Kolumne

Paulas Popwoche: Do the cops know it’s Christmas?

Popsongs werden düsterer und Hedonismus lässt sich nicht mehr verkaufen. Was läuft schief in der Popkultur?

Also folgende Dinge schwirren in den letzten Zügen des Jahres noch in meinem Kopf herum:

„Lush Life“ und die romantisierten 10er

1. 2015 ist jetzt zehn Jahre her und wir sollten Songs aus diesem Jahr langsam als Evergreens behandeln. Wie es die Kids bei TikTok schon tun! Die 10er werden dort gerade voll romantisiert, angeblich war damals irgendwas noch in Ordnung und man schaute Starbucks-Kaffee-trinkend in eine optimistischere Zukunft. So erklärt sich die Nostalgie und Freude betreffend dem 2015er-Hit „Lush Life“ von Zara Larsson. Natürlich hat er seinen Hype auch der tollen Co-Performance von Julia zu verdanken:

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Naja, und dann wäre noch sowas wie Bruno Mars „Uptown Funk“. Ein richtiger Oldie! Aber dazu gleich mehr.

Negativ-Pop und das Ende des Hedonismus

2. Jetzt wird es erstmal stressig: Passenderweise habe ich beim „Deutschlandfunk“ gelesen, dass eine Studie aus Österreich herausgefunden hat, dass Songs heutzutage nicht mehr so positiv sind. Dafür wurden die Billboard-Charts seit 1973 angeguckt, auf Stress-Begriffe abgecheckt und siehe da: Die Popsongs sind heute negativer. UND seit 2015 werden sie auch wieder komplexer. Naja, was soll ich sagen, wir haben Avicii verloren, wer soll sich denn noch um unser Serotonin-Level kümmern? Etwa Bruno Mars, der gefälligst mal wieder ein Album rausbringen könnte?

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Aber kann man wirklich einfach sagen, dass es den Leuten jetzt beschissener als früher geht? Oder haben sich kapitalistische Vergnügungen, die ja oft mit großen Popsongs untermalt werden – die gute alte Großraumdisse, das Bowlingcenter, der Kinopalast, Rummel, Kirmes, Messe, Springbreak, you name it – einfach ein bisschen abgenutzt? Kann man, wie meiner Generation, noch Hedonismus verkaufen? Tonight we are young, there’s no tomorrow, fick die Uni, zünd die Bengalos an, knutsch mich hinterm Dixieklo, Gästeliste, wasted youth, morgen wach ich auf und denke, ich seh dabei aus wie Kesha?

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Eigentlich gab es ja schon in den Nullern und Zehnern die Erzählung, dass alles den Bach runtergeht und die kapitalistische Kultur gab uns, um damit fertig zu werden, Leuchtearmbänder, Nebelmaschinen, Schaumparties, Glitzerpuder, Holi-Farbpulver, Pueblo-Tabak und Komasaufen. Viele von uns waren auf so viele Weisen vernebelt, dass es mir schwerfällt, mich über den Lachgas-Konsum der jungen Leute aufzuregen. Allein weil wir ja auch schon Lachgas hatten.

Dabei hieß es auch uns gegenüber aus Richtung der herrschenden Popkultur, dass die 90er sorglos(er) gewesen wären, so wie man es neuerdings über die 10er sagt. Beides stimmt natürlich nicht. Allein im Osten dieses Landes sah es schon beschissen genug aus und auch sonst muss man für solche Einschätzungen alles ausblenden, was nicht sehr dolle (Nord-)Westen ist. Die 10er waren Wirtschaftskrise, Klimakrise, „Flüchtlingskrise“, Wohnungskrise, Menschen, die aus unterschiedlichen Gründen ihre Zuhause verlieren. Aber was stimmt ist, dass im Pop mehr Eskapismus war. Die Leute schaffen es nicht mehr, sich und einander so gut zu verarschen, das ist vielleicht eher was Gutes. Oder wie es in einem weiteren 2015-Klassiker heißt: „I was told, when I get older, all my fears would shrink. But now I’m insecure, and I care what people think.“

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Das Ende der Charity-Songs

3. Apropos verarschen und what people think – was es auch nicht mehr gibt, sind Charity-Songs. Ich schreibe diese Kolumne in einem Café, in dem jetzt schon zum fünften Mal „Do They Know It’s Christmas“ lief. Nicht nur wegen der bereits oft diskutierten problematischen Textzeilen wirkt das alles mittlerweile völlig aus der Zeit gefallen. Es gibt heutzutage zwar Petitionen, es gibt Leute, die Einnahmen eines Songs weiterleiten, es gibt politische Shout-outs auf Bühnen, aber man kann sich keinen Gruppensong, in dem auf das Leid von Menschen in „fernen“, „armen“, „unterentwickelten“ Ländern hingewiesen wird, mehr vorstellen.

Einerseits fällt da kaum noch jemand drauf rein: Reiche und berühmte Leute, die so tun, als sei es die natürliche Ordnung, dass sie nun mal reich sind, als wäre Geld ein angeborener Körperteil und als wären es nicht die Fans, die ihnen das Geld geben. Arme Leute sind in der Charity-Erzählung hingegen unveränderlich arm und man kann ihnen ab und an mal was zuschustern, damit sie zum Beispiel ein schönes Weihnachtsfest haben. Aber wer das schöne Leben verdient hat, bleibt klar. Dann will niemand mehr Appelle von Leuten hören, dass WIR mehr tun sollen, während sie in ihren Villen sitzen. Vielleicht ist das eine Coronafolge. Da gab es noch solche kollektiven Charity-Versuche. Aber die sendeten diese Leute Selleriesaft trinkend aus ihren Palästen, während wir in unseren anderthalb-Zimmer-Buden Homeoffice, Kinder, Beziehung, Arbeit und Psyche tarierten.

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Augenscheinlicher konnte es kaum werden. Ich muss immer wieder an meinen alten Kumpel F. denken und wie er auf einem Konzert, für das wir lange gespart hatten, zum Sänger nach seinem Aufruf, dass wir doch bitte alle mal was abgeben sollten, rief: SPENDE DOCH DEINE GAGE, DU ARSCHLOCH.

Was auch nicht mehr funktioniert, ist, dass sich Artists als Teil eines Kollektivs begreifen, das oben steht. Sie haben gar kein Klassenbewusstsein mehr! Sie prahlen ja nicht mal mehr. Die aktuellen Popstars machen auf bescheiden, tun so als seien sie wie wir, haben natürlich auch eigene Probleme und beherrschen Therapyspeak. Im Grunde wäre es natürlich egal, was die so machen, wenn wir ein System hätten, das nicht auf Almosen angewiesen wäre. Wenn es staatliche (Um-)Verteilung gäbe, wenn alle bekommen, was sie brauchen. Aber au contraire, immer mehr soziale Einrichtungen und politische Projekte sind auf Spenden angewiesen, weil staatliche Förderungen zurückgezogen werden. Ein bekanntes Beispiel ging dieser Tage durch die sozialen Netzwerke.

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In diesem Fall konnte die Arbeit dieser Menschen durch Spenden erstmal! gerettet werden. Im Schatten davon sind aber unzählige Projekte, die es nicht mehr geben wird. Der Druck kommt natürlich von rechts. Meanwhile wird lieber auf die Polizei gesetzt. Berlin hat jetzt, auf Einwohner:innen gerechnet, mehr Polizist:innen als New York City, wie das ND berichtete. Der Etat für die Polizei sei „höher als der gesamte Etat für Arbeit, Soziales, Gleichstellung, Integration, Vielfalt und Antidiskriminierung, und mehr als doppelt so groß wie der Etat für Kultur und Gesellschaftlichen Zusammenhalt“. Immer mehr soziale Probleme, die sich ja eigentlich immer aus Armut ergeben, werden der Polizei und damit willkürlicher Gewalt überlassen. Verpolizeilichung heißt das. Heißt zum Beispiel ganz konkret ganz oft: Obdachlose werden nicht versorgt, psychologisch betreut, in dauerhafte Wohnverhältnisse gebracht, sondern weggeräumt oder noch Schlimmeres. Und man kann nur hoffen, dass die Polizei es gut mit einem meint, vielleicht weil gerade Weihnachten ist oder so.

Jetzt rede ich auch schon so negativ daher wie die Gen-Z …

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Vielleicht kann ja Bruno Mars mal wieder was machen. Fröhlicher Song, Hedonismus und vielleicht noch was gegen die Polizei … Ich würd’s kaufen!

Was bisher geschah? Hier alle Popkolumnentexte im Überblick.

ME

Paula Irmschler schreibt freiberuflich unter anderem für MUSIKEXPRESS. Weitere Artikel und das Autorenprofil gibt es hier.