Cliff Richard – Zurück zu den Wurzeln


Klar, auch England hatte seine Rock n Roller der ersten Stunde. Im wesentlichen waren’s zwei: Tommy Steele und natürlich Cliff Richard – beide in Aussehen und Auftreten dem Bilde Elvis Presleys nachgeformt. Tommy Steele verschwand schnell in der Welt der Musicals und Kabarett-Shows, doch Cliff Richard blieb. Er hatte genau verstanden, wo’s im Rock’n’Roll langging, und seine Singles „Move It“, „High Class Baby“, „Dynamite“ oder später „Nine Times Out Of Ten“ bewiesen das zur Genüge. Seine eigene Band brachte er auch gleich mit, The Shadows, und in den Jahren 1958 bis 1965 belegte dieses Team an die zwanzig Mal die ersten Plätze der englischen Hitparaden.

Cliff Richard sah hübsch aus. Hübsch und jungenhaft, und das prädestinierte ihn geradzu zu einem Showstar, der nicht nur den Rock’n’Roll-verrückten Kids, sondern sogar der ganzen lieben Familie gefallen konnte, die Oma eingeschlossen. Schon seine fünfte Single „Livin‘ Doll“ aus dem Film „Serious Charge“ war daher nach einem neuen Muster gestrickt: sanft und melodiös, ohne die scharfen Kanten seiner früheren Platten. „Travelin‘ Light“, „Fall In Love With You“, „A Voice In The Wilderness“ folgten, dazu alberne Musikfilme wie „The Young Ones“ oder „Summer Holiday“: der Biß war ‚raus, die blauen Wildlederschuhe lagen in der Ecke. Cliff Richard war zum verträumten Popballadensänger umgemodelt worden, der nur noch auf den B-Seiten seiner Singles und in vereinzelten LP-Tracks den Rock’n’Roller heraushängen ließ.

Man weiß, Elvis war ebenso vermarktet worden, und man weiß auch, daß erst die Beatles kommen mußten, um wieder echten ekstatischen Rock’n’Roll auf die Plattenteller zu bringen. An Cliff ging die Renaissance der Rockmusik wirkungslos vorüber. Er besang weiterhin nichtssagende Singles, die allerdings immer noch mehr oder weniger mühelos die englische und diverse kontinentale Top Twenties erreichten, selbst wenn es sich um so seichte Belanglosigkeiten wie „Congratulations“ oder „Goodbye Sam Hello Samantha“ handelte, und er spielte eine uninteressante LP nach der anderen ein. Cliff Richard zehrte vom Ruhm der frühen Tage, und die Rock-Welt nahm von ihm kaum Notiz.

Dann kam 1976. Ein neuer Cliff Richard mußte her. Einer, dessen Musik selbst denen gefallen sollte, die zu Cliffs Glanzzeiten noch in die Windeln machten. Mit Bruce Welch, dem Rhythmusgitarristen der Shadows, hörte er sich stapelweise Demobänder junger englischer Songschreiber an und nahm dann alle jene Titel auf, bei denen die beiden „ein wohliges Gänsehautgefühl überlief“ (Originalton Cliff Richard). Das Ergebnis, die von Bruce Welch produzierte LP „I m Nearly Famous“, wurde selbst in sogenannten Insiderkreisen so populär, daß sich renommierte Rockstars wie Eric Clapton und Jimmy Page nicht schämten, mit „I’m Nearly Famous“-Stickern herumzulaufen. Elton John war derart begeistert, daß er die Platte auf seinem Rocket-Label in den USA herausbrachte, wo dann die ausgekoppelte Single „Devil Woman“ Cliffs erster und bisher einziger US-Erfolg wurde.

Cliff Richard hatte zum Rock zurückgefunden. Gemäßigt zwar und nicht so frenetisch wie etwa „Move It“, enthielten Songs wie „Junior Cowboy“, „Devil Woman“, „I’m Nearly Famous“ oder „You’ve Got To Give Me All Your Loving“ mehr Rock’n‘ Roll als seine sämtlichen Produktionen der letzten zehn Jahre.

Dieses Prinzip setzt sich auf Cliffs jüngster LP „Every Face Teils A Story“ in unverminderter Qualität fort. Wieder von Bruce Welch produziert, rockt Cliff Richard mit aller Kraft seiner inzwischen 37 (!) Jahre mit „My Kinda Life“, „It’tl Be Me Babe“ und „Give Me Love Your Way“ und umschmeichelt zarter besaitete Hörer mit effektvoll arrangierten Balladen wie „Try A Smile“ und „WhenTwo Worlds Drift Apart“.

Wiederbelebte Popularität fordert Live-Auftritte, und so konnte man den „neuen“ Cliff Richard im September nach etlichen Jahren wieder einmal in Deutschland erleben. Als alter und neuer Fan (mehr alt als neu) wurde ich von Cliffs Show zwar nicht vom Hocker gerissen, aber auch nicht abgrundtief enttäuscht. Etwas antiquiert schien es mir schon, wenn der ewige Sonny boy hin und wieder in den großen Ausfallschritt sprang oder geschmeidig im Rhythmus zuckend das Publikum zum Mitklatschen animierte.

Mit Smoking, Fliege und Rüschenhemd ins Popkonzert

Überhaupt, das Publikum. Selten sah ich bei einem Rock-Coder sagen wir besser: Pop-) Konzert derart elegante Abendgarderobe. Weiße und rote Smokingjacketts, Rüschenhemden und Fliegen, langwallende Roben. Na ja, was tut das schon zur Sache, solange die Musik okay ist. Überwiegend präsentierte Cliff natürlich das Repertoire seiner beiden jüngsten LPs. Auch in der Live-Interpretation verlor kein Song an Qualität. Zwischendurch das obligate Medley aus Oldies: „Living Doll“, „On The Beach“, .Travelin‘ Light“ (letzteres von Cliff solo zur akustischen Gitarre gesungen, für mich Höhepunkt des Abends – Sentimentalität, nehme ich an).

Nicht zu vergessen eine Reihe exzellent rockender Gospelsongs, darunter das für Cliff sicher programmatische „Why Should The Devil Have All The Good Music“, wird seine für Januar angekündigte, von ihm selbst produzierte Gospel-LP „Small Corner“ ein absolutes Muß.

Zum Schluß, mit „Move It“ machte Cliffs Band (zwei Drummer, zwei Gitarristen, Baß und Keyboard) noch einmal kräftig Dampf und holte das Publikum aus den Sesseln – was mich endgültig davon überzeugte, daß es überhaupt keinen Grund gibt, die Nase zu rümpfen, wenn irgendwo der Name Cliff Richard fällt.