Das letzte Aufgebot


Der Asche des Weilheimer „"Uphon"-Studios entsteigt das strahlende zweite Album von Polarkreis 18.

Ein verregneter Sonntagvormittag in einem südbayerischen Provinzstädtchen. Zu den zu bestaunenden Skurrilitäten zählt ein Graffito, das Jesus Christus zeigt und ein „Kacktiere“ feilbietender Kaugummiautomat. This is it: das Weilheim, das uns Bands wie The Notwist, Console und Lali Puna gab. Nun schenkt es uns das zweite Album der Dresdner Postrocker Polarkreis 18. Mit dem Taxi geht es vom Weilheimer Bahnhof nach Wilzhofen, der Suburbia Weilheims, zum „Uphon“-Tonstudio von Produzentenlegende Mario Tahler. „De wo do grod aufnehman, de san olle aus’m Osten, oder?“, vergewissert sich der an bayernferner Exotik interessierte Chauffeur.

Nach fünf Kilometern biegt er in den Hinterhof des örtlichen Agrarbedarfkaufhauses BayWa, und tatsächlich, da ist sie: die Geburtsstätte des Sounds of Weilheim. Ein über beide bebartete Backen grinsender Mario Thaler heißt einen willkommen – und bereits die Eisbrecher-Frage floppt grandios. Ob er denn wisse, weshalb die englischsprachige Wikipedia behaupte, Thaler sei „der Sohn Satans“. Als Beweis hierfür diene die „in seinem Schädel eingravierte Zahlenfolge ,666′“, steht da. Alle lachen, nur Mario Thaler nicht. Mit dem Teufel möchte er nichts zu tun haben. Schnell ist der Autor der scherzhaft gemeinten Zeilen ausfindig gemacht und die Wiki-Seite bereinigt. Sein christlicher Glaube ist Thaler mindestens so wichtig wie die Musik, die er entstehen lässt. Seine Maxime lautet, „die Band das Album machen zu lassen, das sie machen will“. Eine Handschrift zu haben, streitet er ab. Natürlich lässt sich sein Input auf die Musik aber nicht leugnen. Sie zeigt sich in Hinweisen wie „Das geht für mich zeitreisenmäßig überhaupt nicht“ und“Mif dieser Melodie wird’s mir zu Dur-ig“. Empfehlungen wie „Da sollte schon noch so’n Gewitter rein oder zumindest ein Blitz“ wird entgegnet: „Da sind doch schon genug Bauernummern drauf!“

Die monatelange Produktion des zweiten Albums von Polarkreis 18 befindet sich im Endstadium. Schlagzeuger Christian Grochau packt das Verhältnis zur Platte in ein Bild: „Wenn du dir die Platte als Kind vorstellst, das zum Zeitpunkt der Veröffentlichung 18 Jahre alt sein wird …“-„… dann ist sie jetzt gerade in der Pubertät und sträubt sich noch etwas“, ergänzt Bassist Uwe Pasora, und Grochau fügt hinzu: „Und es kann daher noch hier und da so’n paar zarte Schläge auf den Hinterkopf vertragen.“ Sorgen über eine eventuelle Fehlerziehung machen sich die fünf Anfangzwanziger aber nicht. Auf die simple Frage, wie die Platte denn so werde, entgegnen sie unisono: „Großartig!“ Sänger Felix Räuber präzisiert: „Mittlerweile können wir die Songs besser auf den Punkt bringen. Von vielen wird das wohl als Pop wahrgenommen werden -für uns ist das aber eine Entwicklung zur klareren Definition des Songs.“

Kanalisierung ohne Reduzierung. Die ersten Hörproben sind bombastisch. Das Babelsberger Filmorchester und Sven Heibig von den Dresdner Sinfonikern, der einigen Liedern pompöse Arrangements angedeihen ließ, haben ganze Arbeit geleistet. Die Leadsingle, das mächtig eingängige „Allein, Allein“ wird der Titelsong zu Marco Kreuzpaintners Verfilmung von Otfried Preußlers Jugendbuch-Klassiker „Krabat“ (Kinostart: 16.10.). Ein sicherer Hit zu einem sicheren Blockbuster?

Besonders Mario Thaler wäre es als Abschiedsgeschenk zu wünschen. Nach 33 Jahren verlässt er den Ort, der für ihn immer Grund genug war, die Lockrufe der Großstädte zu ignorieren. Die Polarkreis-18-Produktion wird die letzte in den ehrwürdigen Studios sein, in denen Thaler seit 1998 unter anderem The Notwists neon golden und Sluts lookbook zu voller sonischer Größe verhalf. Der Mietvertrag läuft aus, Thaler schleppt in diesen Tagen seine Siebensachen ins 20 Kilometer entfernte Murnau, wo er dabei ist, sich ein deutlich kleineres Studio einzurichten. Die großen Studios sind, wie er sagt, „einfach nicht mehr gewünscht. Ich fühle mich oft wie der letzte Indietrottel, der halt noch nicht gecheckt hat, dass unsere Infrastruktur obsolet ist – jeder produziert seine Platten zu Hause, jeder hört Musik über iPod mit den schlechtesten Kopfhörern der Welt.“ Doch ebendiese Welt braucht Indietrottel wie ihn mehr als je zuvor. Hoffentlich weiß er das.>» www.polarkreis18.de »>www.mariothaier.com