Can mit neuer Patte – Die Zukunftstage haben begonnen


den. Wir haben nicht das Bedürfnis uns auf irgendetwas festlegen zu lassen. Stile sind verfügbar und wir spielen keinen bestimmten Stil – wir machen Musik! Stile kann man höchstens noch zitieren oder aus der Erfahrung der Summe aller Stilarten schaffen. Heraus kommt dann ein persönlicher Stil, und der ist es, der alle 5 Platten zu Can-Platten macht. Wir möchten uns nicht wiederholen, sondern immer neue Dinge in Angriff nehmen. Völlig untheoretisch – ganz praktisch!

HOLGER: Wir lassen uns, was die Musik angeht, sehr gerne treiben. Wenn nun jemand kommt und meint: ‚Mensch Kinder, so müsst ihr weitermachen‘, weil es gerade so schön melodisch war, kann es leicht passieren, dass wir kurze Zeit später das Gefühl haben, mal wieder furchtbar aufräumen zu müssen. Dann würden wir das auch tun. Kürzlich beendeten wir die neue LP, doch unsere Auftritte seit dieser Zeit entwickelten sich musikalisch völlig anders. Wir haben da ganz schön losgelegt . .. Wir meinten eben, dass es jetzt so sein müsste und handelten danach – rein vom Gefühl her!

ME: Bei Damo scheint auch eine starke Veränderung vorgegangen zu sein. Wahrend seine Stimme früher meist als Instrument eingesetzt wurde, singt er auf ‚Future Days‘ in z.T. ganz konventionellen Formen.

IRMIN: Obwohl ich unheimlich auf Damo’s Gesang in ‚Future Days‘ stehe, kann ich nicht prinzipiell sagen, dass er mir da besser gefällt als z.B. in ‚Pinch‘ (von Ege Bamyasi), wo er sehr unkommerziell singt. Man kann nicht diese oder jene Art der anderen vorziehen. In ‚Pinch‘ liegt er mit seiner Stimme genauso richtig wie in ‚Future Days‘. Bei Damo ist es gleich wie bei uns allen, denn ich habe auch nie zuvor so viele Melodien gespielt wie eben auf dieser Platte. Man kann soetwas nicht persönlich isolieren. Der Gesang entstand in völlig spontaner Übereinstimmung und er wurde ohne irgendwelche Zwänge melodiöser.

HOLGER: Das kann so weit führen, dass der Zuhörer denkt, die Stücke wären arrangiert. Wie ein Kritiker während der letzten Tournee davon überzeugt war alles was wir ‚live‘ vortrügen, wäre vollständig arrangiert.

IRMIN: Da wir aber ausschliesslich improvisiert hatten, scheint es eines unserer besten Konzerte gewesen zu sein. Ein grösseres Lob hat uns nie zuvor ein Kritiker gezollt…

HOLGER: Obwohl er es uns damit heimzahlen wollte!

IRMIN: Die Übereinstimmung untereinander muss in diesem Konzert optimal gewesen sein. Das Ziel einer Improvisation ist ja die bestmögliche Übereinstimmung zu erreichen. Viele Leute stellen sich unter Improvisation ein völliges Durcheinander vor – eine subjektive Vereinzelung! Jeder spielt für sich und das was sie zusammenhält, meinen sie, wäre etwas Abstraktes wie z.B. eine festgelegte Harmoniefolge. Bei uns ist das genau umgekehrt! Es gibt überhaupt nichts Abstraktes, vorher Vereinbartes. Wir arbeiten ohnehin mehr mit den Ohren als mit den Fingern. Dazu kommt, was uns von allen Gruppen unterscheidet, dass jeder von uns während des Spiels versucht, Formen zu entwickeln. Das heisst, dass wir nicht nur den Moment improvisieren, sondern darüber hinaus eine Grossform aufzubauen und diese wiederum in mehrere kleinere Formen zu unterteilen versuchen. Jeder von uns spielt im Bewusstsein, was vorher passierte und was passieren soll. Mit dem Gedanken also, dass das was er spielt, mit dem was noch kommt, eine Form bildet. Man improvisiert nicht nur in die Zukunft, sondern mit dem ganzen Komplex, was dann zu einer Art Allgegenwart von Zukunft, Vergangenheit und dem jeweiligen Moment führt. Auch auf die Gefahr hin, dass man mich jetzt für arrogant halten mag, behaupte ich, dass es keine Gruppe gibt, die das praktiziert.

HOLGER: Die meisten Bands, die ich kenne und die sich überhaupt auf’s Improvisieren einlassen, spielen entlang einer Schiene. Man hört genau, wohin es geht und ein roter Faden ist ständig gegenwärtig. Dann, an irgendeiner Stelle erreichen sie einen Punkt, an dem sie die Chance hätten, alles zu zerstören und total neue Dinge zu entwickeln. Aber genau an diesem nervenaufreibenden Punkt – an dem sich alles entscheidet – beginnen fast alle Gruppen – wieder mit dem Thema!! Damit ist die ganze Sache auch schon wieder weg. Hier jedoch weiterzuspielen, dass unterscheidet uns von fast allen anderen Formationen.

IRMIN : Dass ist der Punkt, wonach wir entweder totale Scheisse bauen oder aber etwas völlig Unerwartetes und Grosses geschieht – was andere eben nicht haben! Natürlich ist das der schwerste, aufreibendste und kritischste Punkt in unseren Stücken – eben das Voretwas-völlig-Neuem-stehen und trotzdem den Mut aufzubringen weiterzuspielen. Gelingt uns kein Zusammenstehen in diesen Momenten, folgt der grosse ‚Durchhänger‘ und es klingt unheimlich scheisse. Das passiert uns ‚live‘ oft genug, doch dieses Risiko nehmen wir gerne auf uns! Das Tollste an der ganzen Sache ist aber, dass ein immer grösser werdender Teil unseres Publikums diese Punkte mitvollzieht und miterlebt. Sie zittern mit uns und je nach Gelingen atmen sie auf oder werden richtiggehend traurig und enttäuscht. Ich habe den Eindruck, dass je jünger das Publikum wird, es immer besser begreift, was hier geschieht und das finde ich unglaublich gut!!!