Der Bär groovt


Bei der 58. Berlinale waren der Rock und der Pop vertreten wie selten auf einem Filmfestival. Wobei nach der Welle der „Biopics jetzt vor allem Dokus dran sind.

Auf einem Filmfestival den Rockenroll zu suchen, klingt natürlich nur auf den ersten Blick nach verfehlter Mission. Aber so wie sich die 58. Berlinale quasi als Forum des rockbezogenen Films herausgeputzt hat, das hat man doch selten. Und am ersten Tag ist der Rock’n’Roll, respektive seine amtierenden Alterspräsidenten, gar persönlich anwesend. Martin Scorseses Rolling-Stones-Konzertsause „Shine A Light“ (s. S. 102) ist der Eröffnungsfilm, und es wird kein kleines Gedöns gemacht um die Tonnen von „Glamour“ (sprich: maximale Gedöns-Rückkopplung), mit denen die Herren am Donnerstagabend qua Spaziergang über den roten Teppich das Festival anreichern. „Die Berlinale rockt!“, quietschen die Schlagzeilen, und Festivalchef Dieter Kosslick lässt sich für den Coup, die leib!haf!ti!gen! Stones nach Berlin geholt zu haben, feiern wie Beckenbauer für „seine“ WM.

„Shine A Light“ ist ein toll gefilmter Konzertfilm, mit ein paar wirklich beeindruckenden Großaufnahmen von zerklüfteten Gesichtslandschaften und ein paar dokumentarischen Sprengsein, aber eben doch ein Konzertfilm. Die für nicht ganz so glühende Verehrer sicher unterhaltsamsten 12 Minuten macht die gut gelaunte Making-Of-Sequenz zu Beginn aus, bei der der Wunsch keimt, jemand möge mal eine Doku über diesen knochentrockenen Spaßvogel Scorsese drehen. Einmal schildert ihm der Bühnendesigner sorgenvoll ein Problem mit einem Scheinwerfer an einer bestimmten Position. Wenn Mick Jagger dort länger als 30 Sekunden ausharre, würde es dort so heiß, dass seine Kleidung Feuer fangen könne. Scorsese scheint kurz zu überlegen und schüttelt dann kategorisch den Kopf: „We can’t do that. We cannot burn Mick Jagger.“

Auf der überlaufenen Pressekonferenz zum Film dann gibt Charlie Watts eines der ungewöhnlicheren Statements des Festivals ab: Er habe den Dreh „gehasst“, knarzt er bedauernd. Ja, es sei ein schöner Film rausgekommen, aber für ihn sei dieses Kamera draufhalten einfach nichts. „I absolutely hated it.“

Total spitze findet ja bekanntlich auch Jonny Greenwood Kameras vor seiner Nase, aber der konnte für sein erstes großes Hollywood-Engagement gottlob im stillen Kämmerlein arbeiten: Für die Musik zu seinem monumentalen Drama there will be blood, das am zweiten Festivaltag die Kritiker hinreißt, hat Paul Thomas Anderson einmal nicht bei den alten Spezln Jon Brion und Michael Mann angerufen, sondern das Radiohead-Soundhirn gefragt. Greenwoods Score, für den er am Ende einen Silbernen Bären gewinnt – dissonant-atmosphärische, Eno-eske Flächen und angesägt-ätherische moderne Klassik -, trägt und befördert derart kongenial die nervöse, unheilvolle Spannung des Films, dass die Musik gleichsam wie ein unsichtbarer Protagonist neben Daniel Day-Lewis‘ furchteinflößendem Daniel Plainview agiert. Schier perfekt.

Einen Score verwendet auch Mike Leigh in seinem Berlinale-Liebling „Happy-Go-Lucky“ (Start voraussichtlich 3.7.). Mit seiner Hauptdarstellerin Sally Hawkins hat Leigh Poppy geschaffen, die vielleicht optimistischste, offenste, erfrischendste Erscheinung, die je über eine Leinwand gewuselt ist und in die man sich schon nach 20 Sekunden Vorspann verliebt hat. Ein geringerer Regisseur hätte den Film mit wohlfeilen Popsongs unterlegt und als „Brit-Comedy“ durchgenudelt. Er ist so viel mehr. Unbedingt sehen, wenn’s so weit ist!

Der meistdiskutierte Soundtrack des Festivals ist sicher der von Errol Morris‘ Doku „Standard Operating Procedure“. Die rekonstruiert die Vorgänge im US-Foltergefängnis Abu Ghraib, und zu den Abgründen, die sich da auftun, fiedelt ein Score von Danny Elfman, dem Hauskomponisten von u.a. Tim Burton; eine Ästhetisierung, die dem Film in der Tat einen seltsamen Dreh verleiht.

Am So n ntag drei recht verschiedene Musik(erlnnen)-Dokus am Stück. Über zehn Jahre lang, seit ihrem Comeback-Album gone again 1996, hat der Fotograf und Filmemacher Steven Sebring Patti Smith begleitet, und aus diesem bald sehr freundschaftlichen Verhältnis ist „Patti Smith: Dream Of Life“ entstanden, eine meditativ-collagenhafte, dann wieder köstlich anekdotische Annäherung an die Frau und Künstlerin Smith („It’s nota rock movie, it’s a humanistic movie“, sagt sie), die mit einigen ziemlich unbezahlbaren Szenen (etwa Smiths Besuch bei ihren Eltern im ziertellergeschmückten Eigenheim, ihr Kennenlerngespräch mit Flea) mit der amüsanten Erkenntnis aufwartet,

dass die Rock-Ikone Patti Smith Gitarre spielt wie ein Frischling in der dritten Unterrichtsstunde. Grandios! (Und bereits am 25. März auf Arte zu sehen!!) Ebenfalls eine Langzeitbeobachtung ist „Bananaz“: Knapp sieben Jahre lang, von den ersten Cartoon-Skizzen und Bassriffs bis zu den Shows zum zweiten Album demon days hat der Filmemacher Ceri Levy, ein alter Freund von Damon Albarn, the life and times der Gorillaz begleitet. Und aus 300 Stunden (!) Material einen 92-minütigen Film geschnitten, der unprätentiös dahinschlendert zwischen herrlich banal-prolligen Heimvideo-Passagen und hochinteressanten und bewegenden Momenten – und der einem vor allem den Typ und den Künstler Albarn nahebringt wie noch nie. Und Jamie Hewlett ist sowieso der Hammer. Und der Film hätte den lilablassblauen Ehrenbären für den „schönstaufgelösten Running Gag in einem Dokumentarfilm“ verdient. Bislang ist kein Starttermin bekannt, im Zweifel wohl demnächst auf DVD.

Ein Ziemliches Brett, aber nicht ohne Leichtfüßigkeiten, ist „CSNY:Dejá Vu“ von Bernhard Shakey alias Neil Young. Der Film beginnt mit Bildern von den ersten Bomben auf Bagdad im März 2003, dazu läuft Crosby, Stills, Nash & Youngs „Deja Vu“, „I feel like I’ve been here before“: Bushs Irakkrieg als Wiedergänger des Vietnamkrieges, gegen den CSNY einst ansangen – und 2006 waren die vier wieder unterwegs, mit Youngs zornig-explizitem Album living with war. Der Film ist sozusagen eine Hybrid-Doku, zeigt auf der einen Seite – durchaus selbstironisch – die vier Schlachtrösser, die auf ihre alten Tage offenbar tatsächlich ihre Ego-Issues beiseite gelegt haben und aus aufrichtiger Empörung heraus noch einmal ihre krächziger gewordenen Stimmen erheben. Und ist auf zweiter Ebene eine Michael-Moore-eske Doku über ein verwirrtes Land im Krieg. Diese wird von Mike Cerre besorgt, einem TV-Veteran, der im Irak-Feldzug als „embedded Journalist“ dabei war und den Young quasi in die „Freedom Of Speech“-Tour einbettete, damit er am Rande der Tournee aus dem in der Tat geteilten Amerika berichte, durch das der Rentnertourbus reist.

„Living With War“ von der anderen Seite zeigt „Heavy Metal In Baghdad“ von Suroosh Alvi und Eddy Moretti. Die zwei Reporter des US-Magazins Vice berichten in Schlaglichtern und unter zunehmenden Schwierigkeiten von Acrassicauda, der einzigen Heavy-Metal-Band in Bagdad. Etwas irritiert der knallige Ton, den die Filmemacher anschlagen, doch das nimmt dem Film nichts von seiner Wucht. Die Innenansicht eines Lebens im (bürger)kriegszerrütteten Irak – eine wahre Hölle, in der Rock’n’Roll tatsächlich noch lebensrettend sein kann, aber auch gefährlich ist – geht weit über das hinaus, was sich zumindest dieser Schreiber hier hätte vorstellen können und mögen.

Und dann war da noch der Madonna-Tag. Ihr Regie-Debüt „Filth And Wisdom“ ist eine sich betont indie gebende und klugscheißerische, aber okaye Dramödie über Menschen in London, Lebenslügen und -träume und wie alles gut wird, als jeder durch seinen persönlichen Filth zu Wisdom gelangt ist. Gogol-Bordello-Chef Eugene Hütz redet seine Lebensweisheiten direkt in die Kamera, und die Regisseurin wirft ein paar selbstironische Gags ein (der DJ im Stripclub reißt Madonnas „Erotica“ vom Teller und legt dafür Britney Spears auf). Alles im Rahmen also. Nicht so freilich im Umfeld der Madonnenerscheinungen auf den roten Teppichen und Presseevents, wo ein Bohei tobte, der den um die Stones in den Schatten stellte. Manch Friedfertiger dürfte sich auf eine wieder ruhigere Berlinale nächstes Jahr freuen. Mit weniger Pop-Turboglamour und wieder mehr ganz normalen Filmstars. >»www.berlinale.de