Clowns und Helden


In Sachen Rock! war im Jahr 2001 nicht viel geboten: Während sich Europa hinter zarten Tönen versteckte, klauten sich geklonte US-Bands gegenseitig die letzten Ideen. Farbe ins Spiel brachten Zirkus-Acts wie Slipknot. Und Retro-Rocker wie die Strokes witterten ihre Chance, zu Helden zu werden.

George W. Bush lenkt „God’s own Country , ein Ex-Grüner und RAF-Anwalt wird zum Bundes-Beckstein, und Rudi lässt nur noch mit einer Spitze spielen: keine Frage, Konservatismus war 2001 tres chic wie lange nicht mehr. Nur nicht zu weit aus der Deckung wagen,die Luft ist bleihaltig in diesen globalisierten Tagen. Und das nicht erst seit dem 11. September. Angst hat sich breit gemacht, und Sicherheit geht vor.

Was uns (zugegeben: auf Umwegen) zu Bands wie Nickelback bringt. Die US-Rockbranche hat das Spießertum schon eine Weile verinnerlicht: Zu viel Innovation erschreckt die Menschen und schadet dem Umsatz. Zwölf Songs – Rocker, Ballade, Mid-Tempo-Schunkler – und ab dafür. ‚N büschen Grunge, ein bisschen Hard-Rock, ’ne Prise Pop. Lange Haare, ja, aber gepflegt müssen sie sein. Durchgestyltes, gepflegtes Anderssein, ganz wie in den 80er Jahren. Der Bombenleger-Look der 90er ist out. Die Band Creed als Musterbeispiel: Warum nicht mal im Seidenhemd rocken? Warum nicht mal über Gott sprechen? Warum nicht mal im Pathos baden? Und wenn man gut aussieht-warum das nicht auch zeigen? Gerne auch in Superzeitlupe. Und wenns die Tochter nicht mag, dann eben die Mama. Nummer sicher halt.

Auch ein (Erfolgs-)Bringer: Bikini-Bräute. Langbeinig, sexy, begehrenswert – kurz: alles das, was Crazy Town nicht sind. Und wer es schafft, im Video konsequent an Shifty Shellshock und seinen grenzdebilen Kollegen vorbeizuluschern und sich ganz auf die weiblichen Rundungen zu konzentrieren, ist nach 20 Durchgängen reif für den Kauf der „Butterfly“-Single. Gehirnwäsche wirkt – auch das ist sicher.

Aus Sicherheitsgründen dreht sich auch das Karussell der Wiederholungen immer schneller, läuft „Smooth Criminal“ von Alien Ant Farm öfter als Michael Jackson selbst. Und Sum 41 klingen vorsichtshalber wie Blink 182 und Staind wie Alice In Chains.

In Deutschland rührt man – passend zum neuen Wahlkampfmotto „Sicherheit!“ – eh Jahr für Jahr den gleichen Quark an, auf den öden Ackern der Major-Acts zwischen Rammstein und Reamonn gilt schon ein 1:1-Cover von Falcos Skandal-Hymne „Jeanny“- hui, wie brisant! – als künstlerisch gewagt. Nur die notorisch bockigen Engländer kochen weiterhin ihr eigenes Süppchen: Jarvis Cocker macht, was Jarvis Cocker will, was die Plattenfirma dazu sagt, ist erst mal nebensächlich. Ganz zu schweigen von Radiohead, die sich schon lange aus dem Rock-Rennen verabschiedet haben. Mit der Maxime: „Ich verwirkliche mich eben künstlerisch, mir doch egal, was ihr darüber denkt“, ist man – auf eine andere Art – aber ebenfalls auf der sicheren Seite.

Zuviel Kulturpessimismus? Ist doch eigentlich alles halb so schlimm? Die Formatierung der gängigen Musiksparten ist jedenfalls inzwischen perfektioniert. Die Topseller der Branche – mit Ausnahme von Kid Rocks Country-Eskapaden vielleicht agieren so vorhersehbar wie der Wechsel der Jahreszeiten. Slipknot geben mit ihren Horror-Clownereien den Elternschreck, Fred Durst den Rächer der Underdogs. Bei so viel kalkuliertem Sicherheitsdenken dürfte sich der jüngst verblichene Joey Ramone-obwohl selbst nicht unbedingt der Experimentierwütigste – im Grabe umdrehen. Die unbequemen Hoffnungsträger At The Drive-In haben sich im Stile der Smashing Pumpkins lieber gleich ganz aus der Branche verabschiedet, auch Limp-Bizkit-Klampfer Wes Borland kehrte erst mal seiner Band den Rücken. In so einem Jahr taugt eine Band wie The Strokes ¿ durchaus zum schicken Underground-Highlight. Mit den besten Wünschen für 2002: Lang möge er leben, der Rock.