ERNTE-DANKFEST


Fans analysieren, der Rest rätselt: Boards Of Canada melden sich nach sieben Jahren mit düsterer Zukunftsvision zurück.

Im Onlineshop der US-Firma „Tomorrow’s Harvest“ findet man alles, was man für die Apokalypse braucht. Die transportable Toilette im Eimer kostet 25 Dollar, die feuersichere Inferno-Jacke ist für 170 Dollar zu haben. Ein Bestseller: das Taschenbuch „Survival Mom -How to Prepare Your Family for Everyday Disasters and Worst-Case Scenarios“, praxisnahe Tipps bei Hurrikans, Riots und atomaren Erstschlägen.

Was man im Onlineshop nicht findet, ist das neue Album des schottischen Brüderduos Boards Of Canada. Dabei heißt die Platte wie die Firma: TOMORROW’S HARVEST. Die Brüder Michael Sandison und Marcus Eoin haben sich von der in den USA allgegenwärtigen Endzeitstimmung inspirieren lassen. Entsprechend düster und luftdicht wirken die 17 neuen Stücke. Sie tragen Namen wie „Reach For The Dead“ und „Collapse“. MUSIC HAS THE RIGHT TO CHILDREN verschob 1998 die Vergangenheit um ein paar Millimeter, sodass sie flimmerte; TOMORROW’S HARVEST präzisiert eine Zukunft, in der die Wolken gefährlich tief hängen.

Die ausgehungerte Fangemeinde – 2006 erschien mit der EP „Trans Canada Highway“ das letzte aufgenommene Lebenszeichen der Band – wird das Album lieben. Ende April traten Boards Of Canada in Plattenläden und Medien eine Schnitzeljagd los, ganz im Stil alter Adventure-Games. Das Duo gab Hinweise in Form von Ziffern, die sich auf willkürlich auftauchenden 12-Inch-Maxi-Singles, im Radio oder im Internet fanden. Wer alle Nummern beisammen hatte, gelangte auf eine Internetseite mit Album-Ankündigung. Wer glaubt, dies sei ein bescheidener Preis für eine lange Suche, kennt die Gefolgschaft der Brüder nicht: Im Vergleich zu Forumsschreibern der Boards-Of-Canada-Fan-Seite twoism.org sind Dylanologen kleine Lichter.

Es ist interessant zu beobachten, wie sich die elektronische Musik in diesem Jahr verschiebt. Bei Daft Punk menschelt es. Berliner House-Produzenten schreiben Songs und lassen sie von sensiblen bärtigen weißen Männern singen. Und Boards Of Canada, deren Platten immer Wärme ausstrahlten, zieht es in die Kälte. Immer wieder haben oberschlaue Agenturen ihre Tracks fürs Fernsehen verwendet, für Hightech-Werbung, unheilvolle Momente in Serien oder Dokus mit Tieren. Statt in das Auge eines Blauwals blickt man bei TOMORROW’S HARVEST jedoch auf eine Erde, auf der es nicht mehr viel zu holen gibt. Wohl dem, der eine transportable Toilette dabei hat.

Albumkritik S. 80