Das Web für Dreijährige


Das Internet muss noch einfacher werden, fordern die Experten. So einfach, dass unsere Mütter und auch die Sportler es benutzen. Vor allem das Einwählen, die Browser-Bedienung und die Programmierung von Inhalten seien noch zu kompliziert, heißt es. Vor solchem Unsinn muss gewarnt werden! Nicht nur sprechen bereits jetzt alle Anzeichen dafür, dass das Internet der Zukunft ein World Wide Web für Dreijährige sein wird (Beleg: die reduzierte Duplo™ -Optik von Netscape 6, Domain-Names wie wwrw.grundschule-online.de etc. etc), vor allem aber sollte es alarmierend genug sein, dass es immer mehr „Privatpersonen“ gelingt, erschreckend sinn- und inhaltslose Selbstdarstellungen online zu hieven. Ein Beispiel unter vielen: www.begood.de, die Homepage von Bernie aus München. Bernie ist 23 Jahre alt und arbeitet bei einem Studenten-Radiosender der Ludwig-Maximilians-Universität. Bernie will mit uns sprechen. Dringend. Gar liebevoll beschreibt er sieben verschiedene Möglichkeiten, mit ihm in Kontakt zu treten. Schlagen alle Versuche fehl, dann sollen wir seine Eltern in Stuttgart anrufen. Vielleicht sollten wir das wirklich tun. Selbsthilfe unterwww.profilneurose.com.

Dabei ist es nur normal, dass wir Freunde haben wollen. Die vielen Stunden vor dem Rechner sind nicht nur ungesund – daraufweist auch Bernie hin -, sie machen uns vor allem einsam. Wir können ohne das Surfen nicht mehr leben, und doch wollen wir Teil einer Jugendbewegung sein. Je älter wir werden, desto dringlicher. Natürlich bietet auch hier das Internetverlockende Möglichkeiten. Und damit meine ich weder das „Bündische Forum“ unter www.ju gendbewegung.de noch die jämmerliche Page der Band, die sich mit solchen Dingen eigentlich auskennen sollte: www.tocotronic.de.

Nein, es sind die Web-Communities.

die sich größter Beliebtheit erfreuen. Doch die richtige Wahl eines virtuellen Freundeskreises gestaltet sich deutlich schwieriger, als man das bei dem großen Angebot annehmen könnte. Bei weitem nicht jede Online-Gemeinschaft ist empfehlenswert, vor manchen so scheint es fast – muss sogar gewarnt werden. So bin ich zum Beispiel seit Wochen Mitglied in Kid Rocks „I-Squad“, dem „Official Online Street Team“. Ein „Team Director“ wartet hier zu jeder Zeit auf mich, um permanent „Instruktionen“ zu geben. Für deren Erfüllung überweist er Punkte auf mein Member-Konto. Punkte wiederum erhöhen die Chance, „Free Stuff‘ zu gewinnen, was ich eigentlich gar nicht will. Ich soll zum Beispiel neue Mitglieder rekrutieren – die Kollegen winken ab -, namenlose Radio-Sender mit „Request“-Mails terrorisieren und möglichst viele Internet-Message-Boards mit http://kid rock.com-Links tapezieren. Ich fühle mich benutzt.

Sympathischer ist die Bjork.Com/unity. Zum einen erinnert die Terminologie deutlich weniger an den Wehrdienst, zum anderen dient die kostenlose Mitgliedschaft ausschließlich der Unterhaltung. Besonders für die interaktiven Aspekte der t Website („Telegraph“) lohnt >, sich die Anmeldung: In den Foren wird tatsächlich diskutiert (wer erinnert sich nicht wehmütig an die goldenen Tage der WWW-lndividual-Kommunikation, bevor man im IRC – dem Internet Relay Chatab Mitte der 90er Jahre nur noch auf zehnjährige Amerikaner stieß?) – über Island, die Welt und auch Björk-Bootlegs. Illegale Konzertmitschnitte werden hier ziemlich rege getauscht – und zwar mit ausdrücklicher Erlaubnis des Webmasters, der an anderer Stelle gar dazu animiert. Ist es da Zufall, dass die Logistik dieser hervorragenden Site nicht gerade einfach zu durchschauen ist?