Crossover mit nassen Füßen


Dass der Begriff „Crossover“ Eingang in das Pop-Alltagsvokabular fand, ist besonders den Hip-Hoppern Run-DMC zu verdanken, die im Juli 1986 die damals ziemlich abgehalfterten Altrocker Aerosmith ins Studio holten, um eine gemeinsame Version von deren Evergreen „Walk This Way“ aufzunehmen und damit ein neues Genre in die Welt setzten. Ob sich der schwedische Fotograf Jonas Karlsson davon inspirieren ließ, als er 2005 Joe Simmons (alias Run) und Darryl McDaniels (alias MC D.) in ein Amphibienauto setzte und in den Hudson fahren ließ? Karlsson brockte sich mit seiner Idee einiges ein: „Wir schoben das Auto ins Wasser, und es begann zu sinken – weil der Stöpsel nicht drin war. Außerdem sind solche Amphibienfahrzeuge eher für kleine Seen gedacht, im Hudson dagegen herrscht ziemlich Seegang.“ Was bei der Session herauskommen würde, konnte Karlsson höchstens ahnen – weil er selbst in einem Boot stand und die Kamera zum Knipsen direkt über die Wasseroberfläche halten musste. MC D. (am Steuer) erinnert sich: „Ich dachte, wir machen am Ufer ein paar Bilder, mit der Freiheitsstatue im Hintergrund. Aber dann mussten wir raus ins tiefe Wasser. Das Auto schaukelte gewaltig, und wir sagteri uns: Hey, das Ding wird kentern!“ Das Bild wurde ein Klassiker – einer von 150, die unter dem Motto „Vanity Fair Portraits: Photographs 1913-2008“ noch bis 26. Mai in der Londoner National Portrait Gallery zu sehen sind.

Die Welt steckt voller Chancen. Wer diesen Sommer (und möglicherweise in der weiteren Zukunft) noch nicht groß was vor hat, könnte es zum Beispiel mal bei den Guillemots versuchen: Deren Saxofonist Alex J Ward ist ausgestiegen, nun sucht die Band für die Zeit nach dem zweiten Album Red (24. März) eine Sängerin, die möglichst auch ein Instrument spielt (Mailadresse: mail@lunchtm.co.uk). Nicht als Bewerbung gewertet wurde eine SMS, die Paul McCartney unlängst an Bandgründer Fyfe Dangerfield schickte: Er liebe die Musik der Guillemots. Dass Snoop Dogg – der nebenberuflich mit David Beckham einen gemeinsamen Pornofilm plant, in dem beide allerdings nicht zu sehen sein sollen – neuerdings „Rockscheiße“ liebt und vom HipHop die Schnauze voll hat, berichteten wir bereits im letzten Heft. Beim Jahreskonzert der von den Black Eyed Peas gegründeten „Peapod Foundation“ im Februar setzte er die neue Vorliebe in die Tat um, jammte mit Velvet-Revolver-Gitarrist Slash und ließ sich mit stehenden Ovationen feiern. Nicht weniger spektakulär war das Duett der Klaxons mit Rihanna bei den Brit-Awards: eine „Mash-up“-Version von „Golden Skans“ und „Umbrella“, die der Sängerin so gefiel, dass sie eventuell als Single erscheint. Rihanna selbst wiederum gefiel Klaxons-Bassist Jamie Reynolds so gut, dass er nach Verzehr etlicher Freigetränke verkündete, er werde sie heiraten. Wie viele Gläser ein oben bereits erwähnter Ex-Beatle intus hatte, als er beschloss, eine der zwei Meter großen Brit-Award-Statuen zu mopsen, ist nicht bekannt. „Pau! schnappte sich das Ding einfach und haute ab“, berichtet ein Augenzeuge, „und er schien sich diebisch zu freuen.“ Kurios und interessant klingt die Kombination großer Namen, die am zweiten Album der Londoner Indiepopband The Shortwave Set beteiligt sind:John Cale (Velvet Underground) und Van Dyke Parks (Brian Wilsons Kongenius bei smile) spielen mit, Danger Mouse (Gnarls Barkley, s. u.) hat replica sun machine produziert (VÖ: 28. April). Diese Zusammenarbeit hingegen ist, abgesehen vom Namen, nicht neu: Wie Alex Turner (Arctic Monkeys bzw. Last Shadow Puppets; siehe S. 22) zieht es auch Green Day zurück in die ferne Vergangenheit. Unter dem Namen Foxboro Hot Tubs hat das Trio eine Sixties-Garagenrockplatte aufgenommen, die nach etlichen kostenlosen Downloads im Frühjahr als CD erscheinen soll. Allerdings gab es bei Redaktionsschluss noch keine „offizielle“ Bestätigung für die Identität der Band. Anders bei den R a co nteu rs: Das ist bekanntermaßen die Zweitband von Jack White (White Stripes), die gerade im Blackbird-Srudio in Nashville ihr zweites Album fertigstellt. Erscheinen wird es „so bald wie möglich“. Auch Keane arbeiten, aber nicht nur: Während in Paris mit Produzent Jon Brion (Kanye West, Rufus Wainwright) das dritte Album entsteht, blieb genug Zeit, um (laut Songwriter Tim Rice-Oxley) mit den Puppini Si ste rs „viele Mojitos zu kippen und Blödsinn zu plappern“. Vielleicht sollte jemand Sänger Tom Chaplin daran erinnern, dass sein letzter Besuch in der Entzugsklinik erst knapp eineinhalb Jahre her ist. Beim Plaudern blieb es für B I u r, die unlängst – so war’s geplant – endlich wieder mit Gitarrist Graham Coxon was aufnehmen wollten. Der Studiotermin verstrich ungenutzt: „Wir haben uns zum Essen getroffen, und es war großartig“, erzählte Coxon hinterher, „aber vom Aufriahmen hat dann keiner mehr groß was erwähnt.“ Womit die Reunion weiterhin nicht ausgeschlossen, aber erneut in die Ungewisse Zukunft verschoben wäre, ebenso wie eine eventuelle Wiedervereinigung von Pavement, die deren ehemaliger Boss Stephen Malkmus „nicht ausschließen“ möchte, für die er aber „momentan keine Zeit“ habe.

Unbestimmt, aber gewiss ist die Zukunft der Vines: Deren viertes Album ist seit Mitte Februar fertig, hat aber noch keinen Titel und kein VÖ-Datum. Das gilt ebenso für Sonic Youth (wollen im April mit dem Songwriting anfangen; VÖ Anfang 2009), ähnlich für The Holloways (circa Juni), aber nicht für Cnarls Barkley (the odd couple, 15. April und diesmal mit „mehr echten Musikern“). Getrennt arbeiten derweil The Who an einer neuen Platte: Roger Daltrey sitzt mit dem Produzenten T-Bone Burnett zusammen, während Pete Townshend hofft, „mir fallen noch ein paar Songs für ein eher konventionelles Who-Album ein“. 1 Wenig konventionell ist der Studiogast, den sich Lily Allen für ihre Fernsehsendung „Lily Allen & Friends“ wünscht: Sie bat die Produzenten bei BBC3, bei Queen Elizabeth II. anzufragen, ob sie nicht mal Lust habe, ins Studio zu kommen und em bisschen über Princess Diana zu reden. Eine Antwort steht noch aus. Nach der ersten Folge der Talkshow übrigens hatten Zeitungen berichtet, Teile des Publikums hätten die Aufzeichnung bereits vor dem Ende verlassen, seien „vor Langeweile geflüchtet“. Die Moderatorin wehrte sich umgehend: „Wir haben ein bisschen überzogen, und deshalb mussten ein paar Leute früher gehen, um den letzten Zug noch zu kriegen.“

Nein, über Britney Spears und das sie umgebende Skandalbrimborium wollen wir auf dieser Seite keine Zeile verlieren (oder nur diese zwei), aber das Paparazzitheater könnte eine auch für andere erfreuliche Folge haben: Im Rathaus von Los Angeles wird ein Gesetz debattiert, wonach sämtliche Einnahmen aus illegal geschossenen Fotos konfisziert werden sollen, damit sich die Jagd nicht mehr lohnt. Wäre ein schöner Nebenverdienst für die öffentlichen Kassen: Die Umsätze der „Britney-Industrie“ werden auf 120 Millionen Dollar pro Jahr geschätzt. Für ein Haus gereicht hat der Nebenverdienst, der Zutons-Frontmann Dave McCabe aufs Konto floss, nachdem Mark Ronson & Amy Winehouse sein „Valerie“ coverten. Peter Doherty hat schon ein (gemietetes) Haus, in Wiltshire. Dorthin lud er neulich den US-Computerspiel-Millionär Greg Thomas und Frau Cynthia, die ihm für ein Privatkonzert „ein Taschengeld“ (Doherty) von 15.000 Pfund bezahlten. Zwar kam Doherty sieben Stunden zu spät, dann war’s aber „wirklich toll. Ich hab viele neue Sachen ausprobiert, und die beiden waren echt nett.“ Und blieben gleich zum Frühstück. Weniger nahm Pete für ei^W^ nen weiteren Privatgig: Als ihm ein Konzertbesucher erzählte, seine *~* Tochter sei glühender Babyshambles-Fan und er zahle ihm 100 Pfund, wenn er auf ihrer Geburtstagsparty spiele, sagte er sofort zu, begeisterte die Kinderschar und bekam seither gut 500 ähnliche Anfragen … Am 9. Februar starb Scot Halpin (54), der in die Popgeschichte einging, indem er 1973 bei einem Who-Gig in San Francisco für den an seinen Trommeln kollabierten Keith Moon einsprang, wofür ihn der Rolling Stone zum „Sessionmusiker des Jahres“ ernannte. Einen Tag nach Halpin starb John’s-Children-Trommler Chris Townson (60), der als einziger Mensch Keith Moon zu dessen Lebzeiten eine ganze Tournee lang ersetzte. Ebenfalls nicht mehr unter uns: Drew Glackin (Silos-Bassist, 44, Herzversagen), Freddie „Cavalli“ van Kampen (Herman-Brood-Bassist, 52, Krebs), Ben McMillan (Gruntruck-Sänger, 46, Diabetes), Jeff Sälen (Tuff-Darts-Gitarrist, 55, Herzinfarkt), Sepp Stark (ZSD-Drummer, 47, Herzversagen).

Das Letzte aus der Redaktion Mauerfall beim ME Seit Jahr und Tag trennt eine Wand aus Rigips und Glaswolle die Redaktions-(be)reiche von Alleinherrscher Lindemann und der Schicksalsgemeinschaft Koch/ Winkler. Bis zur Umbruchskalenderwoche 9 leistete dieses stumme Rechteck saubere Arbeit. Wie der stets für Ruhe und Ordnung sorgende Kollege, den es nie gab, ging es vor allem in Zeiten des Redaktionsschlusses besänftigend, aber entschieden dazwischen; trennte Parteien, die getrennt werden mussten und schluckte Worte, die geschluckt werden mussten. Der in jeglichem Sozialkontext so überlebenswichtige Fels in der Brandung, der Ruhepol. Nun heißt es Abschied nehmen. Ruhe wohl, Ruhepol! Eifrige Handwerkerhände entreißen uns in diesen schweren Stunden das (zumindest geografisch aus irgendeinem Winkel und mitviel Fantasie als solches vorstellbare) Herzstück der Redaktion. Aus betrieblichen Gründen, heißt es. Architektonische Optimierungsmaßnahmen oder so. Für ein dynamisches „Wir-Cefühl“ oder so. Was es in ohnehin mit Hysterie liebäugelnden Zeiten der Endproduktion tatsächlich bedeutet, eine so wichtige und haltspendende Konstante zu verlieren, ist mit Worten nicht zu beschreiben. Nichtsdestotrotz wird dies momentan nur allzu häufig versucht, was meistin unappetitlichen Perversionen guturaler Urlaute mündet. Hast du ein Glück, dass du das nicht mehr miterleben musst. Viel Erfolg auf deinem weiteren Weg! Für uns bleibst du auf ewig the one and only, The W.A.N.D.