Der 30-jährige Renny Harlin aus Helsinki ist Hollywoods neues Regie-Wunderkind


Rohe Gewalt, Millionen von Dollar und größenwahnsinnige Stars. Alles drin in den Mega-Movies dieses Sommers. Nur über die Regisseure spricht kaum jemand. Einer arbeitete sich dennoch nach oben.

Vier Wochen vor dem Start der Sommersaison in den USA schlug das Branchenblatt „Variety“ Alarm. Während die europäischen Kinos im Winter am besten verdienen, macht Amerikas Film-Industrie im Sommer die große Kasse. Um diese Party nicht zu verpassen, kannten die Produzenten in diesem Jahr offenbar kein Halten mehr zu schnell, zu teuer, zu kurzsichtig.

„Days Of Thunder“, bei Paramount geplant als Quasi-Fortsetzung zu „Top Gun“, mußte während der Dreharbeiten auf Wunsch von Tom Cruise mehrmals umgeschrieben werden. Hinzu kamen technische Probleme. Die Folge: Verspätung und mit 55 Millionen Dollar ein saftig überschrittenes Budget.

„Und wieder 48 Stunden“ mit Eddie Murphy und Nick Nolte mußte drei Wochen schneller fertig werden, um für Paramount die gebuchten Kino-Termine von „Days Of Thunder“ auszufüllen. Die Folge: 50 Millionen Dollar Kosten.

„Total Recall“ mit Arnold Schwarzenegger erforderte neben astronomischen Gagen auch teure Sets. Die Folge: Budget-Überschreitung auf über 60 Millionen Dollar und statt der üblichen fünf Monate für Schnitt und Nachbearbeitung nur fünf Wochen. Dafür konnte Carolco stolz behaupten, den teuersten Film aller Zeiten gemacht zu haben. Nicht lange:

„Stirb langsam 2“ schließlich war so sehr in Verzug, daß gleichzeitig drei Kamera-Teams drehten – eines mit Bruce Willis, zwei andere die Action-Sequenzen mit Stuntmännern. 200 Mann durchkämmten die USA auf der Suche nach dem im Drehbuch geforderten Schnee. Vergeblich. Der Winter mußte im Studio in Los Angeles mit Kunstschnee nachgestellt werden. Im Film überfallen Terroristen einen Flughafen. Weil keine Airline damit in Verbindung gebracht werden wollte, mußte eine Flotte von Jumbo-Jets angemietet, neu lackiert und nach Drehschluß umlackiert zurückgegeben werden. Die Folge: Statt der geplanten 40 Millionen Dollar summierten sich die Kosten auf an die 70 Millionen Dollar. Führten bei den drei eingangs erwähnten Sommer-Sorgenkindern abgebrühte Altmeister (Tony Scott, Walter Hill, Paul Verhoeven) Regie, so saß im Herz des Chaos von „Stirb langsam 2“ ein Newcomer Renny Harlin.

„Stirb langsam 2“ ist der zweite Film, den Harlin dieses Jahr ins Kino bringt. Der erste war die Krimi-Parodie „Die Abenteuer von Ford Fairlane“ – ebenfalls für 20th Century Fox und ebenfalls teurer als geplant, um runde acht Millionen Dollar. Renny Harlin ist trotzdem weit davon entfernt, arbeitslos zu werden. Hielten sich seine Gagen für „Ford Fairlane“ (500.000 Dollar) und für „Stirb langsam 2“ (750.000 Dollar) im ortsüblichen Rahmen, so steigt er mit den 1.5 Millionen Dollar für seinen nächsten Film („Aliens III“) und den drei Millionen Dollar für seinen übernächsten („Gate Force“) in die Riege der Top-Ten auf.

Harlin ist das neue Wunderkind von Hollywood. Von Null auf drei Millionen in vier Jahren. Wie er das geschafft hat, mit welchen Filmen, das ist entlarvend für die Kräfte, die Amerikas Filmindustrie bewegen.

Mit 19 Jahren Filmschule in Finnland, danach TV-Werbespots. Mit 21 Jahren den besten kurzen Industriefilm Finnlands. Mit einem Partner treibt Harlin Geld auf, um 20 Minuten eines Spielfilms zu drehen. Die Filmrolle unterm Arm, fliegen die beiden nach Hollywood, Klinken putzen. Eine Produktionsfirma legt 1,1 Millionen Dollar auf den Tisch – lächerlich für amerikanische Größenordnungen. Harlin dreht dafür 1986 in Finnland „Born American“: Drei amerikanische Touristen überschreiten versehentlich die Grenze zur Sowjet-Union und bringen den Kalten Krieg zum Kochen. Chuck Norris war für die Hauptrolle vorgesehen, verlangte aber zuviel Gage. Harlin besetzte kurzerhand Norris‘ Bruder Mike.

Wegen des fragwürdigen politischen Standpunkts konnte Harlin die Aufführung seines Films in Finnland erst per Gericht durchsetzen. In den USA freilich kam nicht nur die politische Botschaft von „Born American“ besser an; da erkannten Produzenten auch Talent. Seinen nächsten Job durfte Harlin bereits in Amerika erledigen. In einem alten Gefängnis in Wyoming drehte er „Prison“. Der Geist eines unschuldigen Opfers kehrt zurück, um sich an seinem Wärter zu rächen. Der mit Mini-Budget (1,7 Mio. $) gezauberten Grusel-Atmosphäre in „Prison“ verdankte Harlin seinen nächsten Auftrag; „Nightmare On Elm Street 4“. Kompetente Horror-Rezensenten lobten Teil 4 als den besten der Serie. Viel wichtiger aber war. daß er das meiste Geld brachte: Gedreht für 5,3 Mio. $, spielte Freddy Krügers vierter Einsatz satte 50 Mio. $ ein – ein todsicheres Konkurrenzrezept. Hollywood hatte Renny Harlin entdeckt.

Daß die Großproduktionen „Ford Fairlane“ und „Stirb langsam 2“ einem Newcomer aus einem filmischen Niemandsland anvertraut werden, erstaunt nur auf den ersten Blick. Zu einer Zeit, wo es genügt: „Schwarzenegger: 60 Millionen Dollar“ aufs Plakat zu schreiben, braucht die Maschinerie Hollywood verläßliche Handwerker, die ausführen, was sich die Chef-Etage ausgedacht hat. Eine zu deutliche Handschrift, eine eigene künstlerische Vision stehen da eher im Wege. Stirb langsam, aber dreh schneller!

Harlin seinerseits ist überzeugt, daß er nach der Ablieferung eines Teil 4, eines Teil 2 und eines Teil 3 einen Schuß frei hat. Ein eigener Stoff: die Love-Story eines Amerikaners und einer Italienerin während der Dreharbeiten zu „Dolce Vita“ in Rom von 1963. Einen bescheidenen Ansatz, sich einzubringen, machte Harlin immerhin schon bei „Stirb langsam 2“: Für die Winterszene im Studio wurde der falsche Schnee nicht aus Kunststoff, sondern aus Kartoffeln und Seife hergestellt – aus ökologischen Gründen.