop: Am Anfang waren die Beatles


Am Anfang waren die Beatles. Und die Stones. Und die Kinks. Und die Small Faces. Aber auch Who, Hollies und Move. Rebellisch rempelten sie ihre Eltern an, eine Generation, die nach den Schrecken des großen Krieges jedes Aufbegehren am liebsten im Keim erstickt hätte. Krieg und Rock’n’Roll in einem Jahrhundert — das war erklärtermaßen zuviel des Schlechten. Doch der Rock’n’Roll setzte sich — aus Amerika kommend — auch in Europa lautstark durch und schuf in Großbritannien gar eine neue Bewegung: die Popkultur. Bis heute spricht man von England als dem „Mutterland des Pop“. Zwar war es auf dem europäischen Festland und schon gar in Amerika eine Weile lang ziemlich ruhig um die Musikinsel in der Nordsee. Heute aber stehen tönende Exportgüter aus England wieder hoch im Kurs. Britpop heißt das Zauberwort, das seit Mitte des vergangenen Jahres für Musiker, Manager und Plattenfirmen die Kassen kräftig klingeln läßt. Dabei ist Britpop keine Erfindung der 90er Jahre. Immer wieder wurde mit diesem Wort in der Vergangenheit jener Sound charakterisiert, der so typisch für das britische Lebensgefühl, so „typisch englisch“ ist. Dabei sorgten die Helden der 60er Jahre lediglich für eine Art Initialzündung. Auch in der Folgezeit gab es immer wieder Paradebeispiele für britische Popmusik, was jetzt eine von ME/Sounds empfohlene Doppel-CD deutlich belegt.

In den 70er Jahren beispielsweise machte ein zorniger junger Mann namens Elvis Costello von sich reden. Obwohl durchaus differenziert, mochten seine Lieder sogar die späten Punks. Costellos Einfluß auf die Popmusik wird bis heute unterschätzt. Er bewies, daß man als Songwriter still und doch druckvoll, melodisch und doch aggressiv sein kann. Terry Hall und seine damalige Band The Specials dagegen bildeten die Speerspitze der Two Tone-Bewegung, die auf eine tanzbare Mischung aus Punk, Pop, Reggae und Ska setzte. Ebenfalls in die frühen 80er Jahre fallen die ersten Taten von New Order und den Smiths, von Aztec Camera und Prefab Sprout. Ja, und der erst jetzt so richtig erfolgreiche Edwyn Collins musizierte damals auch schon (den auf der Doppel-CD vertretenen Superseller ‚A Girl Like You‘ freilich sollte er erst sehr viel später schreiben).

Daß man beim Begriff Britpop immer erst an die Musikmetropole London denkt, ist zwar verständlich, deshalb aber noch lange nicht immer richtig. So schrieb die nordwestenglische Industriestadt Manchester gleich ein ganzes Kapitel Britpop-Geschichte. Bands wie die Stone Roses, die Happy Mondays, die Charlatans und The Farm kreuzten zu Beginn der 90er Jahre ihre psychedelisch angehauchten Gitarren mit Dance-Elementen aus der House-Szene und lösten damit einen wahren Boom aus. Tanzen, in der britischen Szene zuvor ziemlich verpönt, war plötzlich angesagt. Was zur Folge hatte, daß nicht nur (aber vor allem) in Manchester die Post abging wie schon lange nicht mehr. Vor diesem Hintergrund wurde die Stadt kurzerhand in „Madehester“ umgetauft. Derweil ließen EMF und Jesus Jones allerlei Samples mit beinharten Grooves kollidieren, führte Wendy James alias Transvision Vamp den Trash-Gedanken in eine von Männern dominierte Szene ein. Und während The Mission mit einer beachtlichen Zahl von Hits bewiesen, daß auch gepflegte Düsternis ihren Platz in den Charts finden kann, bastelten Bands wie Tears For Fears und World Party melodieverliebt bis über beide Ohren, jedoch mit unterschiedlichem Erfolg, am absolut perfekten Popsong.

Wieder anders: die La’s aus Liverpool. Sie orientierten sich im Grunde an den 60er Jahren und entwickelten auf dieser Basis eine abseitige Obsession für rumpeligen Garagen-Pop. Weitaus erfolgreicher, weil mit größerer Massenwirksamkeit gesegnet: Suede und die Manie Street Preachers. Aber auch die eher sperrigen, mit gewaltigen Gitarren operierenden Jesus And Mary Chain fanden ihre Käufer. Die Boo Radleys und die Lightning Seeds dagegen eroberten erst jüngst und nach einer deutlichen Hinwendung zum hitparadentauglichen Popsong die Herzen des Britpop-Publikums. Die Mitglieder von Radiohead schließlich bemühten sich lange und passioniert um dramatische Rocksongs ohne Pathos, um dann mit ‚Creep‘ endlich ins Schwarze zu treffen.

Auch bei Bands wie Supergrass, Echobelly oder Elastica mag man an Britpop denken. Im Mittelpunkt des Interesses an dieser Musikrichtung aber stehen spätestens seit Sommer ’95 auch hierzulande Blur und Oasis. Mit ‚Parklife‘ hatten Blur im Jahr zuvor den Startschuß für die Wiederentdeckung des Popsongs im großen Stil abgegeben. Was Oasis, welche die eher feingeistigen Boys von Blur zu ihren Lieblingsfeinden erklärten, jedoch kaum beeindrucken konnte. Das Quintett um die Gebrüder Noel und Liam Gallagher (auch sie übrigens aus Manchester) bildete mit schrillen Sprüchen und großem Appetit auf rock’n’rolligen Lifestyle von Anfang an den genauen Gegenpol zu den Bohemiens von Blur. Die publikumswirksame Art, in der sich die Konkurrenten öffentlich angingen, wurde von den britischen Medien nur allzu gern aufgegriffen. Was wiederum zur Folge hatte, daß der Bekanntheitsgrad von Blur und Oasis in England ein ähnliches Level erreichte wie das von Lady Di und ihrem Gatten. Schade nur, daß im Zuge des Streits zwischen Oasis und Blur vergleichsweise wenig über deren Musik gesprochen wurde. An der permanenten Veränderung und Weiterentwicklung von britischem Pop, von Britpop eben, wird jedoch auch dieser Umstand nichts ändern.