Brust raus, Kopf ab


Dahinter steckt ein kluger Schädel. David Byrne macht die Talking Heads kopflos und schmet- tert ein stolzes Uh OH aus der Solo-Brust.

Multi Kulti ist für David Byrne sogar beim Frühstück unverzichtbar: In der heilen Apple-Pie-Weit von Ben Frank’s, einem der letzten überlebenden alten 24-Stunden-Grillrestaurants auf L.A.’s Sunset Boulevard, verraten die Angestellten auf ihren Namensschildern gleich auch noch die Herkunft — Daphne aus Trinidad serviert. Manuel aus Chihuahua/Mexico räumt ab, Shome aus Teheran kassiert. David Byrnes Oldtimer-Citroen rollt auf dem Parkplatz ein, der New York-Fan holt sich schnell noch eine „New York Times“ aus dem Automaten, „bevor die wieder ausverkauft ist“.

Eine Pampelmuse, einen Toast mit Konfitüre und einen Kaffee später ist das definitive Ende seiner Band Talking Heads besiegelt: „Nenn es aufgelöst, nenn es wie du willst. Ich werde mit dem Rest der Band in Kontakt bleiben, kann mir aber keine weitere Zusammenarbeit mehr vorstellen. “ Byrne steckte schon in den 80er Jahren weitaus mehr Zeit in Projekte außerhalb der Talking Heads. Auch bei dieser Band gilt — sag zum Abschied leise „Best Of“: „Es wird noch eine CD-Box mit den besten Stücken geben, auf der als Dankeschön zwei bis drei unveröffentlichte Nummern sein werden.“

Im Moment frönt Byrne (39) lieber verstärkt dem Familienleben mit Ehefrau Adelle Lutz und Töchterchen Malu Abeni Valentine und zieht nun den endgültigen Schlußstrich unter die 17jährige Geschichte des von ihm angeführten Quartetts, das ohnehin seit der 83’er „Big Suir-Tour nicht mehr gemeinsam auf der Bühne gestanden hatte. Als die Nachricht vom Ende der Talking Heads Anfang des Jahres um die Welt ging, traf sie Byrnes Heads-Mitstreiter noch unvorbereitet. „Meine Güte, was für ein Durcheinander“, entfährt es David Byrne bei der Bitte um Aufklärung. Die Split-Nachricht beruhe auf einer Äußerung bei einem Interview in ganzer anderer Sache. „Es war nicht als offizielle Bekanntmachung gedacht, aber eigentlich war es überfällig. „

Wohlüberlegt ist allerdings UH OH, der Titel von Byrnes neuem Album, mit dem er sich endgültig ins Solo-Dasein veranschiedet: Der Name ist eine Anspielung auf den ersten Song des 1977 erschienen Talking Heads Debüt-Albums 1977 – „Uh-Oh, Love Comes To Town“.

„Uh oh“ werden sicher auch wieder Verfechter der reinen Moral stöhnen, denn Byrne hält sich bei den neuen Songs wie gewohnt an die Lieblingsthemen seiner verqueren Phantasie: Geschlechtsumwandlungen („Now I’m Your Mom“), Sex als Waffe („She’s Mad“), oder die RückwärtsEvolution der Menschheit („Monkey Man“). Die Verbal-Attacken des Sängers mit der Nervensägen-Stimme sind verpackt in üppige, tanzbare Arrangements, die — da schließt sich der Kreis — über lange Passagen hinweg die Rhythmus-Magie früherer Talking Heads-Alben mühelos erreichen.

Die lateinamerikanischen und karibischen Einflüsse auf UH OH knüpfen dagegen eher an den Solo-Vorgänger RE1 MOMO an. für den der einstige Kritikerliebling David Byrne 1989 vor allem in den USA herbe Journalistenschelte einstecken mußte. Ein Begriff machte dabei wieder die Runde, der schon Paul Simon um die Ohren geschlagen worden war: Auch David Byrne habe sich des „kulturellen Imperialismus“ schuldig gemacht, als er sich für REI MOMO 20 Top-Latin-Musiker zur Hilfe nahm. „Meistens kam dieser Vorwurf von Rezensenten, die in ihrem Leben noch keine Latin-Platte gekauft oder besprochen hatten“, wehrt er sich. Was für den Musiker Byrne gilt, soll auch für den Plattenproduzenten Byrne Gesetz sein, für dessen Label „Luaka Bop“ nach dem soeben erschienenen A. R. Kane-Album demnächst indische und japanische Gruppen produziert werden. Und hier schwillt zum ersten Mal die Heldenbrust des Sängers: „Musiker wollen absolute Freiheit — wir wollen in der Lage sein zu tun, was wir wollen, zu arbeiten, mit wem wir wollen, und in unserer Musik jeden Sound oder Stil unterzubringen, den wir wollen.“

Dazu gehört für Byrne auch, dem Künstler alle Marotten zu verzeihen, seien sie noch so abwegig: „Als ich das Demo für .She’s Mad‘ aufnahm“, erinnert er sich, „lief die Musik in meinem Mini-Heimstudio mit voller Lautstärke, ich rannte mit dem Mikrofon in der Hand gegen die Wände, ich schrie und geiferte. Auf dem Demo waren schließlich alle möglichen Geräusche — Rülpser, Fürze, alles mischte sich in den Text. Ganz so habe ich es später im richtigen Studio nicht mehr hinbekommen…“