Das wäre aber nicht nötig gewesen…Lou Reed – Metal Machine Music


Kakophonie in Fies-Dur! Oden Viel Lärm um nichts! Oder: Tante Lou zeigt dem Rock'n'Roll den Finger.

Schon das Intro ist unwiderstehlich, dann, beinahe unmerklich, der Übergang, schließlich der Riff, dieser großartige, wie in Stein gemeißelte Riff: daaa-da-da-dadaa, da-da-da-daaa – und wenn der Gesang einsetzt, „standin ‚on the corner/suitcase in my hand“, hält man sich einen Moment lang für unsterblich. Kennen Sie? Lieben Sie? Vergessen Sie’s! Zumindest für die Länge dieser Kolumne. „Rock’n’Roll Animal“, Lou Reeds brachiales wie bravouröses 74er-Live-Album, war ein laues Lüftchen verglichen mit dem Orkan,der im Jahr darauf aus den Boxen pfiff und blies und fauchte. Eigentlich hätte einem Mr. Reeds Aussehen damals schon Warnung genug sein sollen. Seine Motorik erinnerte an etwas, was normalerweise unter Steinen lebt, der ganze Kerl, eben noch völlig verfettet, war abgemagert wie Gevatter Tod, ins blondierte Stoppelhaar halte er – höhöhö – Hakenkreuze eingefärbt. Solch extravagantes Äußeres fand seine akustische Entsprechung in „Metal Machine Music“, „meiner privaten Campbell-Dose“, wie der einstige Warhol-Intimus später zu euphemisieren beliebte: vier jeweils exakt 16:01 Minuten lange LP-Seiten, gefüllt mit ohrenbetäubendem Rückkopplungsgeheul, mit ultrafiesem, völlig unstrukturiertem L-Ä-R-M. Eine Provokation, gewiss, denn niemand, nicht einmal ein durchgeknallter Irrer (der Lou Reed entgegen anderslautenden Gerüchten nie war), hätte diese Monstrosität ernstmeinen können. Der „Rolling Stone“ hört in dem – äh – Opus „a gigantic ‚Fuck you‘ disguised as a groundbreaking experiment“, „Village Voice‘-Kritikerguru Robert Christgau konzedierte immerhin: „not totally unlistenable“ (und irrte gewaltig), der zuständige Labelmanager sprach im Beisein des Künstlers von einer „brutalen Attacke auf die Sinne“, bei anderer Gelegenheit aber formulierte er seine Einschätzung weitaus drastischer: „Jesus Christus, eine verfluchte Foltermusik war das.“ Stimmt.