Carter Usm


Spinnen die Engländer? Da tummeln sich über 5000 glücklich betrunkene Jugendliche in einer seit Wochen ausverkauften Brixton Academy. Im rot-weiß-blauen Einheitslook präsentieren sie alle stolz das Cover der aktuellen Carter-LP auf der schmalen Teenager-Brust, und das sicher nicht erst seit die britische Trend-Bibel „The Face“ dieses T-Shirt zum heißbegehrtesten Merchandising-Artikel der Insel erkoren hat.

Ein seltsames Schauspiel kündigt sich an: Die Lichter gehen aus, ein wogend weißer Fleischberg stürmt die Bühne und läßt inbrünstige Schimpfkanonaden auf das verzückte Publikum los. Die Inszenierung klappt perfekt: „Vom fat bastard!“ antworten die Massen im Stakkatorhythmus mit erhobenen Fäusten. Und nahtlos geht der Zuschauerchor in die üppigen Orchestersamples über, die lautstark aus den Boxen dröhnen. Würde nun dort vorne im Nebelschwaden eine zehnköpfige Truppe erscheinen: Kein Außenstehender würde sich nach diesem Auftakt wundern. Doch Carter USM sind Jim Bob und Fruitbat — zwei blaße Gestalten, die sich im schlicht weißen Scheinwerferlicht auf ihren Gitarren die Seele aus dem Leib schrammein. Unsichtbare Maschinen liefern den bombastischen Klangteppich, auf dem sie ihre anarchistische Version verpönter Popmusik liefern.

Das Sensationelle an diesem Auftritt: Das Club-erprobte Konzept des stürmischen Duos funktioniert auch im großen Stil. Carter USM zelebrieren Pop mit allem was dazugehört: Anarchie, Aggression, Kitsch, Schweiß und Tränen. Getobt wird dabei bis in die letzten Reihen, fünf Zugaben sind der Mindestlohn für die einhellige Begeisterung über ein Musikkonzept, das die Welt so noch nicht gesehen hat. Nach zwei Stunden Ekstase mit dem vollzähligen Publikum als Background-Chor weiß jeder, der benommen auf die dunklen Straßen des Londoner Südens taumelt: So macht die Zukunft Spaß.