Deep Purple: Scharmützel auf Schloß Blackmore


Erst wurde Ian Gillan gemeuchelt, dann sollte angeblich auch Nachfolger Joe Lynn Turner über die Klinge springen. Was sich tatsächlich in den dunklen Gemäuern der Purple-Festung abspielt, weiß jedoch niemand. Es sei denn, Graf Ritchie selbst bricht das Schweigen. ME/Sounds-Mitarbeiterin Gitti Gülden sprach mit ihm.

„Ich glaube es erst, wenn ich es sehe.“ Die Dame von der Plattenfirma läßt sich erschöpft in ihren Sessel fallen. Dreimal wurde der Interviewtermin verschoben, immer mit dem Hinweis, daß man sich ja auch mit Roger Glover unterhalten könne. Und auch beim endgültigen Versuch läßt er uns noch eine Stunde lang warten. Doch dann ist es plötzlich so, als verwandele sich die Hotelbar in einen königlichen Thronsaal: Richard Harald Blackmore, in einem hohen Ledersessel thronend, bittet tatsächlich zur Audienz.

Auf deutsch bestellt er Getränke, schließlich hat er lange in Hamburg und München gelebt und gearbeitet, war zweimal mit Hamburgerinnen verheiratet, hat einen inzwischen 26jährigen Sohn hier, Musiker wie der Papa und „ein sehr begabter Songschreiber.“

Der rechte Zeigefinger seiner hoch versicherten Hände ist verbunden. „Der Alptraum eines Gitarristen. Ich verletze mich oft an den Fingern.“ Der mittlerweile 45jährige sieht ungeheuer fit und jugendlich aus, dank neuer Haarfülle, ausgiebiger Spaziergänge und regelmäßigem Fußballtraining. „Ich hatte vor ein paar Jahren eine Bandscheibenoperation, und die Ärzte empfahlen Spaziergänge. Seitdem genieße ich das, man kann hervorragend dabei nachdenken. Joggen ist öde, aber hinter einem Ball kann ich jederzeit herrennen.“

Anläßlich der Weltpremiere des neuen Purple-Albums SLAVES AND MASTERS reisten Plattenbosse und Journalisten aus aller Welt gen Hamburg, und Hamburg wurde auch nur gewählt, weil Ritchie Blackmore sich hier wohl fühlt. „Sonst wäre ich nirgendwo hingefahren, egal ob Hawaii oder sonstwo.“ Eine Woche lang hausen Band, Management, Freundinnen und Frauen in noblen Hotelsuiten. Natürlich gibt es ein Fußballspiel zwischen „Sklaven“ und „Herrschern“, wobei die Sklaven von Journalisten dargestellt werden, während als Herrscher Blackmore samt Plattenfirmenvertreter spielen. Die Masters gewinnen 2:1.

Der LP-Titel scheint noch andere Assoziationen auszulösen. Ritchie erklärt: „Er bedeutet garantiert nicht, was du denkst. Das hat weder was mit Sex zu tun, noch bin ich der Meister und der Rest meine Sklaven. Es geht um ein Verstärkersystem im Studio: Master sind die großen Tonbänder, die im Studio benutzt werden; Slaves sind die Endstufen, die dem Studio-Equipment den Saft geben. Aber meinetwegen kann sich jeder seinen Reim drauf machen. Leben heißt ja für viele, den Dingen eine angebliche Bedeutung beizumessen.“

1969 hatte sich das legendäre Quintett m der Besetzung „Deep Purple Mark II“ zusammengefunden, in der sie sich im Mai 1984 unter großem Presse-Tamtam auch wieder vereinten, also Ian Gillan, Ian Paice, Roger Glover und Ritchie Blackmore. Nach drei LPs wurde Gillan vor zwei Jahren gefeuert. Neuer Sänger ist der Amerikaner Joe Lynn Turner, 1980 bereits schon mal bei Blackmores Rainbow Sänger. Joe ist ein ausgesprochen melodiöser Sänger, und das hilft beim Schreiben der Musik. Ich schreibe die Musik immer zuerst, dann kommen die Texte, entweder von Roger oder jetzt auch von Joe. Mit Ian war es mühseliger: ,Laß uns ein paar Riffs versuchen und dann aufs Beste hoffen.‘ Ian wollte immer den gesamten Instrumentalteil fertig gespielt haben. Joe arbeitet mit, bringt jede Menge Ideen. Ich verstehe mich gut mit ihm, außer wenn er auf Tourneen manchmal etwas zu viel trinkt. Joe ist einfühlsam und erkennt Situationen auf den ersten Blick. Ian ist dagegen manchmal sehr aufbrausend. Er hat sich immer weniger direkt am Bandgeschehen beteiligt. Das wurde mir einfach zuviel.“

Nun ist hinreichend bekannt, daß auch Ritchie Blackmore zu vehementen Temperamentsausbrüchen neigt. Seine offen ausgetragenen Streitereien mit Jon Lord Anfang der 70er Jahre waren legendär, und wenn Ritchie ausrastete, mußte die eine oder andere edle Gitarre in spektakulären Zertrümmerungsriten dran glauben. „Ich werde nur dann extrem zornig, wenn etwas nicht so klingt, wie ich es mir vorgestellt habe. Ich hasse Schlampereien. Ich will nur das Beste, was ich liefern kann. Vielleicht will ich auch nur immer gut sein, weil ich im Grunde unsicher bin. Wenn mir jemand sagt, ich sei gut gewesen, dann war ich wahrscheinlich ganz normal. Damit niemand meine Unsicherheit merkt, spiele ich halt den bösen Buben. Die meisten Leute meinen, ich sei schwierig oder gelangweilt. Dabei bin ich nur ernst und introvertiert. “ Sein erklärtes Faible für Deutschland, speziell den Norden, erklärt Ritchie mit seiner Bewunderung für Disziplin. „Wenn ich z.B. einen Fußballer sehe wie Franz Beckenbauer – er ist mein absoluter Held. Er hat dem Fußball Rhythmus gegeben. Er muß mit einer ungeheuren Disziplin früher mindestens acht Stunden pro Tag geübt haben.“

Blackmore spielt seit seinem elften Lebensjahr Gitarre. Er besann mit der klassischen Ausbildüng, übte immer mit allen Fingern. „Heute spielen die meisten nur mit drei oder vier Fingern. Es ist wichtig, daß man von Anfang an die richtige Technik lernt. Fehler kann man später nie mehr ausmerzen. Heute übe ich immer noch Tonleitern, aber am liebsten spiele ich einfach herum, vor allem klassische Melodien aus dem Mittelalter. Ich würde auch gern im Mittelalter leben, aber nicht als König, eher als Barde des Königs, möglichst auf einem deutschen Schloß. „

Zeitgenössische Musik gefällt Blackmore nur, wenn es den Musikern wirklich um Musik geht. „Den meisten Bands geht es heute nur um die Darstellung ihres Egos. Es geht ihnen um Lederklamotten, Frisuren und Coolsein, und sie spielen nur nach, was sich gerade gut verkauft. Das argen mich heute am Rock ’n‘ Roll: Es gibt keine Ehrlichkeit.“

Blackmore redet mit ruhiger Stimme, antwortet ernst und konzentriert, so als ob er nichts lieber täte als Interviews zu geben, dabei weiß doch ein jeder…

„Ich weiß, was du sagen willst, aber ich finde es wirklich furchtbar, über mich selbst zu reden, mir selbst auf die Schulter zu klopfen. Das ist öde und hat nichts mit Musik zu tun. Über Musik kann man auch schlecht reden, denn die sollte grundsätzlich für sich sprechen. Das Leben ist viel zu kompliziert, um definitive Antworten zu finden.“

Bei meiner ersten Begegnung mit Deep Purple vor sechs Jahren hatte man nicht den Eindruck eines befreundeten Quintetts, eher den einer funktionierenden Arbeitsgemeinschaft. Wie gut kennt man sich nach über 20 Jahren Musikerleben?

„Keine Ahnung. Ich glaube, ich kenne Ian Paice ganz gut. Keiner von uns kennt Jon Lord richtig. Die meisten denken, er sei ausgesprochen unterhaltsam, aber das ist nur die Oberfläche. Ich bin mir sicher, daß nicht mal seine Frau eine Ahnung hat, wie er wirklich ist. Roger kenne ich ganz gut. Er liebt Puzzles und Brettspiele. Musikalisch stimmen wir völlig überein, aber privat gehen wir alle getrennte Wege.“